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Wichtiges
Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier zur Altarweihe in St. Peter und Paul in Genderkingen

Altarweihe heißt: „einen Kirchenraum bewohnbar machen“

26.11.2022

„Wie ehrfurchtsgebietend ist doch dieser Ort! Es ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels.“ (Gen 28,17) – diese staunenden Worte des Stammvaters Jakob haben wir soeben in der Lesung gehört.

Wann, frage ich Sie, haben denn wir selbst eine vergleichbare Erfahrung gemacht? Vielleicht geht es Ihnen wie mir: das letzte Mal, als ich unter freiem Himmel übernachtete, ist schon mehr als 3 Jahrzehnte her – es war bei einem Zeltlager der Neuburger Pfarrjugend, das ich als Kaplan begleitete. Die Nächte waren viel zu schade zum Schlafen und wir saßen noch lange um das glimmende Lagerfeuer herum, über uns hatten wir den unendlichen Sternenhimmel und hörten manches unbekannte Geräusch aus dem Wald, das uns zusammenzucken ließ – eine Stimmung, die Geborgenheit und Abenteuer zugleich erfahrbar machte!

Natürlich braucht man dazu nicht unbedingt eine nächtliche Umgebung: Staunen und Ehrfurcht kann auch das Lichtspiel eines herbstlichen Waldes oder das Wandern der Sonnenstrahlen mit den Wellen am Ufer eines Sees oder am Meer hervorrufen. Ich muss für eine solche Erfahrung auch nicht unbedingt allein sein – sicher reiste auch der Stammvater Jakob mit Knechten, Vieh und Weggefährten - im Gegenteil: Gemeinsam staunen über die Schönheit der Natur, still werden und spüren, dass da mehr ist als nur das Sichtbare, dass die Welt durchsichtig wird auf DEN, der sie geschaffen hat, das verbindet auch wortlos untereinander und seltsamerweise sind dies auch die Momente, die uns sehr lange im Gedächtnis bleiben. - Ehepaare und gute Freundinnen und Freunde bewahren solche Augenblicke oft als etwas ganz Kostbares, als einen Schatz, an den man in schweren Zeiten denkt und von dem man Kraft gewinnt.

Früher haben gläubige Menschen solche Orte - wie Jakob – eigens gekennzeichnet, ein Kreuz aufgestellt oder einen Bildstock bzw. eine kleine Kapelle errichtet. Heute sieht man hin und wieder eine Bank, die jemand an seinem Lieblingsplatz oder zum Gedenken an einen lieben Menschen aufstellen lässt, oftmals wird durch ein Schild auch der Anlass festgehalten. Immer steht hinter einem solchen Tun der Impuls, einen besonderen Ort zu markieren und auch für andere wiederauffindbar zu machen. Wenn wir diesen Brauch über die Jahrhunderte zurückverfolgen, dann wissen wir, dass so die Wallfahrtsorte entstanden und Siedlungen gegründet wurden um ein Steinmal oder eine Baumgruppe, die ein Wegkreuz beschattete…

Auch wenn der Mensch zu allen Zeiten wusste, dass sich Gott nicht in ein „Haus“ einsperren lässt, so brauchte er doch immer schon Versammlungsorte, an denen er mit Gleichgesinnten zu Gebet und liturgischer Feier zusammenkommen konnte. In fast allen Religionen finden wir daher Gotteshäuser und „Tore des Himmels“ – umbaute Plätze, die herausgehoben sind aus dem Alltag, Kirchen, in die ich eintrete, um den Verkehrslärm hinter mir zu lassen, Räume, die meinen Gedanken Sammlung und meinem Leben wieder eine Richtung geben.

