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Wichtiges
Referat beim Jubiläum des Katholischen Verbandes für soziale Dienste e.V. Kaufbeuren von Weihbischof Anton Losinger

Was ist das Soziale im Sozialstaat?

24.03.2023

Als ehemaliger Doktorand an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg hatte ich mehrfach die Gelegenheit, nach Afrika zu fliegen und dort an der Uganda Martyrs University in Kampala Vorlesungen zu halten. Das Thema lautete: „Die soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland als ein Modell für Entwicklungs­länder?“ Fragezeichen!

Meine Aufgabe war, diese faszinierende Kombination von ökonomischer Effizienz und sozialer Sicherheit darzustellen, die dieses Erfolgsmodell der deutschen Nachkriegsgeschichte auszeichnet, und Deutschlands Wirtschaftssystem gerade auch für Entwicklungsländer so attraktiv macht. Ein Wirtschafts­system mit dem Ziel, „Wohlstand für alle“ zu erreichen, so wie Ludwig Erhard es einst prominent formulierte, und gleichzeitig den Spagat zu lösen zwischen marktwirtschaftlicher Freiheit einerseits und sozialer Gerechtigkeit andererseits, wie Alfred Müller-Armack, der bedeutende Vordenker der sozialen Marktwirtschaft es forderte.

 
„Die Probleme der Deutschen“

Am Ende meiner Vorlesung gab es dann jeweils eine Diskussionsrunde. Da meldete sich ein Student zu Wort und fragte: Sagen Sie, gibt es eigentlich auch Probleme bei Ihnen in Deutschland? - Natürlich! antwortete ich und zählte sofort die allseits bekannte Liste unserer Sorgen auf: die konstante Angst vor Arbeitslosigkeit, globale Konkurrenz und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, die Frage der Finanzierbarkeit des Sozialstaates, die Sorge um die Sicherheit der Renten, das morbide Gesundheitssystem, die drückende Schuldenkrise, das Drama um den EURO und die Sorge um die Geldwertstabilität et cetera et cetera… Der junge Student nickte zufrieden. Und als es dann anschließend zum gemeinsamen Mittagessen in die Mensa ging, gab es zu meinem Erstaunen ein Tischgebet, und zu meiner noch größeren Überraschung war es der gleiche junge Student von vorhin, der als Vorbeter eingeteilt war. Er betete: „Guter Gott, gib uns heute unser tägliches Brot, und schick uns doch bitte die Probleme der Deutschen!“

 

Strukturfragen an die Wirtschafts- und Sozialordnung in Deutschland

Welches Denken und welche sozialen Zukunftserwartungen prägen heute unser Land? Denn wenn man heute einen nüchternen Blick auf die Strukturfragen an die Wirtschafts- und Sozialordnung in Deutschland wirft, dann geht der Blick der Analysten weit über den rein ökonomischen Bereich hinaus. Er trifft globale, generationenübergreifende Zukunftsfragen.

Zwei Fragen möchte ich heute Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft anstoßen: 1. Was ist Soziale Marktwirtschaft. Und was macht diese Wirtschaftsordnung aus und weltweit so attraktiv? Und 2. Was ist in Zukunft zu tun? Welche neuen Herausforderungen stehen vor der Tür?

 

I. Was ist Soziale Marktwirtschaft?

 

Was sind die Prinzipien dieser Wirtschaftsordnungspolitik?

Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland ruht auf einem Menschenbild. Es ist Alfred Müller-Armack, einer der bedeutenden geistigen Gründungsväter dieser Wirtschafts- und Sozialordnung, der es auf den berühmten Nenner brachte: die soziale Marktwirtschaft ist die Konzeption einer Wirtschaftsordnung, der es gelingt, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden.“ Es ist eine „irenische“ Idee, der ein sozialer Friedensgedanke zugrunde liegt. Es ist eine „neuartige Synthese von Sicherheit und Freiheit“ – so schreibt der große Ökonom bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der in Freiburg gedruckten Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Wirtschaft ohne Freiheit ist in diesem Konzept ebenso sinn- und menschenrechtswidrig wie soziale Marginalisierung!

 

Wo liegen die Wurzeln dieser Ordnungsidee?

