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Wichtiges
Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier zum 100. Todestag der sel. Maria Theresia Ledóchowska am 17. Juli 2022

Die „Mutter der Afrikaner“: Menschen am Rande Würde geben!

17.07.2022

in der aktuellen Ausgabe der Missionszeitschrift "Echo aus Afrika" (Juli/August) habe ich in meinem Grußwort schon einiges über das beeindruckende Glaubenszeugnis der seligen Maria Theresia Ledóchowska (1863-1922) gesagt, die in den Jahren des Übergangs vom 19. ins 20. Jahrhundert so viel für die afrikanischen Missionen und die Befreiung von Menschen aus der Sklaverei geleistet hat.

Heute möchte ich auf einen speziellen Aspekt hinweisen, den ich mit Blick auf diese außergewöhnliche Frau aus Niederösterreich besonders bedeutsam finde, und der gerade auch für unsere heutige Zeit von großer Relevanz ist.

Wir schreiben das Jahr 1888. Maria Theresia ist Hofdame am Hof Ferdinands IV. von Toskana, des Erzherzogs von Österreich. Sie lebt und arbeitet in einem feudalen Gebäudeteil der Salzburger Residenz, den man heute "Toskanatrakt" nennt. Als Frau, die selbst aus adligem Hause stammt, begleitet sie die herzogliche Familie auf vielen Reisen durch Europa und verkehrt in den höchsten Kreisen. Es ist eine sichere Stellung, für welche ihre Mutter Josefine sich mittels arrangierter Empfehlungsschreiben sehr eingesetzt hatte. Nun war die Tochter also gut versorgt und damit hätte die Geschichte enden können. Dem war aber nicht so.

Alles änderte sich, als Maria Theresia eines Tages einem der größten Missionare des 19. Jahrhunderts, Kardinal Charles Lavigerie (1825-1892), dem Gründer der Weißen Väter begegnete, der bei einer Ansprache speziell die Frauen Europas dazu aufrief, die „Gräuel [der Sklaverei in Afrika] überall bekannt zu machen und gegen sie die Entrüstung der zivilisierten Völker zu mobilisieren“[1]. Die schrecklichen Berichte über die unmenschliche Behandlung Tausender Menschen auf dem afrikanischen Kontinent trafen die junge Frau tief ins Herz und sie entschloss sich, für die Befreiung von Sklaven tätig zu werden.

Da es ihr als Hofdame jedoch nicht gestattet war, öffentlich in Erscheinung zu treten, verfasste sie zunächst unter verschiedenen Pseudonymen mehrere Publikationen wie das Volksdrama "Zaida, das Negermädchen", in denen sie die brutale Behandlung der unzähligen Versklavten anprangerte. Bald jedoch war ihr das Tun im Verborgenen zu wenig. Zum Entsetzen ihrer Mutter gab sie ihre Stellung am Hofe auf. Ein kritischer Moment, denn von einem auf den anderen Tag war nicht nur die materielle Sicherheit dahin. Die feinen Damen am Hof lachten, als sie davon hörten, dass Maria Theresia nun mit voller Kraft die Missionstätigkeit und die Evangelisierung der afrikanischen Völker unterstützen wolle, um möglichst viele Menschen zu befreien, denen jegliche Würde genommen wurde. „Missionsnärrin“, spotteten sie. Heute würde man vielleicht sagen „fromme Spinnerin“, „Weltverbesserin“.

Doch Maria Theresia war sich innerlich sicher, dass dies ihr Weg war und es gelang ihr, durch zahlreiche Schriften und Vorträge Spenden für die afrikanischen Missionen zu generieren, wodurch immer mehr Aufklärung betrieben und Menschen freigekauft werden konnten. Evangelisierung und die Befreiung von Menschen aus der Sklaverei gingen nach dem Verständnis der seligen Maria Theresia nämlich Hand in Hand, eine Sicht, die für die christlichen Kirchen lange Zeit nicht unbedingt galt, weswegen an der Stelle auch Papst Leo XIII. erwähnt werden muss, der sich damals sehr für die Befreiung von Sklaven einsetzte.

Im Jahr 1894 gründete Maria Theresia schließlich die Petrus-Claver-Sodalität für die afrikanischen Missionen“, die wir heute als Ordensgemeinschaft der  „Missionsschwestern vom hl. Petrus Claver“ kennen, und welche seit ihren Anfängen die missionarische Bewusstseinsbildung unterstützt, u.a. durch die Verbreitung religiöser Schriften, Geld- und Sachspenden für Missionare, Ausbildung von Katechisten und nicht zu vergessen, das begleitende Gebet. Nach der anfänglichen Konzentration auf Afrika werden heute pastorale Projekte sowie humanitäre Hilfe auch auf anderen Kontinenten geleistet. Ich kann an der Stelle nur sagen: Vergelt’s Gott!

