Menü
Wichtiges
Predigt im Rahmen des Festgottesdienstes am 01. April 2023 in der Basilika St. Alexander und Theodor zu 1.050 Jahre Wahl des hl. Ulrich zum Abt der Benediktinerabtei Ottobeuren

Klöster als „Gegenorte“ der Gesellschaft

01.04.2023

Lieber Abt Johannes mit allen Mitbrüdern des Konvent! Liebe Schwestern und Brüder in Christus! Immer wieder staune ich, wie Gott den Weg weist, wie er sein Wort hineinspricht in ein Ereignis oder eine aktuelle Situation.

Im Johannesevangelium haben wir gehört, wie sich Jesus „in eine Gegend nahe der Wüste“ zurückzog (vgl. Joh 11,54). Wie passend ist diese Stelle für unser heutiges Jubiläum, die Ernennung des hl. Ulrich zum 7. Abt von Ottobeuren vor 1.050 Jahren!

Jesu Rückzug folgte auf die Auferweckung des Lazarus. Dieses Wunder war Jesu letztes und größtes Zeichen vor seiner Passion. Immer wieder geht Jesus in die Einsamkeit und sucht die Stille. Am Anfang seines öffentlichen Wirkens macht er 40-tägige Exerzitien in der Wüste mit dem „vollen Programm“, auch mit Versuchungen, denen er widersteht (vgl. Mk 1,12f. par.).

Die Wüste ist ein Ort der Selbstvergewisserung und letztlich der Gottsuche und Gottesbegegnung. Dort spürt Jesus immer wieder im Gebet zum Vater seinem Weg nach, seiner Mission. Dahinter steht auch die alttestamentliche Erfahrung des Volkes Israel, das beim Auszug aus der ägyptischen Sklaverei durch die Wüste Gott als treu und fürsorgend, als den „Gott-mit-uns“ erfahren hat. Tun wir es Jesus gleich. Gönnen wir uns „Wüstenzeiten“!

In der Wüste Ägyptens lassen sich die Ursprünge der klösterlichen Lebensform im Verlauf des 4. Jahrhunderts festmachen. In der Einsamkeit der Wüste (gr. „eremos“, wovon sich die Bezeichnung Eremit ableitet) lebten Christen allein (gr. „monachos“) oder in Gemeinschaft eine besondere Form der Nachfolge Christi – abgesondert von der Welt, aber nicht völlig ohne Beziehung zur Welt. Immer wieder sind gerade „die Frauen und Männer der Wüste“ als Ratgeberinnen und Ansprechpartner gefragt – damals wie heute.

In der weiteren Geschichte des Mönchtums wird sodann eine Insel, ein abgelegenes Waldstück oder, wie im Falle der Benediktiner, meist ein Berg zur „Wüste“, zum „Gottesort“. Klöster bleiben, auch wenn sie durch eine Klostermauer abgeschirmt sind, Teil einer Gesellschaft. Weil aber in ihnen in Gemeinschaft („communio“) und im Zusammenleben („congregatio“) das Evangelium gelebt wird, bilden sie sozusagen „Gegenorte“ (Michel Foucault) zur Gesellschaft. Sie werden Magneten, sie entfalten ihre prophetische Kraft.

Wie die Kirchen und Kapellen in unseren Städten und Dörfern verweisen die Klöster in besonderer Weise auf Gott, zeugen von seiner Anwesenheit in der Welt, so wie wir es eben in der alttestamentlichen Lesung gehört haben: „Ich werde mitten unter ihnen für immer mein Heiligtum errichten, und bei ihnen wird meine Wohnung sein. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.“ (Ez 37,36f.) So können Gäste wie aufgeschlossene Besucher an diesen „Gegenorten“ feinfühlig werden und etwas von der Menschenfreundlichkeit Gottes erahnen. Für uns Gläubige seien sie eine Einladung, in der besonderen Atmosphäre Ihres Raumes, in der Stille des Gebetes, in der gemeinsamen Feier der Eucharistie Gott zu suchen und zu begegnen. Meine Bitte an Sie: Nutzen Sie die Gelegenheiten der Beziehungspflege stetig und regelmäßig!