Vor aller ökonomischen Analyse ist es eine philosophische Perspektive, welche die Konstrukteure der Ordnungsidee der Sozialen Marktwirtschaft am Beginn des Wiederaufbaus der Bundesrepublik Deutschland bewegte. Es ging ihnen um die Frage nach der richtigen Form und Gestaltung einer gerechten Gesellschaftsordnung. Fundament der Idee der sozialen Marktwirtschaft ist darum vor aller Ökonomie eine Philosophie, ein Bild von Gesellschaft und Wirtschaft, das in signifikanten Punkten vom christlich-europäischen Menschenbild geprägt ist. Es ist wohl auch kultur- und geistesgeschichtlich kein Zufall, dass der ordnungspolitische Gedanke der sozialen Marktwirtschaft auf dem Boden des christlichen Abendlandes und seines Menschenbildes entstanden ist. Grundlagen dieses Menschenbildes sind personale Freiheit und Würde der Person einerseits und gleichzeitig der Blick auf den Nächsten, auf das soziale Umfeld der Gesellschaft andererseits.

Mit den Worten des prominenten Ökonomen Wilhelm Röpke ist es die ideelle Realität der marktwirtschaftlichen Ordnung, die „jenseits von Angebot und Nachfrage“ gründet. Freiheit, Wettbewerb und Eigenverantwortung in der Marktwirtschaft korrespondieren der gesellschaftlichen Solidarität und dem Gemeinwohlprinzip. Es sind zugleich die Klassiker der kirchlichen Soziallehre: die Sozialprinzipien der Personalität, der Solidarität und Subsidiarität, die gleichzeitig das Wertegerüst der Ordnungspolitik der Sozialen Marktwirtschaft begründen.

 

„Wohlstand für alle“

Nach allen geschichtlichen Erfahrungen mit der sozialen Marktwirtschaft ist mit diesem deutschen Nachkriegsmodell eine einzigartige und erfolgreiche Wirtschaftsordnungspolitik begründet, die sich in doppelter Hinsicht bewährte:

Einerseits, was das Kriterium ökonomischer Effizienz betrifft, wie sie vom Rationalprinzip geboten ist – Ludwig Erhards Vision vom „Wohlstand für alle“ wurde historische Realität

Andererseits aber auch und gerade im sozialstaatlichen Anspruch, wie er von der Sozialpolitik und der Sozialethik im Namen der Würde der Person und des Gemeinwohls seit jeher erhoben wird.

Nicht: Was kostet sozialer Ausgleich? sondern: Was ist sozialer Friede wert? müsste also die schlüssige Frage aus der geschichtlichen Erfahrung in Deutschland lauten.

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel akzentuierte einst diesen Zusammenhang als elementare Leitlinie ihrer politischen Agenda: „Ludwig Erhard, der Vaters des deutschen Wirtschaftswunders, sah die Energie der Eigeninitiative und spürte die Kraft der Freiheit!“ Im gleichen Atemzug betont die Kanzlerin: „Soziale Marktwirtschaft ist aber niemals das Bündnis der Schwächeren gegen die Starken, oder der Starken gegen die Schwächeren, wie es manche Diskussion uns weismachen will. Es ist immer das Bündnis der Starken mit den Schwächeren!“ Gerade dieser Zusammenhang von Freiheit und Solidarität in der Begründung der Sozialen Marktwirtschaft ist wesentlicher Bestandteil des christlichen Menschenbildes und elementarer Grundsatz, der soziale Marktwirtschaft in ihrer Akzeptanz so stark, effizient und überzeugend macht.

 

„Soziales Netz“

 Die sozialen Fundamente der sozialen Marktwirtschaft, die auf einem Begriff von Menschenwürde ruhen, spiegeln sich vor allem in der Begründung der Idee des „sozialen Netzes“ wieder: Es ist Artikel (1) des altehrwürdigen Bundes-Sozialhilfegesetzes, der diesen Menschenwürdekontext klassisch formuliert: Inhärentes Ziel der Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft ist es, jedem Menschen in Notlagen „ein der Würde der menschlichen Person entsprechendes Leben“ zu ermöglichen. Nicht Kassenlage, sondern Menschenwürde ist Kriterium des Sozialstaates sozial-marktwirtschaftlicher Prägung! Insofern rückt bei der Begründung des sozialen Netzes ein Menschenbild in den Mittelpunkt, dessen Grundkomponente, die Würde der menschlichen Person, ein entscheidendes Fundament dieser Wirtschafts- und Sozialordnung in der Bundesrepublik Deutschland bildet. Das „Soziale“ der sozialen Marktwirtschaft ist kein Almosen, keine Zutat zum System des Marktes, sondern ein inneres Regulativ, das der Freiheit die Verantwortung gegenüber stellt und die Überforderung der Eigenverantwortung durch Gemeinwohlorientierung verhindert.

