Im Alltag Gutes tun
Lieber Mitbruder Johannes, liebe jungen Christinnen und Christen, liebe Schwestern und Brüder im Herrn, nach welchem Prinzip handelt ihr? Die Texte des heutigen Tages stellen uns zwei Möglichkeiten vor Augen: „Wie ich mir, so ich dir!“ lautet das eine Motto. Dem gegenüber steht die sogenannte Goldene Regel, die Jesus im Evangelium formuliert: „Wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!“
Die beiden Aussagen klingen zunächst vielleicht ganz ähnlich, aber sie sind doch grundverschieden. Überspitzt formuliert entdecken wir sie im Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Als Christen können wir zwei Prägungen an uns feststellen: eine irdische und eine himmlische.
„Wie du mir, so ich dir!“ – so scheint unsere Welt zu funktionieren. Bist du mir gut, so bin ich auch gut zu dir; aber wehe, du kommst mir in die Quere, dann zeig ich dir, wer hier der oder die Stärkere ist. Wir sehen dieses Prinzip auf allen Ebenen verwirklicht, in den Krisen- und Kriegsgebieten auf der Erde, in polarisierenden Debatten der Politik, in globalen Handelsbeziehungen, unter Arbeitskollegen, auf dem Schulhof. Auf allen Ebenen finden wir Mechanismen, die nach diesem Muster ablaufen, und Menschen, die das Recht des Stärkeren propagieren. In weiten Teilen funktioniert unsere Welt so, heute wie damals zurzeit Jesu oder in den Jahrhunderten davor.
Auch David, von dem wir in der ersten Lesung gehört haben, war damit konfrontiert. Die Episode heute hat eine lange Vorgeschichte. David diente am Hof des Königs Saul und war sogar mit seiner Tochter verheiratet. War am Anfang das Verhältnis zwischen David und Saul gut, so begann König Saul wohl aus Eifersucht David nachzustellen, er trachtete ihm sogar nach dem Leben. David brachte sich in Sicherheit, er floh vor dem König und es bildeten sich zwei verfeindete Lager, so jedenfalls sah es Abischai, ein Begleiter Davids. Der sieht nach Monaten der Verfolgung eine allzu günstige Gelegenheit gekommen: alle schlafen und der Speer dazu liegt bereit, mit einem einzigen gezielten Stoß ließe sich das Problem Saul aus der Welt schaffen. Aber David selbst will sich nicht auf diese Weise aus der Situation retten. Es ist sogar das zweite Mal, dass er sich dagegen entscheidet, Saul zu töten. Speer und Wasserkrug wandern in seinen Besitz – damit kann er beweisen, dass er nicht daran interessiert ist, mit dem König in Feindschaft zu leben. Das zeigt uns eine andere Form von Stärke, von der wir uns auch heute anstecken lassen dürfen. Gelegenheiten zu Vergeltung und Bosheiten nicht wahrzunehmen – das ist die größere Gerechtigkeit. Ich weiß, ich könnte mich rächen, aber ich tu es nicht. Das erfordert Klugheit und Barmherzigkeit.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche Einladung Jesu an uns ergeht. Jesus ruft uns dazu auf, diesen Mechanismus von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen. Er schlägt eine eigene Taktik vor, um denen, die uns das Leben schwermachen, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Anstatt Böses mit Bösem zu vergelten, lautet sein Rat an uns, darauf mit Segen und Wohltaten zu antworten. Das ist kein Ruf zum Duckmäusertum und schon gar kein Aufruf zu toxischen Beziehungen. Jede und jeder darf für sich selbst und andere einstehen. Nichts spricht dagegen, sich in Sicherheit zu bringen und Hilfe zu holen. Wenn wir uns an Jesus selbst orientieren, dann dürfen wir nicht vorschnell an seinen Kreuzestod denken. Denken wir zunächst daran, wie souverän und frei Jesus sich gegenüber allen möglichen Menschen und Gruppierungen bewegt hat; bis zuletzt benennt Jesus anderen gegenüber sehr deutlich, was Recht und Unrecht ist, auch vor dem Hohepriester Kajaphas, einer religiösen Autorität, als dieser ihm im Zuge der Anschuldigungen, die schließlich zu Jesu Todesurteil führen, auf die Wange schlägt.
