„Kein Tag des Urteils, sondern ein Tag des Gebets.“
Der Kreuzweg Jesu geht weiter. Ein Beispiel dafür ist der Kalvarienberg in Wettenhausen. Wertvolle Figuren und Skulpturen wurden verunstaltet und beschädigt. Wir können sie reparieren und restaurieren, wenn auch mit entsprechendem finanziellen Aufwand. Doch das eigentliche Problem sitzt tiefer.
Der Kreuzweg Jesu geht weiter. Mächte und Gewalten sind angetreten gegen die lebendigen Zeugen des Allerhöchsten, gegen Kultus und Kultur, gegen Frömmigkeit und Pietät. Was immer uns bewegt angesichts des äußeren Schadens, den die Kreuzwegstationen hier in Wettenhausen nun schon zum zweiten Mal genommen haben, welche Erklärungen und Ratschläge vielleicht mancher von uns schnell parat hat, um Ähnliches künftig zu vermeiden, letztlich geht es um eine tiefere Problematik: die Verletzung religiöser Gefühle, in dem sich durchaus auch die zunehmende Tendenz widerspiegelt, Gott und Seine Kirche mit Hassparolen und Schmierereien, mit Fake News und Kampagnen zu verunglimpfen.
Dass bei uns in der katholischen Kirche nicht alles Gold ist, was glänzt, wissen wir alle. Das tut mir leid, es beschämt mich. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Gläubigen, auch der Kleriker durch ihr tagtäglich gelebtes Zeugnis dem Evangelium alle Ehre machen. Darauf bin ich stolz, dafür bin ich dankbar. Die Beschädigung des Kalvarienbergs ist für mich ein Fingerzeig. Auch eine Entgleisung wie hier in Wettenhausen sollte uns als Christen nicht dazu verleiten, uns entweder ins Schneckenhaus oder gar in einen Bunker zurückzuziehen. Halten wir Jesus Christus hoch, der das Kreuz getragen hat nach Golgatha.
Der Kreuzweg Jesu geht weiter. Mein Blick geht in die Ukraine, wo ein gefährlicher Krieg wütet, der zum Flächenbrand werden kann. Machen wir es uns bewusst: Der Krieg ist nicht weit weg, er ist vor unserer Haustür. Wettenhausen berührt uns, doch hier geht es um Kunst und Volksfrömmigkeit. In der Ukraine und in vielen Teilen der Welt wird der Kalvarienberg handgreiflich, er wird zum Ernstfall: Was tun wir im Blick auf die beschädigten und zerbombten Kirchen unserer Brüder und Schwestern in einem Land, das nur zwei, drei Flugstunden von uns entfernt ist? In der Ukraine leben vorwiegend Christen, in der Taufe der Rus in Kiew steht symbolhaft die Wiege des Christentums für Mittel- und Osteuropa. Dieses Land ist mehr als Geographie, es ist Verpflichtung.
Lassen Sie mich ein Wort zitieren aus der Feder des Dichters Reinhold Schneider: „Wo die ordnenden Kräfte nicht tragen, da nehmen die Mächte der Tiefe die Last auf sich und schleppen sie dem Abgrund zu.“ Wie ein Echo klingt das Gedicht, das ebenfalls von Reinhold Schneider stammt: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen.“
Der Kreuzweg Jesu geht weiter. ER trägt sein Kreuz durch die Geschichte. Dafür steht auch der Kalvarienberg hier in Wettenhausen. Jetzt ist kein Tag des Urteils, es ist ein Tag des Gebets. Ich danke Ihnen allen von Herzen für Ihr Kommen, Ihre Solidarität und Ihre Bereitschaft, den Kreuzweg mitzugehen und mitzubeten. Im Blick auf die möglichen Täter und ihre Motive gebe ich den Rat, den uns Jesus selbst ans Herz legt, als er sein Kreuz zum Kalvarienberg nach Jerusalem schleppte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 22,34)
Der Kreuzweg Jesu geht weiter. Doch gerade an diesem 4. Fastensonntag Laetare, der zum Thema die Vorfreude auf Ostern hat, vertraue ich fest darauf, dass der Karfreitag nicht das Ende bedeutet. Wie heißt es doch so schön: Per crucem ad lucem! Durch das Kreuz zum Licht!