Dies erfordert natürlich auch nüchternen sozial-marktwirtschaftlichen Realismus: Der leistungsfähige Sozialstaat und seine Ausfinanzierung lebt von der Leistungsfähigkeit einer starken und leistungsfähigen Volkswirtschaft, aber auch umgekehrt lebt eine leistungsfähige Volkswirtschaft von den ökonomischen Vorteilen, die sozialer Friede und gerechte Strukturen eines Gemeinwesens darstellen.

 

II. Problemfelder und Reformbedarf in der sozialen Marktwirtschaft

 

Nicht erst seit gestern gibt es Fragen und Kritik an diesem Sozialstaats-Modell. Unsere Gesellschaft steht ohne Frage vor bedeutenden sozialen, politischen und ökonomischen Herausforderungen. Eine Schuldenkrise auf festbleibend hohem Niveau, – die gegenwärtige Finanzkrise mit blauem Auge überstanden zu haben, sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die grundlegenden strukturellen Probleme und Herausforderungen für die Bürger, die Unternehmen und den Arbeitsmarkt längst nicht behoben sind – insbesondere die Perspektive ungesicherte langfristige Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungs-Systeme gegen die Grundrisiken des Lebens, und der allenthalben spürbare Druck der Globalisierung, all das bereitet den Menschen berechtigte Sorgen und weckt Zukunftsängste.

Vor diesem Hintergrund lautet die spannende Frage heute: Ist die soziale Marktwirtschaft in Zukunft wetterfest? Denn eines ist unbestritten: Der Sozialstaat muss erneuert werden, will man den sozialstaatlichen Gehalt unserer Wirtschaftsverfassung nachhaltig, auch für kommende Generationen sichern. Mit anderen Worten: „Das Soziale neu denken, damit das Neue sozial gedacht werden kann!“

Schließlich sind es vor allem die durch den demographischen Wandel unserer Gesellschaft ausgelösten Schieflagen, die das Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland in der bisher gekannten Form nicht mehr langfristig zukunftssicher erscheinen lassen und langfristig angelegte Reformvorhaben notwendig machen.

Wir brauchen soziale Strukturreformen, damit soziale Sicherung gegen die Grundrisiken des Lebens zukunftsfest gemacht werden kann. Mit anderen Worten: Wir müssen das Soziale neu denken, damit dass Neue sozial gedacht werden kann!

 

Zentrale Herausforderungen auf dem Weg in die Zukunft: Die „Zeitenwende“

 

Wichtige Fragen, um die es hier geht, haben die Sozialverbände der Republik, die Gewerkschaften in ihren „Wahlprüfsteinen“ und auch die Kirchen immer wieder angemahnt, auch die Deutschen Bischöfe konstant und fortlaufend in Kommission für soziale und gesellschaftliche Fragen, deren stellvertretender Leiter ich sein darf. Ich greife vier Stichworte heraus, die mir gerade im Blick auf unsere drängenden sozialen Zukunftsfragen griffig und plausibel erscheinen:

1. Stichwort: Arbeit und Beschäftigung

„Die Menschen wollen arbeiten. Sie wollen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Es ist nicht hinnehmbar, dass … Millionen Menschen in unserem Land arbeitslos sind. Zwar kann keine Politik versprechen, dass jedem ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird. Doch die Politik muss die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so gestalten und die Reformen des Steuersystems, des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme so nachhaltig betreiben, dass Arbeitsplätze erhalten werden und neue entstehen können. Allen muss eine Chance auf Beteiligung gegeben werden.“

Das Problem der hohen Arbeitslosigkeit ist eine brennende Wunde, die das ganze System der Sozialen Marktwirtschaft in Frage stellen könnte. Diese Warnung betrifft zunächst nicht die Bundesrepublik, die derzeit im konjunkturellen Sonnenschein segelt. Aber sie betrifft das Nord-Süd-Gefälle Europas: Hier steht Vollbeschäftigung im Norden neben horrender Arbeitslosigkeit im Süden, insbesondere Jugendarbeitslosigkeit im 2-stelligen Prozentbereich in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland.

