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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram bei der Rom-Wallfahrt von Kolping Augsburg am 27. Oktober 2022 in der Lateranbasilika

Adolph Kolping: Evangelisierer und missionarischer Jünger

27.10.2022

Lieber Diözesanpräses, lieber Wolfgang, lieber Diözesanvorsitzender, Herr Hitzelberger, liebe Mitglieder der Kolpingsfamilien und Angehörige des Kolpingwerkes, liebe Freunde und Verehrerinnen des sel. Adolph Kolping, vor 160 Jahren stand ein unscheinbarer Priester staunend da, wo wir heute stehen: ein Mann, der wissensdurstig war und jede Minute seines Romaufent­haltes nutzte, um hier in der Ewigen Stadt, an den Gräbern der Apostel und zu Füßen so vieler Märtyrer und Heiliger sich beflügeln zu lassen für seine Arbeit in Deutschland.

Drei Jahre vor seinem Tod hatte Adolph Kolping die Gelegenheit, nach Rom zu pilgern; und er war tief beeindruckt von dem, was Menschen hier zur Ehre Gottes an Kunstwerken, Kirchen und Kulturgütern über die Jahrhunderte errichtet hatten. Doch sein waches, am Erkennen von sozialer Not geschultes Auge sah sicher auch nicht hinweg über die Notleidenden, die es in dieser Großstadt damals wie heute gibt. Wir können davon ausgehen, dass der Priester Kolping, der sein Leben lang ein Lernender war, auch darin lernte: Rom wurde für ihn zu einem spirituellen Laboratorium, einer geistlichen Werkstatt. Wie nahe doch hier im Zentrum der katholischen Christenheit Luxus und Leid beisammen waren! Dem Eldorado der Reichen und Schönen steht die Misere der Armen und Randexistenzen gegenüber. Da wohnen Touristen im Fünf-Sterne-Hotel, und auf der Straße oder unter den Tiber-Brücken schlafen Bettler in Schachteln, weil sie kein Dach über dem Kopf haben. Ja, es gibt kein Paradies auf Erden. Gerade hier in Rom sehen wir nur einen schwachen Abglanz jener Herrlichkeit, die jeden Menschen einschließt, in der die Schöpfung neu wird und „Gott alles in allem“ sein wird (vgl. 1 Kor 15,28). Der Situation im Sozialen entsprechen die Nöte des Glaubens. Nicht umsonst heißt es: In Rom kannst Du zum Glauben finden. Du kannst den Glauben aber auch verlieren. – Wir erhoffen uns für diese Tage hier in Rom Stärkung im Glauben.

Die Lesungstexte unseres Gottesdienstes sind bewusst gewählt. Sie greifen den Gedenktag des sel. Adolph Kolping auf. Wie in einem Brennglas fassen sie sein Leben ein: Im Jakobusbrief hörten wir, dass Worte Schall und Rauch sind, selbst dann, wenn es um das Glaubensbekenntnis geht. Es braucht die Bestätigung im praktischen Tun. Dann erst werden die Worte Leben. Rechtgläubigkeit ist wichtig, wichtiger jedoch ist die Glaubwürdigkeit. Nur wenn die Menschen uns wieder mehr glauben, wächst unsere Vertrauenswürdigkeit. Die können wir uns weder verdienen noch erarbeiten, wir müssen sie uns schenken lassen. Wer die Wahrheit tut, kommt ans Licht. Reden kann man viel, wenn der Tag lang ist – doch was bleibt?

Gerade die Krisen, in denen wir stecken, zeigen: Die Zeit der langen Vorträge ist vorbei, dafür ist glaubwürdiges Handeln angesagt. Gerade jetzt, da wir in der Kirche Spannungen und Richtungskämpfe beklagen, müssen wir uns klarmachen, was Tradition, Glaube in und mit der Kirche bedeutet: Wir hüten keinen unwandelbaren Schatz, wir können Jesus nicht in unsere Hosentasche stecken und achtsam darauf bedacht sein, dass er uns nicht abhandenkommt. Wer den Glauben ängstlich schützt, verkrampft und wird eng. Der Glaube der Kirche ist kein Korsett, das die Luft abschnürt. Der Glaube befreit! Er ist nicht statisch, er ist dynamisch, er hat Kraft und strotzt von der Energie des Heiligen Geistes.

Das hat Konsequenzen für die Reform der Kirche, um die wir z.B. in Deutschland auf dem Synodalen Weg ringen. Dabei müssen wir gut unterscheiden: Was seit Jahrhunderten in der Kirche geglaubt wurde, ist zu kostbar, als dass wir es einfach auf der Müllhalde der Geschichte ablegen könnten. Gleichzeitig dürfen wir aber die alten Glaubenssätze nicht einfach ins sichere Gefrierfach eines kirchlichen Kühlschranks legen, um sie zu konservieren und haltbar zu machen. Deshalb meine Bitte: Tauen wir den überlieferten Glauben auf, damit wir ihn neu genießen und in jugendlicher Frische annehmen können. Gerade Adolph Kolping hat aus dem Evangelium eine Vitaminspritze gemacht! Ich traue ihm zu, dass er das als Seliger – und hoffentlich bald als Heiliger – auch heute schafft: aggiornamento, Verheutigung des Glaubens! Im Schlepptau hat er dabei „seine Kolpinger“. Ja, hätte Adolph Kolping heute gelebt, hätte man ihn einen „Evangelisierer“ genannt, einen „missionarischen Jünger“ (Papst Franziskus, Evangelii gaudium, 120).