Was aber ist nun der entscheidende Aspekt, auf den ich eingangs hingewiesen habe und der diese Frau in besonderer Weise auszeichnet? Für mich ist es der beispielhafte Ausbruch aus der Gleichgültigkeit verbunden mit einer entschiedenen Umkehr und Hinwendung zu einem Leben in der Nachfolge Jesu Christi. Das beginnt zunächst damit, sich vom Schicksal notleidender Menschen berühren zu lassen und in ihnen Geschwister zu erkennen. Die Botschaft der Liebe Gottes galt von Anfang an allen, weswegen niemand aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe seiner Würde als Geschöpf Gottes beraubt werden darf. Es reicht aber nicht, das nur zu wissen. Für Maria Theresia war angesichts dessen, was sie aus Afrika hörte, klar, dass es den aktiven Einsatz braucht, damit diese Botschaft in allen Ländern der Erde vernommen und Wirklichkeit werden kann.

Wie viele vor ihr las sie in der Bibel und kannte all die Geschichten wie das Gleichnis vom Festmahl, das wir im Lukasevangelium finden (vgl. Lk 14,15-24). Darin lädt ein reicher Mann viele Menschen ein, an einer großen Feier teilzunehmen, doch einer nach dem anderen entschuldigt sich unter irgendeinem Vorwand. Kurz zuvor hatte Jesus noch gesagt, man solle Festmähler nicht nur für Freunde und reiche Nachbarn geben, die sich durch eine Gegeneinladung revanchieren können. Selig sei hingegen, wer ein Essen ausgibt für Arme, Kranke und Menschen, die keine Gegenleistung erbringen können. Beim Lesen dieser Bibelstelle ging für Maria Theresia plötzlich etwas auf. Sie erkannte in der Erzählung eine Art Analogie zum Hier und Jetzt, konkret zur Gleichgültigkeit vieler Menschen im reichen Europa, die teils schon überdrüssig ihren Wohlstand genossen und gleichzeitig keinen Finger rührten für die unterdrückten Menschen in Afrika.

Dabei ist die Heilige Schrift in diesem Punkt doch recht eindeutig. „Löse die Fesseln der Unschuldigen, gib den Hungrigen dein Brot, lass deinen Bruder nicht im Stich“ (vgl. Jes 58, 6b-10) haben wir in der heutigen Lesung gehört. Doch rief diese Botschaft bei vielen Menschen keinerlei Reaktion hervor. "Was geht das uns an?" Sicherlich ganz bewusst wählte Maria Theresia diese Frage als Titel für ein Buch, in dem sie die Teilnahmslosigkeit vieler Christen kritisierte und Argumente anführte, warum es aus christlicher Sicht eine Pflicht sei, die Antisklaverei-Bewegung und Christianisierung Afrikas zu unterstützen. Mit markanten Worten stellte sie bei einer Konferenz im Jahr 1905 fest: Fehler, die die Liebe verletzen - da ist vor allem die Gleichgültigkeit.”

Hand aufs Herz, liebe Mitchristen, ist das nicht auch eines der größten Probleme unserer Zeit? Mir kommt ein Bild von Papst Franziskus in den Sinn, der zu Beginn seines Pontifikats am Strand von Lampedusa der unzähligen toten Flüchtlinge gedachte, die bei der Überquerung des Mittelmeeres ertrunken waren. So viele Tote, die keinen anderen Ausweg mehr sahen, der Not zu entkommen, als das Risiko einer lebensgefährlichen Überfahrt ins "gelobte Land Europa". Immer wieder kritisiert der Heilige Vater seitdem die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" und ruft zu mehr Solidarität und Geschwisterlichkeit unter den Völkern auf. Ich denke, die selige Maria Theresia wäre heute begeistert darüber, mit welch eindrücklichen Worten und Gesten Papst Franziskus auf die Schwestern und Brüder hinweist, die in vielen Ländern der Welt unter großer Not leiden und deren Schrei der Verzweiflung kaum zu überhören ist.