Denn Arbeitslosigkeit ist die zentrale Ursache sozialer Konflikte und die primäre Quelle von Armut und sozialer Ungleichheit. Darum ist Arbeit im Verständnis der Sozialethik mehr als nur Einkommensquelle, der Verlust des Arbeitsplatzes mithin mehr als eine sozialpolitisch zu kompensierende Einkommenseinbuße. Insofern ist es ein sozialpolitischer Skandal gegen die soziale Gerechtigkeit, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen systematisch von der Partizipation am Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden. Außerdem haben sich auch die Koordinaten der gesellschaftlichen Chancen weitgehend geändert. Lagen früher die Produktionsfaktoren der Agrar- und Industriegesellschaft noch unter der Erde, so sind sie heute in den Köpfen der Menschen! Der Trend zur Wissensgesellschaft und die Frage nach der breiten Partizipation an Bildung ist darum auch der logische Erklärungshintergrund für die Frage, welche Lebensperspektiven und Chancen die Menschen in der Wirtschaft von morgen haben werden. Digitalisierung heisst das dramatische Reizwort der Debatte. Vor diesem Hintergrund muss die „soziale Frage“ neu justiert werden.

2. Stichwort: Soziale Sicherungssysteme

„Die Menschen wollen auch in Zukunft soziale Sicherungssysteme, auf die sie sich verlassen können. Der Sozialstaat muss durch eine langfristig angelegte Politik erneuert und so gerade im Interesse derjenigen, die auf seine Hilfe angewiesen sind, gesichert werden. Der moderne Sozialstaat muss auch zukünftig die Solidarität mit den Schwachen gewährleisten und zugleich die Bereitschaft und Befähigung zu Eigenverantwortung und Eigeninitiative fordern und fördern.“

Insbesondere nach der Veröffentlichung des vieldiskutierten und mehrfach korrigierten „Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung“ entsteht die Frage der Verteilung von Einkommen und Vermögen und nach dem Gerechtigkeitsmaßstab. Davon hängt nicht zuletzt auch der Grad der Zustimmung zu einer demokratischen Gesellschaftordnung ab. Einkommen und Vermögen sind ja Instrumente einer freiheitlichen Lebensgestaltung und sozialer Absicherung. Darum muß primär über die Themen und Bruchstellen atypische Arbeitsverhältnissen, Mindestlöhne, gebrochenen Erwerbsbiografien, die systemisch Altersarmut generieren werden, nachgedacht werden. Auch der Gedanke der Vermögensbildung und breiter Beteiligung am Produktivkapital steht, als „dritte Säule“ und neues Instrument der Alterssicherung im Raum.

Es geht aber nicht zuletzt auf lange Sicht um stabilisierende Faktoren der Sozialen Sicherungssysteme und des „Drei-Generationen-Vertrags“ im sozialen Umlageverfahren. Hier steht die Frage der Plausibilität der Verantwortung der Menschen und der Generationen füreinander auf dem Spiel. Eine junge Generation, die sich als „Netto-Looser“ des sozialen Umlageverfahrens sehen müsste, wird auch nicht daran mitwirken und investieren.

3. Stichwort: Demografie und Familie

„Unsere Gesellschaft wird immer älter. Zudem ist der absehbare und sich beschleunigende Rückgang unserer Bevölkerung ein zentrales Grundproblem unserer Zukunft. In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren. Zuwanderung behebt das Problem nicht. Wir wissen dies schon lange, und doch wurden seit Jahrzehnten keine Konsequenzen gezogen. Die Politik darf darüber nicht weiter hinweggehen. Wir brauchen Mut zur Zukunft mit Kindern. Deutschland braucht eine Gesellschaft, die Freude an Kindern hat.“