Dabei dürfen wir Christen jedoch nicht stehen bleiben. Wir blasen weder zur „Weltflucht“ noch zum Rückzug „ins Fromme“. Aus der stärkenden Begegnung mit Jesus Christus sind wir aufgefordert, hineinzuwirken in diese Welt, „Licht und Salz“ zu sein. Wir sind dazu berufen, wie Papst Franziskus es mit Blick auf die Ordensgemeinschaften ausdrückt, „in der Gesellschaft den Sauerteig des Gottesreiches zu vergegenwärtigen“ und das vor allem durch das „Zeugnis der Bruderliebe, der Solidarität, des Teilens“ (Apostolisches Schreiben zum Jahr des geweihten Lebens vom 24. November 2014).

Einer, der dieses Charisma ausgefüllt hat, ist der hl. Ulrich. Schauen wir ganz nach vorne zum Hochaltar! Überlebensgroß steht er da, am Hochalter [links] neben den beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus [Mitte] sowie dem hl. Konrad von Konstanz [rechts]: ein ehrenvoller Platz, den Ulrich in der prachtvollen Basilika einnimmt. Damit kommt zum Ausdruck: Die Benediktinermönche waren sich stets der Wohltaten bewusst, die der damalige Bischof von Augsburg dem Kloster zu seinen Lebzeiten erwies. Seit seiner Ausbildung in St. Gallen war ja die Benediktsregel sein Lebensmotto.

Beispielhaft erwähnt sei, dass auf seine Vermittlung hin die Gebeine des hl. Martyrers Theodor aus dem Chorherrenstift Bischofszell nach Ottobeuren kamen. Seither wird Theodor als zweiter Patron des Klosters verehrt. Ulrich wusste um die Bedeutung kraftvoller Fürsprecher! Weitreichend und folgenschwer war das außergewöhnliche Privileg, das Ulrich beim damaligen Kaiser Otto I. erreichen konnte. Demnach waren die Untertanen des Reichsstiftes Ottobeuren von allen Hofdiensten und Kriegslasten befreit. Dieses Privileg galt bis zur Säkularisation 1803.

An seinem Lebensabend (973) übernahm Ulrich die Aufgabe als Abt von Ottobeuren, nachdem sein Neffe Adalbero unerwartet starb. Als sogenannter „Kommendatarabt“ bezog Adalbero zwar das wirtschaftliche Einkommen des Klosters, die geistliche Leitung der Klostergemeinschaft lag aber bei einem Mitglied des Konvents. Gegen diese Fehlentwicklung wollte Ulrich durch seine Ernennung vorgehen. Als er Station in Amendingen machte, traf er mit den Ottobeurer Mönchen zusammen. Auf seinen Vorschlag hin wählten sie aus ihren Reihen den Mönch Rudung einstimmig zum neuen Abt. Die Wahl bedurfte jedoch noch der Zustimmung des Königs. Noch auf dem Sterbebett am 4. Juli 973 erhielt Ulrich die Nachricht, dass die Angelegenheit glücklich geregelt worden sei. So berichtet es uns seine zeitgenössische Biographie.

Der hl. Ulrich – ein Gönner der Abtei Ottobeuren in durchaus krisenhafter Zeit! Er erkannte „die Zeichen der Zeit“. Als Bischof sorgte er für eine ordentliche Ausbildung der Priester und baute die durch die damals einfallenden Ungarn zerstörten Kirchen wieder auf. Mit dem Pferd oder auf einem Ochsenkarren unternahm er beschwerliche Pastoralreisen, keine Strapaze war ihm zu groß. Er visitierte die Pfarreien und verkündete kraftvoll das Evangelium. Oft führte ihn der Weg ins Allgäu. Er spendete die Sakramente und ließ den Leuten Trost und praktische Hilfe zukommen. Er war Seelsorger und Leibsorger zugleich. Er verband Verkündigung, Liturgie und Caritas! Auf Ulrich dürfen wir stolz sein.

