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Wichtiges
Ansprache von Weihbischof Anton Losinger, Hoher Dom zu Augsburg am 2. Februar 2023

Licht der Welt - Lichtverschmutzung

02.02.2023

Abend für Abend beenden tausende von Menschen des „gottgeweihten Lebens“, Ordensleute, Priester, Bischöfe, selbst der Papst ihren Tag mit dem kirchlichen Abendgebet, der Komplet. Abend für Abend sprechen sie diese wundervollen lichten Worte des Greisen Simeon, die uns bei der Darstellung des Herrn im Tempel begegnen. 

„Nun lässt du Herr deinen Knecht wie du gesagt hast in Frieden scheiden, denn meine Augen haben das Heil gesehen, dass du der Welt bereitet hast. Ein Licht das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“

Das Licht der Welt – und die „Lichtverschmutzung“

Welche eine überdimensionale Freude, welch ein erfüllendes Glück, wenn einem su­chenden, wartenden Menschen das Licht der Welt begegnet, wenn die Sehnsucht ei­nes ganzen Lebens erfüllt wird. Darum lautet der Name für Himmel und Seligkeit in der scholastischen Theologie „visio beatifica“ – „glückselig-machende Schau“.

Kennen wir nicht aus persönlicher Erfahrung allzu oft das Gegenteil? Dunkelheit und Schatten. Wir erleben Menschen, die zeitlebens warten. Suchende, fragende Menschen, denen nichts aufleuchtet.

In der modernen Astronomie gibt es ein interessantes neues Phänomen und ein son­derbares Wort dazu: Lichtverschmutzung! Dahinter steht die Beobachtung: Je mehr künstliches Licht unser modernes Nachtleben erhellt, wenn selbst vom Weltall aus betrachtet ganze Kontinente nachts taghell erleuchtet sind, dann wird es für die Wissenschaftler umso schwieriger, die Sterne zu sehen. Nicht umsonst positioniert man ja das Weltraumteleskop Hubble im Orbit, um den vielen verwirrenden Lichtern auf der Erde zu entkommen. Viele Lichter – in denen man immer weniger sieht? – ist das die Diagnose unserer Moderne? Nicht Gottfinster­nis, sondern die selbst gemachte Inflation der Lichter und Leuchtkörper, die Übermacht des Lichts: ist das Problem der modernen technologischen Welt, die letztlich das Sehen blockiert?

„Lichtverschmutzung“ – und „Suchen was droben ist“

Da denke ich an Benedikt XVI, unseren emeritierten jüngst verstorbenen bayerischen Papst. Er veröffentlichte noch als Professor in Regensburg ein kleines Büchlein mit geistlichen Betrachtungen. Es trägt den signifikanten Titel „Suchen was droben ist“.

Das Buch beginnt mit einer interessanten Begebenheit, die Johann Wolf­gang von Goethe einst beobachtete. Wir schreiben das Jahr 1840. Nach der langen Unterbrechung durch die napoleonischen Kriege feiert man in Bingen am Rhein zum ersten Mal wieder das Fest des Patrons der Stadt des Hl. Rochus. Auch der Dichter­fürst ist zugegen und beo­bachtet das Geschehen. Die Menschen schieben sich in dichtem Gedränge durch die Kirche am Bild des Heiligen vorbei. Die Gesichter leuchten und spiegeln die Freude des Tages. Allerdings fällt dem Dichter ein sonderbarer Unterschied auf. Während die kleinen Kinder genauso wie die Erwachsenen und die älteren Leute fei­ern und sich aus tiefem Herzen freuen, ist es bei den Jugendlichen anders. Unge­rührt, gleichgültig und gelangweilt gehen sie vorbei. Die Erklärung, die Goethe findet ist so einfach wie bedrückend: „In schlechten Zeiten geboren hatten diese jungen Menschen nichts Gutes zu erinnern und nichts Gutes gesehen, und darum auch nichts Gutes zu hoffen.“

Gerade an diesem heutigen Tag der Darstellung des Herrn, wird uns so deutlich wie selten bewusst, was uns fehlt, wenn unserem Leben eine tragende Perspektive abgeht. Gerade in unse­rer neuzeitlichen Welt, im Zeitalter unserer modernen Wissenschaftsgesellschaft sind ja die Fragen mehr geworden als die Antworten. Die äußeren Lebensmöglichkeiten einer großen Zahl von Menschen haben sich mit dem technischen Fortschritt, jedenfalls ökono­misch gesehen, ohne Frage dramatisch verbessert. Aber die wesentlichste aller Fra­gen, die Frage nach dem Sinn des Lebens tritt uns heute im Zeitalter der Wissensge­sellschaft mit neuer Schärfe entgegen. Was bleibt den Menschen, wenn sie alles haben, wenn ihnen aber eine himmlische Perspektive fehlt?

Da mag man sich an diesem heutigen Tag der Darstellung des Herrn an das große Wort des Johannes Prologs erinnert fühlen, und das Dilemma, das es markiert: „Das Licht leuchtet in die Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht ergriffen. Er kam in sein Eigentum, aber die seinen nahmen Ihn nicht auf.“ Da sind die vielen Augen suchender und wartender Menschen heute. Sie haben das Heil gesehen, aber sie leben in einer modernen Welt, die sich selbst im Weg steht und ihre Lebensperspektive verdunkelt.

Das Licht der Welt  - eine „Lebensperspektive“

Eine erhellende historische Begegnung mit dem Licht der Welt soll am Ende dieses Gedankens stehen. Es ist ein Tschechoslowakischer Arzt, der aus seiner Zeit der Gefangenschaft hinter dem Eisernen Vorhang berichtet. Es ist die Zeit harter Christenverfolgung während des Kalten Krieges, von denen sich reihenweise Dokumente im Apostolischen Archiv, dem ehemaligen päpstlichen Geheimarchiv in den Vatikanischen Bibliotheken finden, die nun nach 70 Jahren Datenschutz geöffnet sind und wissenschaftlich erforscht werden. Es ist ein ergreifen­des Zeugnis dieses inhaftierten Arztes, der sich die Frage stellt: Wovon überlebten die Menschen im Gefängnis? Seine Antwort:

„Inmitten der Verfolgungen, in den schwierigsten Augen­blicken hat uns das Wort Gottes Kraft gegeben. Seit langem wussten wir, dass man viele von uns die wir als Christen tätig sind, einsperren würde. So hat unsere Gruppe im Gefängnis einen `Vertrag` abgeschlossen, nämlich, dass jeder von uns, da es im Gefängnis ja keine Bücher und keine Bibel gab, einen Teil der Heiligen Schrift auswen­dig lernen sollte… Abend für Abend konnte dann jeder von uns der Reihe nach sei­nen Teil seines Schatzes an die anderen austeilen.

Nie zuvor habe ich die Unterstützung, die aus Gottes Wort kommt so gespürt, wie in den 13 Jahren, die ich im Kerker verbrachte. Doch nicht nur ich war der Glückliche, den von meiner Zelle aus wurde das Evangelium mit Morsezeichen an andere Zellen weitergefunkt. Jeden Tag ein Satz, ein Licht der Welt, ein Wort das uns am Leben erhielt!“.