St. Michael: Wer ist wie Gott? An Putin: Du bist nicht Gott!
Liebe Unterelchinger, liebe Schwestern und Brüder, wir feiern heute die Grundsteinlegung dieser wunderbaren Kirche vor 300 Jahren. Die Menschen damals wählten den hl. Erzengel Michael zum Patron ihres Gotteshauses, wohl wissend, dass sein Name eine Frage beinhaltet, die zu allen Zeiten aktuell ist: Micha-El: „Wer ist wie Gott?“
In der bildenden Kunst trägt der bewaffnete Erzengel diese Gewissensfrage meist lateinisch auf seinem Schild: Quis ut Deus? Seit der Erzählung vom Sündenfall, in der Gottes Widersacher den ersten Menschen verspricht: Wenn ihr von den verbotenen Früchten esst, werdet ihr sein wie Gott (vgl. Gen 3,5), lebt in uns Menschen bewusst oder unbewusst dieser Wunsch.
Leute, die über Wohl und Wehe anderer entscheiden, die das Rad der Geschichte zurückdrehen oder einfach nur Schicksal spielen wollen – wem fallen da nicht sofort Namen ein? So ist die Frage „Wer ist wie Gott?“, keineswegs altmodisch. Seit knapp zwei Wochen durchzittert sie uns wie selten zuvor. Keiner kann sagen: sie geht mich nichts an. Gern wünschte ich dem Diktator Putin, dass ihm Michael begegnete nicht mit der Frage „Wer ist wie Gott?“, sondern mit der klaren Ansage: „Wladimir, Du bist nicht Gott! Du hast Dich verstiegen in eine eigene Welt; du spielst Dich nur auf wie Gott. Du führst Dich auf als Herr über Leben und Tod, als Souverän über die Freiheit einzelner und eines ganzen Volkes.“ Michael, biete Deine Macht auf und mache Putin klar, dass kein Mensch Gott gleich sein kann. Weise den russischen Herrscher in Schranken! In Gottes Namen, damit der Schrecken des Krieges ein Ende hat. Krieg ist eine Niederlage der Menschlichkeit. In jedem Krieg verliert der Mensch.
Der Widerstreit zwischen Gut und Böse lebt in jedem Menschen. Da ist es gut, daran zu denken, dass Jesus, der menschgewordene Gottessohn, sich auch selbst diesem Konflikt, der Versuchung ausgesetzt hat. Heute am 1. Fastensonntag lädt uns die Kirche ein, unser eigenes Leben im Lichte dieser Episode aus dem Lukasevangelium zu betrachten.
Schauen wir auf das Ambiente, in das die Szene eingebettet ist: Jesus ging nach der Taufe am Jordan in die Wüste; genau dann, als er zum ersten Mal einer größeren Menge bekannt geworden war und Johannes ihn als den bezeugte, dessen Vorläufer er selbst war, da entzog sich Jesus den Erwartungen der Leute. Mehr noch: In dem Moment, als er die Stimme des Vaters hörte: „Dies ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören!“, da legt Jesus nicht einfach los mit seiner Botschaft; er wählt die Einsamkeit, er schaltet gleichsam die Pausentaste ein. Er zieht sich zurück, doch er flieht nicht!
Wir wissen: Die Wüste kann faszinierend und furchtbar zugleich sein. Heute noch fordert sie Tausende von Menschenleben; selbst ein touristischer Ausflug in die Wüste will gut vorbereitet sein, denn auch Sandstürme und nächtliche Kälte können das Ende bedeuten. Dennoch war dieser riskante Ort Schauplatz zentraler Ereignisse in der Geschichte unseres Glaubens: Schon das Volk Israel macht in der Wüste eine Gotteserfahrung. Sie beginnt mit Mose vor dem brennenden Dornbusch; in der 40jährigen Wüstenwanderung voller Entbehrungen und Kämpfe findet sie eine Fortsetzung: Bei Tag ging der Herr in einer Wolkensäule voran, bei Nacht in einer Feuersäule. Gott blieb immer ein naher Gott, ein Immanuel – ein Gott mit uns! Wie ist das mit uns? Erleben wir Gott als nah Gott, haben wir uns von ihm schon mal in die Wüste führen lassen und sie ausgehalten, als Chance erkannt, an den Brunnenpunkt (A. Delp) unseres ganz persönlichen, je einzigen unwiederholbaren Lebens zu gelangen?