Doch noch immer gibt es viele Leute, welche diese eklatante Ungerechtigkeit vielleicht wahrnehmen, durch ihre Art zu leben aber gleichsam mit der Frage beantworten: „Was geht das uns an?" Wir alle wissen, dass die Güter dieser Erde höchst ungleich verteilt sind. Der weltweite Hunger steigt mittlerweile wieder und der maßgeblich von den reichen Industrienationen verursachte Klimawandel verschärft die Ungleichheit noch zusätzlich. In seiner Enzyklika Fratelli tutti (FT) weist Papst Franziskus deshalb auch darauf hin, dass die Sklaverei heutzutage keineswegs überwunden ist - im Gegenteil, es wachsen sogar neue Formen (vgl. FT 24). Kriminelle Kreise nutzen die modernen Informationstechnologien, um junge Frauen und Männer aus armen Gegenden in die Abhängigkeit zu locken und sie dann auf verschiedene Weise auszubeuten. Darum hat der Aufruf der seligen Maria Theresia Ledóchowska nichts an Aktualität verloren. Wo ist das Mitleid der Christenheit?[2], schreit es aus ihren Texten, wobei sie darauf verweist, dass die Befreiung unterdrückter Menschen ein Akt der Gottes- und Nächstenliebe sei, vgl. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40)

Ihrer Berufung folgend sammelte sie alsbald Gefährtinnen, mit denen sie ein geistliches Leben führte. Zwei Stunden entfernt von Salzburg bezog die Sodalität eine alte Mühle, die sie "Maria Sorg" nannten. Hier errichteten sie eine eigene Druckerei und ergänzten das "Echo" um weitere Zeitschriften, Kalender, Religions- und Schulbücher, Katechismen, Gesang- und Gebetbücher. Schon von Krankheit gezeichnet war es ein großer Wunsch der unermüdlich arbeitenden Maria Theresia, möglichst viele Länder in Afrika mit religiösen Büchern und Schriften in einheimischen Sprachen zu versorgen. Durch ihre Liebe und ihr Engagement, insbesondere für die Völker dieses Kontinents, wurde sie zur "Mutter der Afrikaner". Bis zuletzt war sie von mehreren Päpsten, Bischöfen, Priestern und Laien überaus geschätzt und unterstützt. Lächelnd starb sie am 6. Juli 1922. Papst Paul VI. sprach sie im Jahr 1975 selig. Im entsprechenden Dekret heißt es: "Aus tiefstem Mitleid mit dem Los der Afrikaner widmete sie auf Anhieb des Heiligen Geistes ihre Kräfte und ihr Leben dem Apostolat der afrikanischen Missionen."[3]

 

Liebe Schwestern und Brüder,

vor wenigen Wochen war ich mit einer großen Pilgergruppe aus Augsburg in Assisi. Dort liegt seit kurzem der ebenfalls seliggesprochene Carlo Acutis, der mit 15 Jahren an Leukämie verstarb und von dem sicher schon viele von Ihnen gehört haben. Es gibt etwas, was diesen Jungen mit der seligen Maria Theresia verbindet: Das Verständnis und die Treue zum katholischen Glauben bei gleichzeitiger Nutzung neuer Medien für die Verbreitung der christlichen Botschaft. Waren es bei Maria Theresia noch Druckschriften und Flugblätter, nutzte Carlo bereits das Internet, um andere Menschen für den christlichen Glauben zu begeistern. Zugleich hatte auch er die Menschen am Rande im Blick, so dass sich seine Mutter später bei der Beerdigung wunderte, wer all die Obdachlosen und Bedürftigen waren, denen Carlo während seines kurzen Lebens im Verborgenen geholfen hatte.

Dies zeigt, dass Heiligkeit damit beginnt, Gottes Botschaft zu verinnerlichen und entsprechend zu handeln. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen und können uns diese beiden Glaubenszeugen zu Vorbildern nehmen. "Das Göttlichste des Göttlichen ist, mitzuwirken am Heil der Seelen.", lautet der Wahlspruch der Missionsschwestern vom hl. Petrus Claver. Sie, liebe Missionsschwestern, folgen diesem Auftrag durch ihren täglichen Dienst. Dafür möchte ich Ihnen von ganzem Herzen danken und Sie auf dem Weg der Nachfolge bestärken. Wenn aber der Tag kommt, an dem es uns schwer fällt oder wir vielleicht mal nicht mehr weiter wissen, können wir uns an die Worte der seligen Maria Theresia Ledóchowska erinnern, die uns einen guten Rat mitgegeben hat: „Immer heiter, Gott hilft weiter!“[4]

[1] Winowska, Maria: Das Geheimnis der Maria Theresia Ledóchowska. Leben und Werk der seligen "Mutter der
  Schwarzen“, Aschaffenburg 1977, 25.

[2] Vgl. Ledóchowska, Maria Theresia: Was geht das uns an? Gedanken und Erwägungen über das Werk der
  Antisclaverei und die katholische Missionsthätigkeit in Afrika, Salzburg 1892, 17ff.

[3] Walzer, Maria Theresia: Auf neuen Wegen. Über Leben und Wirken der ehrwürdigen Dienerin Gottes Maria
  Theresia Ledochowska, Reimlingen 1972, 115.

 

[4] vgl. https://www.mariasorg.at/gruenderin, 06.07.2022.