Es ist der Blick in die Vergangenheit, der uns das Verständnis für die Gegenwart erschließt und den Weg in die Zukunft weist. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts spricht man aufgrund sinkender Zahlen in Europa und Nordamerika von einer „Krise des Ordenslebens“. Die Orden erscheinen wie „Seismographen“ für die jetzige allgemeine kirchliche Großwetterlage. Leider ist es zu einer üblen Gewohnheit geworden, bei Kirche nur an Krise und Kritik zu denken.

Beim Themenfeld Missbrauch wurde viel Vertrauen verspielt – das ist mir bewusst. Die Schuld an den Opfern wiegt schwer. Aufklärung, Aufarbeitung und Vorbeugung sehe ich als dauerhaftes Pflichtprogramm kirchlichen Handelns. Sollte es aber nicht zugleich möglich sein, nach passenden Wegen zu suchen, um den Menschen das Evangelium von Jesus Christus glaubwürdig anzubieten? Schließlich nahm er das Kreuz auf sich, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Am Kreuz hat er die gesamte Welt mit Gott versöhnt und neue Wege zum Heil gebahnt. Ist das nicht eine frohmachende Botschaft, die verkündet werden will?

Krisen bieten auch Chancen zur Weiterentwicklung. Darüber wird derzeit innerkatholisch viel debattiert. Vermeiden wir Extrempositionen! Es kann weder um eine „restauratio“ („Wiederherstellung“) nach „altem Gewand“ gehen noch um eine die Grundpfeiler umstürzende „reformatio“ („Neugestaltung“). Vielmehr braucht es eine „renovatio“ („Erneuerung“), eine im besten Sinne „Erneuerung“ der Kirche, die ihre Wurzeln und ihre geschichtliche Ausgestaltung achtet. Heute sagen wir dazu – fast als „Zauberwort“: Synodalität! Das heißt nicht, Erneuerung in einfachen Formeln zu suchen, Lösungen mit einem schnellen „Hokuspokus“ zu erzielen – womöglich verbunden mit einem lauten Knall und viel öffentlichem Rauch.

Als synodale Kirche unterwegs sein heißt: gemeinsam hören auf Gott und in Respekt aufeinander, um Schritt um Schritt voranzuschreiten. Gemeinsam Gehen ist anstrengend, es braucht Zeit und gutes Training. Es fordert von allen Beteiligten Geduld im Miteinander und Verständnis füreinander, Aufmerksamkeit für den Heiligen Geist ebenso wie Gespür für die theologischen Zusammenhänge und schließlich auch Achtsamkeit darauf, dass möglichst alle mitkommen. Sie merken: Mich treibt die Sorge um die Einheit des Volkes Gottes. Als Bischof sehe ich meine Aufgabe wesentlich als Dienst an der Einheit – im Bistum Augsburg wie mit der Weltkirche.

Eine gute Gelegenheit, als synodale Kirche in der Diözese unterwegs zu sein, bietet das bevorstehende Ulrichsjubiläum. Es steht unter dem Motto „Mit dem Ohr des Herzens (hören)“. Von daher die herzliche Einladung, die vielfältigen Angebote wahrzunehmen und die Gelegenheit zu nutzen, um hinzuhören auf das, was uns der hl. Ulrich heute noch zu sagen hat und sich einzuüben in den Pfarreien vor Ort in ein bewusstes Hören aufeinander und auf Gott.

Liebe Benediktiner von Ottobeuren, an diesem „heiligen Ort“ ist der Anbruch des Reiches Gottes spürbar. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Christusnachfolge. Sie gründet nicht auf den Mitgliedszahlen des Konvents, sondern in der Ernsthaftigkeit Ihres Zeugnisses. Liebe Pfarrangehörige, liebe Freunde und Förderer der Abtei, unterstützen Sie das segensreiche Wirken „Ihrer“ Mönche weiterhin nach Kräften und empfehlen wir sie der Obhut des hl. Ulrich, ihres ehemaligen Abtes. So braucht uns nicht bang um das Kloster Ottobeuren zu sein – der gleichnamige Titel des Tagungsbandes zur 1.250 Jahrfeier bringt es hoffnungsvoll zum Ausdruck: „Mit Gott in eine gute Zukunft übersetzen!“