Sich der Wüste, der Hitze, der Trostlosigkeit und scheinbaren Sinnlosigkeit auszusetzen, kostet Kraft und kann gefährlich sein. Wüsteneinsamkeit, auch die Einsamkeit, die mancher von uns inmitten der Geschäftigkeit des Alltags und im Getriebe vieler Mitmenschen erfährt, bringt uns an den Rand, dahin, wo es verlockend erscheint, das Leben hinzuwerfen und aufzugeben. Das kann viele Gründe haben: Entfremdung in der Partnerschaft oder Verlust der geliebten Ehefrau, ein Unfall oder eine niederschmetternde ärztliche Diagnose, ein Karriereknick oder Mobbing am Arbeitsplatz, das Scheitern eines Lebensentwurfes – und plötzlich fühlt man sich ausgeschlossen, wie durch eine unsichtbare Wand von allen anderen getrennt. Das ist Wüste, bleierne Hitze oder gefrierende Kälte, lebensfeindlicher Ort, der mir die Luft und die Lust zum Atmen nimmt.
Diesen Ort hat Jesus bewusst aufgesucht, just als - menschlich gesprochen - seine Karriere aussichtsreich erschien und sein gesellschaftlicher Aufstieg begann. Er zog sich zurück, nicht weil er es plötzlich mit der Angst zu tun bekam, ob er die Erwartungen der Menschen auch erfüllen kann – nein, sondern um in sich zu gehen und seine eigene Motivation zu prüfen. Der Teufel in der Geschichte, das ist die Stimme des Versuchers in einem jedem Menschenherz, die Verlockung nach Macht, Geltung und Reichtum.
Wir alle brauchen, um froh und vertrauensvoll durchs Leben gehen zu können, ein Beziehungsnetz, Menschen, die uns wohlwollen und uns fordern und fördern zugleich. Natürlich wissen wir, dass es Durststrecken gibt, wo wir uns nicht gesehen, nicht verstanden und nicht geliebt fühlen. Doch dann nicht das, was wir uns wünschen, mit Gewalt einfordern oder durch Schmeichelei und leere Versprechungen erreichen wollen, ist nicht leicht. Selbsterkenntnis und Selbstdisziplin sind nötig. Als gläubige Menschen fragen wir uns dann vielleicht auch: Was will Gott mir damit sagen, dass mein Leben jetzt eine solche Wendung genommen hat? Ist er wirklich der gute Gott oder schaut er einfach zu, wie es mir schlecht geht?
Wenn wir heute daran denken, dass die Elchinger vor 300 Jahren, 1722, den Mut aufbrachten, den Grundstein für diese prächtige Kirche zu legen, dann verneigen wir uns nicht nur vor den klangvollen Namen der Künstler wie Christian Wiedemann, Georg Eitele, Georg Geiger und wie sie alle heißen, sondern sollten uns auch vergegenwärtigen, wie viel Schweiß und Mühe es gekostet hat, ein solches Gebäude zu errichten, wie viele kleine Spenden da zusammenkamen, Summen, die sich manche Magd oder mancher Kleinbauer vom Munde abgespart hat. Heute gibt es Sponsorenlisten für große Bauprojekte, oft gut sichtbar am Eingang des Gebäudes angebracht, früher bekamen die Spenderinnen ein „Vergelt’s Gott“ und vertrauten darauf, dass sie bei Gott nicht vergessen werden.
Liebe Gemeinde von Unterelchingen, die Sie mit dieser Kirche hier groß werden oder groß geworden sind, ich wünsche Ihnen, dass Sie in den ganz persönlichen Wüstenerfahrungen ihres Lebens hierherkommen können, um sich trösten und ermutigen zu lassen. Denn dieser Ort ist „heiliger Boden“, hier ist der brennende Dornbusch, hier ist Christus persönlich gegenwärtig in Wort und Sakrament: ER, der unsere Dunkelheit, unsere Wüste selbst durchlitten hat, bis zum bitteren Ende am Kreuz. Aber das Kreuz ist kein Schlusspunkt, sondern nur ein Doppelpunkt: Es geht weiter an Ostern. Jesus geht weiter durch die Geschichte bis heute. Und St. Michael ist seine Stimme: „Wer ist wie Gott?“ Jesus der Christus. Amen.