Kirche: vom Wörtervolk zum Resonanzkörper des Heiligen Geistes
Wenn sie unregelmäßig werden, nehmen wir sie richtig wahr: unsere Herztöne. Dabei sind sie es, die unser Leben erst ermöglichen. Die Mütter unter ihnen werden sich an die Erfahrung erinnern, wie es war, als sie zum ersten Mal die Herztöne ihres ungeborenen Kindes spürten oder bei der ärztlichen Ultraschalluntersuchung - extrem verstärkt – zum ersten Mal hörten. Herztöne bedeuten Leben, zerbrechliches, schützenswertes, einmalig wunderbares Leben.
Gerade wir gläubigen Menschen wissen um diesen kostbaren Schatz des Lebens und doch sind auch wir in Gefahr, dem Wirken Gottes in unserem eigenen, persönlichen Leben nicht den Raum zu geben, der zur Verwandlung führt. Im Buch Jesus Sirach haben wir gehört, dass Gott dem Menschen „Entscheidungsfähigkeit, Sprache und Augen, Ohren und Herz“ (Sir 17,6) für „eine Anzahl von Tagen und eine bestimmte Zeit“ (Sir 17,2) gegeben hat – unser Leben ist endlich, der Tod ist unausweichlich. Einmal kommt der Tag, da wird dieses mein Herz zu schlagen aufhören, dann werde ich nicht mehr sagen können: Das mache ich morgen, nächste Woche, in einem Jahr… Dann spricht man von mir als einem Menschen, der gelebt hat, und die Zeit entfernt sich von mir. Warum machen wir uns diese Unwiderruflichkeit so selten bewusst? Weil sie uns Angst macht?
Vor einigen Jahren landete die Palliativpflegerin Bronnie Ware mit dem Buch „Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ einen Bestseller. Denn sie traf damit den Nerv vieler Menschen, die ihre innere Sehnsucht niederhalten, das wahre Leben auf ein unbestimmtes Später verschoben, ohne sich einzugestehen, dass es dann vielleicht zu spät sein könnte. In der Begleitung Sterbender erfährt sie, dass die Menschen im Angesicht des Todes bedauern, der Liebe in ihrem Leben nicht mehr Raum gegeben zu haben. Bronnie Ware fasst all diese Gespräche unter folgenden fünf Wünschen zusammen:
Ich wünschte, …
ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarteten.
ich hätte nicht so viel gearbeitet.
ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.
ich hätte mir mehr Freude gegönnt.
Alles eigentlich etwas ganz Unspektakuläres, meine ich. Warum fällt es uns dann aber so schwer, auf diese Herztöne in unserem Innern zu hören?
Im heutigen Evangelium hörten wir, wie Jesus seine Jüngerinnen und Jünger seiner unwandelbaren Liebe versichert: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich Euch geliebt“ (Joh 15,9). Das dürfen wir wirklich glauben! Wenn wir aus diesem Glauben heraus leben, dann verändert sich nicht nur etwas in unserem Leben, sondern dann verändert sich alles - wie der Geigenbauer Martin Schleske aus Landsberg in seinem Buch „Herztöne“ schreibt: „Dankbarkeit erzeugt ein Empfinden von Fülle. Undankbarkeit erzeugt – egal, wie gut es uns geht – ein Empfinden des Mangels.“[1] Und: „Was wir wissen oder zu wissen glauben, betäubt uns das Ohr. Die hörende Leere, die wir brauchen, ist nicht Wissen, sondern eine in den Himmel hineinhorchende Stille. Schweigendes Gebet heißt nicht, dass wir nichts sagen, sondern dass wir Gott wortlos unser Herz zuneigen. Lass deinem Ohr die Zeit, sich auf den Himmel einzustellen.“[2]
Viele Worte haben wir im ersten Teil des Gottesdienstes bereits gehört. Wenn ich meinen eigenen Tagesablauf, den Kalender, betrachte, stelle ich fest, dass ich oft von einem Termin zum anderen hetze, eine Sitzung nach der anderen absolviere, viel rede und zu wenig höre. Sieht so das „Kerngeschäft“ eines Seelsorgers aus? Ich habe den Eindruck: Die Kirche ist zu einem „Wörtervolk“ geworden, zu einem Debattierclub über Gott und die Welt. Hat dabei der Heilige Geist noch eine Chance? Sind wir ein Resonanzkörper des Heiligen Geistes. Ich muss ehrlich sagen: Ich weiß es nicht.
Bereiten wir nun unser Herz in der Stille auf das Kommen dessen vor, der uns Freundinnen und Freunde genannt und uns „alles mitgeteilt hat, was“ er „von seinem Vater gehört“ hat (Joh 15,15). Ich lade Sie ein, Ihre rechte Hand auf Ihr Herz zu legen und beim Hören auf den Herzschlag sich mit unserem Gott, der die Liebe ist, zu verbinden.
[1] Martin Schleske, Herztöne. Das kleine Buch. Asslar: adeo 2018, S. 91.
[2] Ebd. S.90.