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Wichtiges
Gedanken zum neuen Jahr

2016 - Jahr der Sorge oder Jahr mit Gott?

18.12.2015

Im Blick auf 2016 herrschen bei 64 Prozent der über 50-jährigen Deutschen schlechte Gefühle: „Ich blicke angstvoll in die Zukunft“ kreuzten sie bei einer GfK-Umfrage an. Bei den Jüngeren von 14 bis 34 Jahren waren dies 42 Prozent. Damit hat sich der Anteil der Furchtsamen in der jüngeren Generation seit 2013 – als es noch 19 Prozent waren – mehr als verdoppelt. Nur 18 Prozent der 1000 Befragten stimmten dem Satz zu: „Dem kommenden Jahr sehe ich mit großer Zuversicht und Optimismus entgegen.“ Jeder zweite Deutsche sieht dem kommenden Jahr „mit großer Skepsis und gemischten Gefühlen“ entgegen.

Jeder, der die politischen Ereignisse der letzten beiden Jahre verfolgt und reflektiert hat, kann sich vorstellen, was es ist, das die Deutschen derartig beunruhigt. Er wird auch für sich selbst Skepsis und Sorge nicht von sich weisen können, wenn er sich überlegt, welche Risiken das Jahr 2016 mit sich bringt. Ich möchte im Folgenden zwei gesellschaftlich-politische Felder – ein außenpolitisches und ein innenpolitisches – herausgreifen und sie mit einem Impuls aus christlicher Sicht versehen.

Die Bundeswehr nimmt demnächst Aufklärungsflüge über Syrien wahr. Sie tut dies ohne Einladung der syrischen Regierung (deren Abgang sie fordert) und ohne Kooperation mit deren mächtigstem Verbündeten, der Russischen Föderation (welche sie mit Sanktionen belegt hat). Dieser Luftraum wird von verschiedenen Luftwaffen mit verschiedenen Intentionen benutzt. Das Risiko ist, dass sich widerstreitende Kriegsflugzeuge gegenseitig abschießen – die Türken haben bereits eine russische Maschine abgeschossen – und Kettenreaktionen ausgelöst werden, die – Stichwort NATO-Bündnisfall – in einen neuen Weltkrieg münden können. Man mag mir in der Sache widersprechen und ein solches Szenario für übertrieben halten, aber dass diese Sorge Bürger bewegt, und sei es unterschwellig, wird nicht von der Hand zu weisen sein.

Wir dürfen uns aber durchaus selbstkritisch fragen, warum wir einem derart konzeptlosen und gefährlichen Militäreinsatz nicht entschieden entgegentreten. Könnte es daran liegen, dass wir einerseits seit zwei Jahren ein alt-neues Feindbild namens Russland haben und dass andererseits unser Interesse an einem guten Auskommen mit jenen Staaten, die das Ziel unserer Militäroperation, den sogenannten „Islamischen Staat“, unter der Hand unterstützen, größer ist als unsere Solidarität mit dessen Opfern, unter anderem unseren christlichen Brüdern und Schwestern in Syrien und im Irak?

Eine innenpolitische Sorge ist, dass die Terroristen des IS auch bei uns Anschläge begehen könnten – vielleicht sogar als Reaktion auf unseren Militäreinsatz – und dass sie das ohnehin abweisende Islambild in unserer Bevölkerung weiter verschlechtern könnten. Letzteres dürfte einhergehen mit einer wachsenden Ablehnung gegenüber Flüchtlingen und Migranten. Da die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte sprunghaft angestiegen ist, ist auch ein steigender Terrorismus von fremdenfeindlicher und rassistischer Seite zu befürchten.

Der Zuwachs für terroristische Bewegungen hat in Nordafrika wie im Orient auch mit einer westlichen Politik zu tun, die auf militärische Überlegenheit setzt und diese auch einsetzt, um geostrategische Ziele zu erreichen. Sie hat mit dem Selbstverrat des Westens zu tun, der sich nicht scheute, zu Folter und Verschleppung zu greifen, um den Terrorismus zu bekämpfen, der Menschen ohne Prozess und Urteil mit Drohnen hinrichtet, weil sie terrorverdächtig sind. Das Abrutschen junger Europäer in extremistische und gewaltbereite Kreise hat auch damit zu tun, dass es soziale Schieflagen gibt, die Perspektivlosigkeit erzeugen, dass es Schulen und Stadtviertel gibt, denen es an Infrastruktur mangelt: an qualitativer Ausstattung, an Lehrern und Sozialarbeitern, aber auch an Sicherheit, an Polizeipräsenz. Es wurde eben auch bei uns oft zu viel am falschen Ende gespart und zu viel am falschen Ende verdient: am Waffenhandel zum Beispiel.

Unsere Zukunft, das Jahr 2016 und alle anderen Jahre, liegt nicht in unserer Hand. Sie kann uns auch immer noch positiv überraschen, oft an unerwarteten Stellen. (Und wir sind auch nicht an allen Missständen selber schuld.) Aber an den Stellen, an denen wir uns Sorgen machen über Politik und Gesellschaft, können und müssen wir etwas tun. Unsere Welt braucht Furchtlose, die für ihre Überzeugungen einstehen: die sich keine Feindbilder einreden lassen, die Medien und Politik abklopfen auf Redlichkeit und Friedfertigkeit, die sich keiner Parteidoktrin unterwerfen und keinem gesellschaftlichen Druck beugen. Unsere Welt braucht Menschen, die andere Denkweisen ins Spiel bringen als wirtschaftliche, machtpolitische und militärische. Unsere Welt braucht Christen, die „Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apostelgeschichte 5,29).

In diesem Sinne ein gesegnetes neues Jahr!

Michael Widmann