Werner Haas: „Den Sprung des Glaubens wagen“
(Pfronten) Von der Allgäuer Gemeinde sind es gerade einmal 30 Minuten Fahrt bis zum weltberühmten Schloss Neuschwanstein. Aber auch die nahe Umgebung mit dem 1800 Meter hohen Breitenberg, den Holzhäusern und den vielen Kühen wirkt wie aus einem Bilderbuch. Dass Werner Haas hier einmal Pfarrer sein würde, hätte er selbst nicht für möglich gehalten. Sein Weg bis zur Ernennung zum Dekan von Marktoberdorf war nämlich alles andere als geradlinig. In der Nacht auf den 12. August 2025 ist er tödlich verunglückt. Das folgende Portrait entstand im Dezember 2023.
Auf die Minute genau sind sportliche Schritte zu hören, die die Treppe ins adventlich geschmückte Pfarrbüro hinab eilen. Die Sekretärin weiß sofort, dass das nur der Pfarrer sein kann. Der Geistliche ist mindestens genauso flott wie spirituell, und sieht seinen eigenen Werdegang als Werk eines anderen an.
Weg zum Priestertum
Der Spätberufene (*1965) hat nach dem Abitur zunächst Elektronik an der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten studiert. Während eines Praxissemesters griff er zur Bibel. Warum? Das weiß er nicht. „Damals haben mich die Texte zum ersten Mal richtig gepackt.“ Er selbst kann rückblickend sagen, dass er sich mit Anfang 20 die Sinnfrage gestellt hat und auf der Suche nach einem „Mehr“ war. Bis heute kommt er über diese Veränderungen ins Staunen. Mit 26 Jahren brachte er dann entgegen seiner eigenen Erwartung tatsächlich den Mut zum Theologiestudium auf. Lachend gibt er zu: „Ich hatte eigentlich immer die Hoffnung, dass ich das sowieso nicht schaffe und gleich an den alten Sprachen scheitere.“
Aber es sollte anders kommen. 1998 wurde der Diplomingenieur für Elektronik zum Priester geweiht. Anschließend war er Kaplan in Pfaffenhofen a. d. llm und Benefizitat in Illertissen, ehe er Pfarrer in Nordendorf wurde. Auf Bitte des Bischofs ging er 2006 ins oberbayerische Starnberg. Seit 2017 leitet er die Pfarreiengemeinschaft Pfronten-Nesselwang. Im Frühjahr 2022 ernannte ihn Bischof Bertram zusätzlich zum Dekan.
Hauptaufgaben als Dekan
Der Realist Haas schätzt die Wirkung seines Agierens als Dekan bescheiden ein: „Ich sitze nicht an der großen Stellschraube.“ Trotzdem ist ihm wichtig, ein harmonisches Zusammensein zu ermöglichen. Immer vor Augen hat er aber ein Wort von Bischof Bertram, nachdem Dekane „Resonanzpersonen“ sein sollten. Gerne greift er auch Initiativen der Gläubigen, beispielsweise aus dem Pastoralrat, auf. Er versucht engagierte Christen selbstständig arbeiten zu lassen und als „Multiplikator“ die Voraussetzungen zu schaffen.
Das Dekanat Marktoberdorf in Kürze:
- Umfang: 9 Pfarreiengemeinschaften mit 31 Pfarreien
- Prodekan: vakant
- Bevölkerung: 43.000 Katholiken
- Fusion: 2012 Zusammenschluss der Dekanate Füssen und Marktoberdorf
Die Kirche im 21. Jahrhundert
„Für mich war nach der Weihe klar, dass ich als Arbeiter nicht nur im Weinberg des Herrn tätig sein werde, sondern oft auch im Steinbruch des Herrn.“ Diese Worte lassen tief blicken. An dem heutigen Zustand der Kirche stört den Dekan mit der sanften und tiefen Stimme vor allem, dass vieles nur noch zum Schein stattfindet. Es macht ihm zu schaffen, dass viele Sakramente zum banalen Grund einer Familienfeier werden. Das Wort „Offenbarungskrise“ fällt. Untermauern kann er diesen Zustand immer wieder durch Verweise auf Statistiken. Untersuchungen und Analysen spielen beim mathematisch veranlagten Haas eine große Rolle.
Auf der Suche nach Halt und Trost
Man könne sich als Seelsorger „auf den Kopf stellen“ und noch so gut arbeiten, das würde aber nichts daran ändern, dass sich Menschen eben nur für persönlich relevante Dinge Zeit nehmen würden.
Als Pfarrer von Pfronten und Nesselwang ist es ihm daher auch wichtig, durch sein Wirken den Menschen Halt und Trost zu vermitteln. Das Evangelium aufzudrängen mache keinen Sinn, es den Menschen vorzustellen aber sehr wohl. In einem ist er sich sicher: „Gott hat viel mehr Möglichkeiten wie wir.“ Sich selbst vergleicht er daher auch gerne mit dem Sämann aus dem zugehörigen Gleichnis: „Die Sämannsmentalität hilft mir bei Enttäuschungen. Meine Aufgabe ist es nur zu säen, und das Saatgut ist gut.“ Wo dieser Samen allerdings hinfalle, stehe nicht in seiner Macht.
Kraft zieht er vor allem aus den Begegnungen mit seinen priesterlichen Mitbrüdern und seinen sechs Geschwistern. Gerade letztere würden ihn oft auch erden. So richtig abschalten kann er aber nur beim Sport. Egal ob Radfahren, Skifahren, Tennis, Tischtennis oder Schwimmen, körperliche Bewegung ist ihm wichtig. Nur seine Fußballkarriere hat er, nachdem er nach einem Klerikerturnier eine Woche lang keine Kniebeuge mehr machen konnte, mittlerweile an den Nagel gehängt.
Priesterliches Selbstverständnis
Seine eigenen Schwächen sind ihm dabei sehr bewusst. Er will als Pfarrer vor allem ehrlich und authentisch und für Suchende ein vertrauenswürdiger und einladender Gesprächspartner sein. Mit dem zunehmenden Alter werde er aber auch sensibler, hinterfrage sich selbst öfter und nehme Defizite stärker wahr. Genau deswegen hat er, wie er lachend zugibt, auch immer mehr Material zum Beichten. Als der Espresso getrunken, der Keks gegessen ist, gibt er abschließend zu: „Tröstend ist für mich auch 25 Jahre nach der Weihe, dass Gott nicht die perfekten Superhelden, sondern Menschen mit einem großen Herzen und mit all ihren Schwächen und Begrenzungen in seinen Dienst ruft.“
Abschied von Dekan Haas
Werner Haas ist in der Nacht auf den 12. August 2025 auf der Heimfahrt von einem Termin mit seinem E-Bike tödlich verunglückt. Der Herr vergelte ihm seine treuen Dienste und schenke ihm die ewige Ruhe. Wir bitten um das Gebet für den Verstorbenen. Ein Nachruf ist ebenfalls auf unserer Bistumshomepage erschienen.
Text und Fotos: Leander Stork
Dezember 2023
Hintergrund:
Nach der coronabedingten Unterbrechung des Formates erscheinen ab sofort wieder regelmäßig neue Portraits unserer Dekane. Die anderen Texte aus dieser Reihe finden Sie ebenfalls auf unserer Homepage.