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Wichtiges
Festgottesdienst und 100-jähriges Jubiläum Georgiritt mit Pferdesegnung in Stötten am Auerberg

Von Pferden und Pferdestärken

27.04.2025

Lieber Pfarrer Sajimon Vargese und lieber Pfarrer Thaddäus Biernacki, liebe Pferdehalter, Fahrinnen und Fahrer, Reiterinnen und Reiter, die Sie zu diesem einzigartigen 100-jährigen Jubiläum des Georgiritts nach Stötten am Auerberg gekommen sind, liebe Organisatoren und Pferdefreunde, liebe Schwestern und Brüder!

Welch ein herrlicher Anblick an diesem Sonntag zum 100-jährigen Jubiläum des Georgiritts und zur Pferdesegnung in Stötten am Auerberg. Strahlender Sonnenschein und all diese wunderbaren Tiere, die Sie sich zur Herzensangelegenheit gemacht haben an einem der bedeutendsten Pferdeumritte in Bayern. Darf ich im Anblick so vieler Pferdeliebhaber und in der Bewunderung dieser herrlichen Geschöpfe Gottes eine provokante Frage stellen? Warum braucht der Mensch ein Pferd, wenn es doch hier im Allgäu in wenigen Kilometer Entfernung bei Marktoberdorf einen der besten Traktoren der Welt zu kaufen gibt, z.B. einen Fendt Vario 1050? 

Ja, die Welt hat sich gewandelt. War noch vor mehr als 100 Jahren eine Landwirtschaft ohne Pferdefuhrwerke und ohne Zugtiere undenkbar, so steht heute daneben der moderne Traktor, der seit dem Zeitalter der Industrialisierung ein Hundertfaches leistet und die Landwirtschaft revolutioniert hat. So sehr wir uns gerade hier im Allgäu den bäuerlichen Familienbetrieb mit seinen dörflichen Strukturen wünschten, so sehr ist die Landwirtschaft in allen Ecken und Enden heute ein Gewerbe von industriellem Zuschnitt geworden. Auch mit hoher Leistung, die dafür bürgt, dass eine Vielzahl von Menschen in unserem Land ernährt werden kann. Interessanterweise hat sich selbst die Leistungsangabe der modernsten Traktoren in einer alten Tradition gehalten: Wir nennen sie Pferdestärke und nehmen als Maßstab das Pferd, sehen aber gleichzeitig an den Leistungszahlen mit 100 PS aufwärts, wie sehr sich die Welt und der ursprüngliche Lebens- und Arbeitsraum der Pferde, die Landwirtschaft gewandelt hat. Selbst die Ältesten unter den Gottesdienstbesuchern heute in Stötten am Auerberg werden sich nicht mehr daran erinnern, wie ein Pferdefuhrwerk oder ein Zugtier einen Bauernhof umgetrieben hat. 

Pferde sind heute zu Partnern im Sport und in der Freizeit geworden und über den Beliebtheitsgrad, den sie dort erreicht haben, kann man heute nur staunen. Ja, vieles ist anders geworden. Das Bild der Landwirtschaft selbst im Allgäu, neue Felder im Leben moderner Menschen und der Freizeitgestaltung, und damit auch ein neuer Platz für die Pferde in unserem Land. Gott sei Dank gibt es sie, diese herrlichen Tiere und die Menschen, die sie halten und sich um sie kümmern. Nicht zuletzt dieses prächtige Treffen zum Pferdeumritt in Stötten am Auerberg zeigt uns eine sehr wichtige Perspektive für unser modernes Leben. 

Das Pferd ist ein Geschöpf Gottes und ein Teil der Natur, der Traktor und all die industriellen Erfolge einer modernen leistungsfähigen Landwirtschaft sind Werk des Menschen. Vielleicht kann uns gerade hier ein aufmerksamer Blick auf diese schönen Tiere einen Maßstab für unser Leben liefern. 

Wo die Menschheit immer größer, immer höher und immer weiter denkt, wo sie das vernünftige Maß der Wirklichkeit verliert, da steht am Ende Zerstörung. Wir sehen das allenthalben an der ökologischen Krise unserer modernen Welt, im Verlust der Biodiversität, und nicht zuletzt in der Zerstörung einer lebenswerten Umwelt für die Menschen in der Zukunft – alles Themen, die unser gerade verstorbener Papst Franziskus in seiner berühmtesten Enzyklika beschrieben hat: Laudato Si‘. Über die Sorge für das gemeinsame Haus beschrieben hat. In großer Deutlichkeit wird uns hier vor Augen geführt, welche Folgen es mit sich bringt, wenn die Menschheit Maß und Ziel für die Wirklichkeit verliert. Was würden wir verlieren, wenn uns dieser Maßstab abhanden käme? Wie würden wir leben? Für mich hat kaum jemand die Folgen einer solchen entgrenzten Welt ohne Maß und Ziel besser beschrieben, als ein Benediktinermönch. Ich spreche von David Riedl, der es einmal so formulierte: 

Wir haben größere Häuser aber kleinere Familien. 
Mehr Bequemlichkeit, aber weniger Zeit.

Mehr Wissen, aber weniger Urteilsvermögen. 
Mehr Experten, aber größere Probleme.

Wir haben unseren Besitz vervielfacht, 
aber unsere Werte reduziert. 

Wir wissen, wie man seinen Lebensunterhalt verdient, 
aber nicht mehr, wie man lebt.

Wir haben dem Leben Jahre hinzugefügt, 
aber nicht den Jahren Leben.

Wir kommen zum Mond, 
aber nicht mehr an die Tür der Nachbarn.

Wir haben den Weltraum erobert, 
aber nicht den Raum in uns.

Ja liebe Schwestern und Brüder, vieles ist anders geworden in unserer modernen Welt und der industriellen Entwicklung die sie genommen hat. Vieles ist besser, leichter und einfacher geworden. Aber viele Fragen fordern uns Menschen noch mehr heraus als früher: Wird es uns gelingen, das richtige Maß im Umgang mit der Schöpfung zu bewahren? Werden wir auch für kommende Generationen Lebensbedingungen schaffen und bereithalten, in denen sich das Leben lohnt? Vielleicht kann gerade diese gute, starke Tradition des Auerbergritts und der Blick auf die vielen herrlichen Tiere uns moderne Menschen inspirieren, das richtige Maß und das richtige Ziel zu finden, wenn es um die Gestaltung unserer Welt geht. Wir sind ja Teil der Natur, wir sind Teil der Schöpfung Gottes ebenso wie die Tiere, die im Schöpfungsbericht für uns Menschen geschaffen wurden. Sie dienen dem Menschen, wie es im Buch Genesis heißt, aber sie sind auch wie der Garten, in den er uns gesetzt hat, ein Verantwortungsfeld um das wir uns kümmern müssen für eine gute Zukunft der Menschheit. 

Vielleicht erinnert uns daran das Pferd: Der Mensch muss Maß halten! Er muss seine Stellung in der Schöpfung erkennen, damit alles in eine gute Zukunft geht. Vielleicht ist es so, dass uns hier das eine PS beim Georgiritt in Stötten mehr inspirieren kann, als die 500 PS des schönsten und teuersten Traktors im Allgäu.