Wenn dir Unrecht widerfährt, darfst du es selbstbewusst benennen; es ist nicht okay, wenn dich jemand wie „Dreck“ behandelt, du bist geliebtes Kind Gottes. Zugleich empfiehlt es sich darauf zu achten, dass der eigene Gerechtigkeitssinn einen nicht kaputt und unfrei macht; bisweilen läuft der Mensch Gefahr, sich daran abzuarbeiten, eine Gerechtigkeit oder Gleichheit einzufordern, hinter der die Realität unserer Lebensumstände immer zurückbleiben wird. Manches kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden und es ist klug, nach vorne zu blicken.
Was Jesus uns im heutigen Evangelium an die Hand gibt, ist anspruchsvoll. Er hat seine Worte direkt an seine Jünger gerichtet, an die, die auf ihn hören, an die, die in seiner Nähe sind. Ich denke, das ist entscheidend, um zu verstehen, welchen Weg Jesus hier weisen möchte. Die Stärke zu einer Liebe, die sogar dem Feind verzeiht, erlangen wir nicht, indem wir möglichst verbissen darum wetteifern, wer von uns möglichst viel und lang immer lieb und brav ist. Die Stärke, die auch David ausgezeichnet hat, gewinnen wir aus der Nähe Jesu. Bei ihm sind wir an der Quelle von allem, was vollkommen, gut und heilig ist. Von ihm lernen wir, als Menschen des Himmels zu handeln. Wie könnten wir das, was wir heute von Jesus gehört haben, im Alltag umsetzen? Ich schlage vor, wir beginnen mit kleinen Übungen, ich möchte einige Beispiele aufzählen:
Du kannst dir vornehmen, bei nächster Gelegenheit darauf zu verzichten, jemandem etwas heimzuzahlen. Steige aus der Gewaltspirale aus und versuche, schwierige Situationen auf friedliche Weise zu klären.
Einmal ehrlich angeschaut: wie viele Minuten oder gar Stunden, wie viele Worte verwenden wir in der Woche, um uns über andere aufzuregen. Vielleicht ist das für manche unter euch schon eine gute Challenge für die nächste Fastenzeit: nicht nur von Mobbing und Cybermobbing Abstand zu nehmen, sondern auch von den kleinen Lästereien und dem Gerede, das hintenherum stattfindet… Und stattdessen: Möglichst nur Gutes über andere zu sagen oder mit Gott ins Gespräch zu kommen, wenn ich mit einer Person Schwierigkeiten habe und ihn um seinen Segen – gerade für diese Person – zu bitten. Das kann extrem herausfordernd werden, aber vielleicht auch eine Erleichterung, wenn man spürt, dass man sein Umfeld nicht ständig mit negativen Aussagen über andere vergiftet.
Die Rede Jesus legt uns nicht nur nahe, Böses sein zu lassen, sondern auch das Gute, das wir tun, aus der rechten Motivation heraus zu tun. Auch dazu gibt es jeden Tag zahlreiche Gelegenheiten:
Beobachte dich in den kommenden Tagen einmal, ob du Gutes tun kannst, ohne berechnend zu sein, also ohne dass du einen Nutzen oder Vorteil daraus ziehst. In der kurzen Videosequenz haben wir gesehen, dass Jesus im Bad der Menge jedem Menschen einen aufmerksamen Blick geschenkt hat. Wir dürfen als Christen einen wachen Blick dafür entwickeln, nicht unseren eigenen Vorteil zu erspähen, sondern den anderen und seine Not wahrzunehmen.
Mache einem Menschen eine Freude, der dir nichts zurückgeben kann.
Tagtäglich bietet uns das Leben eine Fülle an Gelegenheiten zu handeln - zum Guten wie zum Schlechten. Immer wieder stehen wir vor der Wahl, ob das Gute eine echte Chance bekommt. Du darfst als Christ überall, wo du stehst – sei es am Arbeitsplatz, im Freundeskreis oder in der Schule - einen Unterschied machen; einen Unterschied, der das Gesicht dieser Welt etwas himmlischer prägt. Du kannst es, weil Gott in deiner Nähe ist!