Als Katholiken wissen wir: Im Tabernakel wohnt Christus unter der Gestalt des Brotes. Das ewige Licht ist das Zeichen für seine Gegenwart. Deshalb spüren schon Kinder und auch Menschen, die gar keine Christen sind: Hier ist etwas anders als sonst, hier braucht es auch ein anderes Verhalten von uns Menschen. Die hl. Schwester Teresia Benedicta a Cruce, Edith Stein (1891-1942), beschreibt in ihrer unvollendeten Autobiographie, wie sie Jahre vor ihrer Taufe folgendes, vordergründig völlig unspektakuläres Erlebnis hatte:

„Wir traten für einige Minuten in den (Frankfurter) Dom, und während wir in ehrfürchtigem Schweigen dort verweilten, kam eine Frau mit ihrem Marktkorb herein und kniete zu kurzem Gebet in einer Bank nieder. Das war für mich etwas ganz Neues. In die Synagogen und in die protestantischen Kirchen, die ich besucht hatte, ging man nur zum Gottesdienst. Hier aber kam jemand mitten aus den Werktagsgeschäften in die menschenleere Kirche wie zu einem vertrauten Gespräch. Das habe ich nie vergessen können.“[1]

Solche Erlebnisse sind es, liebe Schwestern und Brüder, die wir als unscheinbaren Fingerzeig Gottes deuten können und die doch eine große Wirkung entfalten. 1922, vor 100 Jahren, ließ sich die Philosophin und Lehrerin Edith Stein taufen und zwanzig Jahre später wurde sie wegen ihrer jüdischen Abstammung in Auschwitz ermordet. Den 80. Gedenktag ihres Martyriums durfte ich heuer im August in der Kirche des Karmel begehen, der in unmittelbarer Nähe zum KZ-Gelände das Gedenken an die Ermordeten wachhält sowie in Gebet und Dialog sich für Versöhnung und Vertrauen zwischen den Völkern einsetzt. Ich habe den Ort des Grauens und der Vernichtung zum ersten Mal besucht und konnte gut nachempfinden, warum Papst Johannes Paul II. genau da eine Gebetsstätte errichtete.

„Ich freute mich, als man mir sagte, zum Haus des Herrn wollen wir gehen.“ (Ps. 122, 1): diesen Psalmvers schrieb Edith Stein in das Gästebuch der Abtei Beuron, ihrer geistlichen Heimat, bevor sie 1933 in den Kölner Karmel eintrat. Er drückt aus, was sicher viele von Ihnen spüren, wenn sie hier in diese Kirche eintreten, die ihnen von Kindheit an vertraut ist: Dem einen kommt die eigene Erstkommunion in den Sinn, die andere erinnert sich an ihre Trauung, ein dritter weiß noch, wie tröstlich es war, nach dem Tod eines lieben Menschen hier beten und die Hl. Messe feiern zu können.

Ihre Pfarrkirche St. Peter und Paul, liebe Schwestern und Brüder, war ja ursprünglich nur dem hl. Petrus geweiht und zählt vom Standort wohl zu den „ältesten (Kirchen) in Schwaben.“[2] Es ist gut, sich heute bei der Altarweihe einmal mit allen zu verbinden, die hier seit über tausend Jahren Freud und Leid, Verzweiflung und Hoffnung, Angst und dankbare Erleichterung vor Gott gebracht haben. Sie sind nicht tot, auch wenn wir nur noch eine Handvoll Namen kennen – denn im Glauben vertrauen wir darauf, dass jeder einzelne Mensch bei Gott unvergessen ist!

„Der Mensch bewohnt einen Raum erst, wenn er in der Lage ist, sich darin zu orientieren.“, sagte der italienische Architekt Mario Botta, der seit bald vierzig Jahren in der ganzen Welt einzigartige sakrale Räume schafft und sich zugleich ganz bescheiden in eine Reihe mit den Baumeistern vergangener Epochen stellt. „Der Mensch bewohnt einen Raum erst, wenn er in der Lage ist, sich darin zu orientieren.“ Altarweihe heißt: einen Kirchenraum bewohnbar machen. Bewohnen Sie, liebe Genderkinger, diesen Ihren Kirchenraum? Ich wünsche es Ihnen, dass er Ihnen immer lieber wird, gerade jetzt, wenn ein neuer Altar die Bedeutung dieses Ortes noch einmal hervorhebt!

