Beginn der Fastenzeit: Grußwort an die alevitische Gemeinde
An diesem Wochenende beginnt das zwölftägige Muharrem-Fasten, mit dem die alevitische Glaubensgemeinschaft des Imams Hussein gedenkt. Bischof Bertram, der auch Vorsitzender der Unterkommission Interreligiöser Dialog der Deutschen Bischofskonferenz ist, hat an die Aleviten dazu ein Grußwort gerichtet. Darin wünscht der Bischof ihnen "eine erfüllte Fastenzeit und ein beglückendes Aşure-Fest".
Hier können Sie das Grußwort im Wortlaut lesen:
Liebe alevitische Gläubige, liebe Schwestern und Brüder,
in diesen Tagen begehen Sie die Fastenzeit im Monat Muharrem und das sich anschließende Aşure-Fest. Als Bischof der Diözese Augsburg übermittle ich Ihnen herzliche Glück- und Segenswünsche.
Das zwölftägige Muharrem-Fasten ist für Sie eine Zeit der Trauer über den Leidensweg von Imam Hüseyin. Die Erinnerung an das Massaker von Kerbela im Jahr 680, bei dem Imam Hüseyin und viele seiner Anhänger getötet wurden, stellt einen Grundpfeiler des alevitischen Selbstverständnisses dar. Auch heute verbinden Sie mit diesem Gedenken den Auftrag, für die Überwindung ungerechter Verhältnisse einzutreten. Auf die Trauerzeit folgt mit dem Aşure-Fest für Sie ein Tag der Freude und des Danks: Denn Gott gibt die Kraft zum Neuanfang. Eine solche Botschaft der Hoffnung ist heute wichtiger denn je.
Mit Entsetzen blicken wir dieser Tage auf die Brutalität des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Angesichts von Zerstörung und Leid, Traumata und Tod müssen wir erneut feststellen: Im Krieg verlieren alle. Bei meinem Besuch in der Ukraine Anfang Juni gedachte ich der Opfer von Folter und Mord in der Stadt Butscha. Man hat versucht, den Toten auch noch den letzten Rest an Menschenwürde zu nehmen, indem man sie in anonymen Massengräbern verscharrt hat. Diese furchtbaren Kriegsverbrechen inmitten Europas dürfen uns nicht gleichgültig sein. An Gewalt und Grausamkeit dürfen wir uns niemals gewöhnen. Als Menschen mit einem wachen Gerechtigkeitssinn stehen wir in der Pflicht, den notleidenden Ukrainerinnen und Ukrainern unsere Solidarität zu zeigen. Ich bin dankbar, dass sich auch die Alevitinnen und Aleviten in unserem Land an der Hilfe für ukrainische Schutzsuchende beteiligen.
Mit den Worten von Papst Franziskus bete ich: „Herr und Vater der Menschheit, du hast alle Menschen mit gleicher Würde erschaffen. Gieße den Geist der Geschwisterlichkeit in unsere Herzen ein. Wecke in uns den Wunsch nach einer neuen Art der Begegnung, nach Dialog, Gerechtigkeit und Frieden“ (Gebet zum Schöpfer aus der Enzyklika Fratelli tutti). Gemeinsam hoffen wir, dass in der Ukraine und in anderen Kriegsgebieten der Welt das Töten ein Ende findet und ein gerechter Friede anbricht.
„Eins ist der Weg, mit tausendundeiner Art, ihn zu begehen“, so lautet ein wichtiger Satz aus der alevitischen Tradition. Ja, wir sind alle Pilger auf dieser Erde unterwegs zu Gott, dem Schöpfer und Erhalter des Lebens, und wir alle sind vergängliche Wesen. Als religiöse Menschen betrachten wir die Fastenzeit als eine willkommene Gelegenheit, die alltägliche Routine zu durchbrechen. Sie bietet die Möglichkeit, unsere Beziehung zu Gott und zu unseren Mitmenschen, aber auch zu uns selbst, zu überprüfen, damit wir achtsamer leben und wirken können.
Liebe alevitische Geschwister, Sie laden in dieser für Sie besonderen Zeit jedes Jahr Freunde, Bekannte und Nachbarn ein, an Ihren Feierlichkeiten teilzunehmen. Es ist eine schöne Tradition geworden, sich gegenseitig zu besuchen und die Festtage miteinander zu begehen. Ich hoffe, dass viele Menschen Ihren Einladungen folgen und Ihre Gäste sein werden.
Möge Gott, der die Wahrheit ist, Ihr Fasten annehmen, Ihre Gebete erhören und Ihnen Trost wie Hoffnung schenken. Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und allen Mitgliedern der alevitischen Gemeinden eine erfüllte Fastenzeit und ein beglückendes Aşure-Fest.
Friede sei mit Ihnen!
Dr. Bertram Meier
Bischof von Augsburg