Das Kreuz bewahrt die Hoffnung
Drei Jahrzehnte sind inzwischen vergangen, seitdem das Bundesverfassungsgericht das emotional aufgeladene „Kruzifix-Urteil“ verkündete. Für Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger Grund genug, in seiner Karfreitags-Predigt im Augsburger Dom von „einem zweifelhaften Jubiläum“ zu sprechen, das sich in Kürze jährt. Gleichzeitig rief der Weihbischof dazu auf, sich als Christ nicht nur beunruhigt über derartige gesellschaftliche Entwicklungen zu zeigen, sondern die Herausforderung anzunehmen und sich für die Wichtigkeit und das Sichtbarbleiben des Kreuzes in unserem Alltag einzusetzen.
Die zentralen Fragen, die diesbezüglich im öffentlichen Diskurs gestellt und wachgehalten werden müssen, lauten für ihn deshalb: „Welche Bedeutung hat das Kreuz für uns? Warum brauchen wir das Kreuz? Und wo?“ Seine Antworten darauf sind sowohl umfassend als auch konkret: Wir brauchen das Kreuz in der Bildungslandschaft, im Gesundheitssystem und in unserem alltäglichen Leben, fasst Weihbischof Losinger seine Gedanken in drei Punkten zusammen.
Ein erster wichtiger Ort für das Kreuz sei und bleibe für ihn die Schule. Denn vor allem junge Menschen suchten Orientierung und Halt. Wo Schülerinnen und Schüler keine Antworten auf ihre Fragen nach dem Sinn des Lebens bekämen, entstünde geistige Not, so der Weihbischof. Neben religiöser Zuwendung, etwa im Religionsunterricht, bräuchten sie ein Gesicht, in das sie mit ihren Zweifeln und auch Ängsten blicken könnten. „Dafür steht das Kreuz in unseren Klassenzimmern, dafür steht das Gesicht des liebenden, mitleidenden Christus! Dafür steht das Kreuz in unseren Schulen! Im Blickpunkt der tausend Fragen junger Menschen!“
Ein zweiter wesentlicher Platz für das Kreuz seien für ihn die Orte von Leid und Krankheit in unserem Leben. Trotz der Möglichkeiten modernster Wissenschaft und Technik und höchster medizinischer Kunst ließe sich die Hinfälligkeit des Leidens nie ganz beseitigen, bekräftigte Weihbischof Losinger. Themen wie Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik, die Fragen nach dem Beginn und dem Ende des menschlichen Lebens sowie der notwendige Einsatz für die unantastbare Würde der Person zeige die Kehrseite einer wissenschaftlichen Entwicklung, die Ängste wecken könne. „Darum brauchen wir das Kreuz in unseren Krankenzimmern, in den Pflegeheimen und zuhause, wo Menschen von Angehörigen gepflegt werden, damit kranke und sterbende Menschen mit Hoffnung auf den leidenden Christus blicken können, und in liebender menschlicher Zuneigung leben und auch sterben dürfen, wenn es an der Zeit ist.“
Doch der Weihbischof bleibt nicht in den Schulen und Gesundheitseinrichtungen stehen, er möchte den Blick auf den Gekreuzigten auch in anderen alltäglichen Bereichen unseres Lebens geweitet sehen – in den Herrgottswinkeln unserer Familien, auf den Gipfeln unserer Berge, in den Gerichtssälen, Amtszimmern und in der Politik. „Das Kreuz ist wichtig, damit die Menschen das richtige menschenwürdige Maß bewahren und sich nicht überheben über die Würde des anderen. Das Kreuz ist wichtig, damit wir immer wieder die eigene Endlichkeit und Begrenztheit realisieren gegen die Kreuzigung und Erniedrigung des Nächsten!
Das Kreuz in unseren Lebensräumen bewahre die Hoffnung, schenke Luft zum Atmen und schaffe das Bewusstsein der unveräußerlichen Würde und des Lebensrechts jedes Menschen. „Das macht den wahren Unterschied im Kreuz Jesu Christi zu allen Billigangeboten der Sinnstiftungsindustrie unserer Tage aus“, ist Weihbischof Losinger überzeugt.
Abschließend gab er den Gläubigen im Dom in Erinnerung an das Kruzifix-Urteil und an die Rede von Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag im Jahr 2011 zusammenfassend zu bedenken: „Wo das Kreuz entfernt wird, fehlt mehr als nur ein Stück Kulturgut. Da geht es um die Fundamente unserer menschlichen Identität, um das menschenwürdige Antlitz eines Staates und die Grundlagen des Rechts und es geht letztendlich um die Sinnfrage unserer Gesellschaft! Was wollen wir hoffen? Und wie wollen wir leben?“
Nach den Großen Fürbitten, der Erhebung und Verehrung des Kreuzes sowie der Kommunionspendung und dem Segensgebet brachte Bischof Bertram die verschleierte Monstranz zum Ende der Liturgiefeier in einer Prozession - begleitet von Domkapitel, Altardienst, Grabesrittern und dem Gesang der Domsingknaben - zum Heiligen Grab in die Marienkapelle. Ministranten und Fackelträger bildeten vor der Kapelle ein Spalier. Alle beteten in Stille. Die Ritter verblieben in der Kapelle zur Grabwache. Das Allerheiligste ist dort noch bis Karsamstag um 17 Uhr zur Anbetung ausgesetzt.
Musikalisch gestaltet wurde die Karfreitagsliturgie vom Kammerchor der Domsingknaben sowie dem Domchor unter der Leitung von Domkapellmeister Stefan Steinemann. Neben der Johannespassion von Hermann Schroeder, die die drei Passionssänger im Wechsel mit dem Domchor zu Gehör brachten, erklangen verschiedene Passionsmotetten, unter anderem von Giovanni Pierluigi da Palestrina, Claudio Monteverdi und Tomás Luis de Victoria.