Im Evangelium haben wir gehört, dass sich die Jünger das zornige Auftreten Jesu bei der Tempelreinigung mit dem Schriftwort erklären: „Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren“ (Joh 2,17). Ja, auch hier ist das „Haus Gottes“ und wir sind seine Gäste. Wir sind da, um uns neu zu orientieren und ihm, dem Licht unseres Lebens, der aufgehenden Morgensonne zuzuwenden - ad orientem, wie es die alte Kirche betete und die heilige Edith Stein auf der Fahrt „nach Osten“ gläubig wiederholte: über die Schwelle des Todes in das ewige Leben bei Gott. Ihre Mörder wollten sie vernichten, nichts mehr sollte an sie und all die Millionen Menschen, die in den Gaskammern ermordet wurden, erinnern. Doch die NS-Funktionäre haben sich verrechnet, sie waren blind für die Macht der Liebe. Denn die Verstorbenen leben immer in den Herzen ihrer Liebsten weiter, um wieviel mehr erst bei Gott, der „die Liebe“ ist (1 Joh 4,8)!

Wenn ich heute im Altar neben Petrus und Paulus die Reliquien des jungen sel. Carlo Acutis beisetze, dann bezeugen wir, dass der Glaube im 21. Jahrhundert so lebendig ist wie zur Zeit der Apostel. Durch die Jahrhunderte hindurch sind wir umgeben von einer „Wolke von Zeugen“ (Hebr 12,1), und jede Zeit bringt ihre eigenen Heiligen hervor. Gleich werden wir in der Allerheiligenlitanei einige von ihnen namentlich in unsere Mitte rufen. Das soll uns Lebenden Trost und Ansporn zugleich sein, besonders den jungen Leuten, den Ministrantinnen und Ministranten, den Kindern und Jugendlichen in den Vereinen und …

Jakob hat am Ort seiner Gotteserfahrung ein Steinmal aufgerichtet und Öl darauf gegossen. Die Engel, so haben wir in der Lesung aus der Offenbarung gehört, lassen mit dem Weihrauch „auf dem goldenen Altar vor dem Thron“ die „Gebete der Heiligen zu Gott“ (Offb 8,3-4) aufsteigen. Bei der Altarweihe verschmilzt beides, die alttestamentliche Tradition und die visionäre Schau in den Himmel, in eins. Denn seit den Tagen der ersten Christen ist der Altar ein Symbol für Christus selbst, „ein sichtbares Zeichen für das Geheimnis Christi“, wie es im Gebet vor der Salbung heißt.

Wie wir alle bei der Taufe und in der Firmung sowie Priester und Bischöfe bei ihrer Weihe, mit Chrisam gesalbt wurden, so wird der Altar durch die Salbung herausgenommen aus dem funktionalen Alltag. Er ist nicht mehr irgendein Steinblock in Tischform, sondern wird geweiht ausschließlich zum liturgischen Dienst, zur Feier der Eucharistie. Wie das Kreuz ist dieser Altar ein Zeichen der Vergegenwärtigung des Erlösungsgeheimnisses, das sich im Evangelium schon ankündigte: „Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wiederaufrichten. (…) Er aber meinte den Tempel seines Leibes“ (Joh 2,19.21). Also schreiten wir zur Tat, zur Weihe des Altars!

[1] Aus: Edith Steins Werke VII. aus dem Leben einer jüdischen Familie. Das Leben Edith Steins: Kindheit und Jugend. Herder: Freiburg 1965, S. 282.

[2] Vgl. Kirchenführer St. Peter und Paul Genderkingen, Roch-Druck: Höchstädt o.J., S. 3.