Bei allen berechtigten Fragen der Zurechnung und der Zielgenauigkeit familienpolitischer Leistungen muss nach soliden Kriterien sortiert werden. Reine Bildungs- und Arbeitsmarkt­kompatibilität wären zu kurzsichtige Kriterien. Der Familien muss gegeben werden, was was ihr zusteht! Der Familienfreundlichkeit des Wirtschafts- und Arbeitslebens muss in diesem Zusammenhang höchste Aufmerksamkeit gelten. Es wäre nicht nur sozialethisch verfehlt, sondern auch ökonomisch kurzsichtig, wenn sich die Wirtschaft auf den ungebundenen Single als idealen Arbeitnehmertypus kaprizieren würde. Gerade  in der gravierenden Krise der sozialen Sicherungssysteme, vor allem der Altersvorsorge wird und muss der Kontext der Familie in allen gesellschaftlichen Bereichen wieder an Bedeutung gewinnen. Die Realisierung generationenübergreifender sozialer Sicherheit ist angesichts des demografischen Wandels der Gesellschaft von unübersehbarer Priorität.

4. Stichwort: Nachhaltigkeit

„Es muss leider festgestellt werden: Wir leben auf Kosten kommender Generationen. Das betrifft den Umgang mit den natürlichen Ressourcen, aber auch die steigende Staatsverschuldung. Wir müssen so leben, dass wir die Menschen, die nach uns kommen, nicht übermäßig belasten. Die Politik muss bei all ihrem Handeln auch die im Blick haben, die sich heute noch kein Gehör verschaffen können. Dies erfordert die Gerechtigkeit zwischen den Generationen.“

Hier entsteht die Frage nach der Notwendigkeit einer Neuorientierung der sozialen Marktwirtschaft zur „ökologischen sozialen Marktwirtschaft“ – Energiewende – Ressourcenschonung – Bewahrung der Schöpfung sind leitende Themen dieses zukunftsorientierten Denkens. Wir können nicht so weiterleben wie bisher. Solch ein Lebensstil wäre langfristig tödlich. Genau dies ist die These des Buches von  Alois Glück: Warum wir uns ändern müssen: Wege zu einer zukunftsfähigen Kultur (2010). Genau dies ist die These der populärsten päpstlichen Enzyklika seit Jahrzehnten: Papst Franziskus „Laudato si!“ Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Die Zukunft der Erde und der Menschheit. Globale Friedensarbeit, effektive Entwicklungspolitik, gerechte Handelbedingungen mit den Menschen der sogenannten Dritten Welt darf für uns im Zeitalter der globalen Verflechtung der Menschen dieser Erde kein Fremdwort sein!

Solche Wertentscheidungen, wie sie eine globale, nachhaltige soziale Marktwirtschaft erfordert, kosten auch etwas. Die Reparatur der Schäden an Mensch, Gesellschaft und Natur, die ohne ein solches Wirtschaften jedoch entstehen, dürften noch wesentlich höhere Kosten verursachen. Bildung ist teuer. Keine Bildung kostet mehr! Gute Erziehung ist anstrengend. Resozialisierung im Gefängnis ist die katastrophale Alternative! So sieht Soziale Marktwirtschaft prinzipiell immer den Menschen im Mittelpunkt des Wirtschaftsgeschehens. Sie weiß sich dessen Würde, Freiheit und sozialer Verantwortung verpflichtet. Hier leuchtet auch der innerste Grundsatz aller Wirtschaftsethik durch, wie er in klassischer Weise vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) in der berühmten Konstitution über die Kirche in der Welt von heute formuliert wurde: „Ursprung, Träger und Ziel allen Wirtschaftlichen Handelns ist und muss sein: der Mensch.“

Ohne Frage ist die Soziale Marktwirtschaft die erfolgreichste und zugleich sozialste Wirtschaftsordnung, die es je auf deutschem Boden gab. Sie ist internationales Vorbild und ein Exportschlager geworden. Sie wird uns – hoffentlich und Gott sei Dank - in je neu an je neuen Herausforderungen Maß nehmender Form in die Zukunft begleiten.

 

Eine politische Anekdote zum Schluss:

„Welche Visionen braucht es in der Politik“

Helmut Schmidt, der hochangesehene Altbundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland soll einmal von einem Journalisten der FAZ gefragt worden sein: „Herr Bundeskanzler, welche Visionen haben Sie für unser Land?“ Helmut Schmidt soll in seiner bekannt schnodderig-nüchternen  Art geantwortet haben: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“ - Wir würden gerade umgekehrt sagen: „Wer keine Visionen hat, der soll zum Arzt gehen, und sich einmal gründlich durchchecken lassen!“