Was war Kolpings Rezept? Ganz einfach: „Wer Menschen gewinnen will, muss das Herz zum Pfande einsetzen. Sonstige Talente können die Menschen aufregen, im Sturme mit sich fortreißen, nicht fesseln, nicht gewinnen. Von daher ist in unserer Zeit so oft schnelles Zusammenlaufen und ebenso schnelles Zerfahren; viel Geschrei und wenig Wolle. Das Herz aber, die rechte Liebe muss sich bewähren in der Tat. Dazu gehört (!) Zeit, in der Zeit passende Gelegenheiten. Die rechte Liebe wird in der Treue erkannt. (…) Diese Liebe ist der Quell der Autorität, vor der sich das Herz umso williger beugt, als es eben nur Gutes von ihr zu erfahren hat. (…) Wer Autorität auf anderen Wegen erwerben, erschleichen, heimlich oder offen erzwingen will, hat die Natur des Menschen und das eigentliche Wesen der Autorität nie recht begriffen.“ (zit. n. Adolph Koping. Ein Leitbild für unser Leben, Freiburg 1991, S. 118).      

Autorität ist das Stichwort. Skandale haben die Autorität der Kirche angekratzt. Kann man uns noch glauben, kann man uns vertrauen? Auch innerhalb der Kirche stellt sich die Frage nach der Autorität. Damit wir uns recht verstehen: Autorität ist nicht gleich Macht. Ich selbst bemühe mich, mein Tun weniger auf meine Machtbefugnisse, die ich als Bischof habe, zu setzen und mich umso mehr darauf zu achten, dass mein Leitungsdienst von einer inneren Autorität getragen ist. Ich werde nicht müde zu beten, dass ich meine Autorität nicht verspiele. Und weiter: Jede und jeder von uns hier hat erlebt, wie schnell sich von einem Tag auf den anderen die Welt verändern kann: Im März 2020 mussten wir uns mit dem ersten Lockdown in einen Ausnahmezustand einfinden, der für viele den Untergang ihrer kleinen, überschaubaren Welt bedeutete. Seitdem reden wir von einer Zeit „vor Corona“ und einer Zeit „nach Corona.“ Zeitenwende! Für die Menschen in der Ukraine, in Syrien, im Jemen und in vielen Ländern Afrikas sieht es noch viel dramatischer aus: Die Leute in Kriegsgebieten sind herausgefordert, ihr Leben in eine Vorkriegszeit und eine Kriegszeit einzuteilen – wenn sie überhaupt dazu kommen, mehr zu denken als: Wie überlebe ich diesen Tag, die nächste Stunde?

Das ist auch der Hintergrund des Evangeliums: Jesus und seine Jünger lebten als Unfreie, Gefährdete in ihrem Heimatland – unter der Besatzung der Römer, die sich die lokalen Fürsten gefügig gemacht hatten und selbst mit eiserner Hand regierten. Wer einmal durch diese Brille das Neue Testament liest, merkt schnell, wie häufig von Gewalt und Machtmissbrauch die Rede ist. Dieser beherrschenden Wirklichkeit, die menschliche Tatkraft allzu oft erlahmen lässt, stellt Jesus seine neue Wirklichkeit, das Reich des Friedens und des guten Miteinanders entgegen: „Ihr seid das Salz der Erde. – Ihr seid das Licht der Welt“. Mit anderen Worten: Sagt nicht, was kann ich schon tun? Auf mich hört ja eh keiner – alles vergeblich! Fangt vielmehr an, mit euren Möglichkeiten, mit eurer Kreativität, springt über euren Schatten und bringt das Licht, das in euren Herzen brennt, zum Leuchten!

Mich ermutigt, dass die Menschen, zu denen Jesus so spricht, keine Überflieger sind – keine, für die Wissen Macht bedeutet; es sind Menschen wie Du und Ich. Und das Tröstliche dabei ist: Jesus spricht uns nicht allein an, er isoliert nicht, er will keine noblen Einzelkämpfer: Nein, er formt uns zu einem starken „Wir“! Gemeinsam sollen wir Salz der Erde und Licht der Welt sein! Machen wir ernst mit dem Slogan: Weniger Ich und dafür mehr Wir!

Der bodenständige Adolph Kolping hat es verstanden und umgesetzt. Hier ist sein Erfolgsrezept: Mit ein paar Wenigen hat er angefangen, um mit dem langen Atem der Leidenschaft Menschen zu sammeln, die sich als Gemeinschaft untereinander verbunden wussten und daher so wirkmächtig werden konnten. Kolping ist mehr als ein Name. Kolping ist mehr als ein Verband. Kolping war und ist stark! Als geistliche Bewegung erreicht Kolping Menschen, die weit von der Kirche weg sind. Jedes einzelne Mitglied spürt in sich die Kraft des Ganzen, mit Gott im Rücken und Jesus als Fundament des gemeinsamen Glaubens. Zur Eröffnung haben wir gesungen: „Du bist einzig, Du bist anders, bist Grund unserer Hoffnung: Jesus Christus, unser Bruder, Lehrer und Freund“.

Mit diesem Lied im Ohr dürfen wir voll Vertrauen und Zuversicht unseren ganz persönlichen Lebensweg weitergehen. Rom ist für uns eine Tankstelle. Hier können wir Kraft schöpfen aus dem gemeinsamen Gebet, der Stille, in Momenten des Staunens und der Anbetung, aber auch aus dem Lachen, den gemeinsamen Mahlzeiten bei Pizza und Pasta, begleitet von einem oder mehreren Gläsern mit gutem Wein, bei Eis, Espresso und Cappuccino, aus den gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnissen. Mit der Kolping-Messe von unserem P. Norbert Becker, die jetzt im Gottesdienst ihre Welturaufführung erlebt, wollen wir „Gott beim Wort nehmen“ und „treu dem Vorbild des sel. Adolph Kolping in den Nöten unserer Zeit neue Wege suchen“ – Wege des Friedens und der Hoffnung! Amen.