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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram anlässlich des Pontifikalamts zum Ende der Sanierungsarbeiten in der Basilika St. Peter, Dillingen

„Den Stil des Miteinanders ändern“

11.02.2023

Lieber Herr Stadtpfarrer Heinrich, lieber Harald! Liebe Schwestern und Brüder im Herrn! Die heutigen Lesungstexte lassen aufhorchen, ihre Deutlichkeit mag manche gar erschreckt haben: Habe ich richtig gehört? Anspruchsvolle Worte, die uns da am heutigen Sonntag aufgetischt werden, schwerverdauliche Kost.

Da ist von Gottes Vorschriften, von seinen Geboten und Gesetzen die Rede, die es zu bewahren und zu halten gilt. Die Rede Jesu ist deutlich und scharf: „Euer Ja sei ein Ja und Euer Nein ein Nein!“ (vgl. Mt 5,37) Kein „Softy“ also, der „liebe Herr Jesus“! Bei ihm gibt es keine Zwischentöne, kein „vielleicht“, kein „na ja“, kein „so oder so“, nichts Halbherziges, nichts Lauwarmes. Für ihn gibt es im Glauben keinen „Schonwaschgang“, im Umgang miteinander nichts „Weichgespültes“. Eine Botschaft also doch wieder mit erhobenen Zeigefinger? Moralinsauer – typisch Kirche? Nein! Die klaren Worte Jesu müssen wir differenzierter betrachten und nach ihrer Stoßrichtung, ihrem Sinngehalt befragen.

Der Gedanke an Gebote und Gesetze, an Codizes und Vorschriften mag unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Für viele wirken sie einengend, für andere bieten sie Orientierung und Halt. Sie wollen jedenfalls einen Rahmen abstecken, die Gemeinschaft mit Gott und das Zusammenleben untereinander regeln und ordnen. Für das Volk Israel waren die am Berg Sinai von Gott empfangenen zehn Gebote die Richtschnur. Mit der Zeit kamen zahlreiche Weisungen und Ausführungsbestimmungen zum mosaischen Gesetz hinzu. Das Leben eines frommen Juden war so umfänglich geregelt. Zurzeit Jesu waren es insbesondere die Pharisäer, die auf ihre exakte Einhaltung pochten. Jesus sagt von sich, er sei gekommen, um das Gesetz Gottes nicht aufzuheben, sondern um es zu erfüllen (vgl. Mt 5,17). Diese Aussage muss den Pharisäern ein Dorn im Auge gewesen sein und ihnen sauer aufstoßen.

Die Pharisäer damals sind sicher keine Heuchler. Mit der optimalen Einhaltung von Gottes Gesetzen wollen sie dem Willen Gottes entsprechen, aber die steife Befolgung der Gesetze, ihre übertriebene Gesetzestreue lässt sie engherzig werden. So fordert Jesus seine eigenen Jünger auf, dass ihre Gerechtigkeit größer sei als die der Pharisäer und Schriftgelehrten, ansonsten würden sie nicht in den Himmel kommen (vgl. Mt 5,20). Jesus geht es um den tieferen Sinn des Gesetzes. Damit will er das Übel menschlichen Zusammenlebens „an der Wurzel packen“, bereits die schlechten Gedanken unterbinden, noch bevor sie zu Taten werden. Alles, was dem Willen Gottes zuwiderläuft, was den Frieden im Zusammenleben, die Einheit mit Gott und untereinander stört, will er „im Keim ersticken“. Es geht ihm um den mitmenschlichen Umgang, einander Respekt zu zollen, nicht zu zürnen (vgl. Mt 5,22), sich in Achtung voreinander als Mann und Frau – ohne jeglichen Hintergedanken – zu begegnen (vgl. Mt 5,28), seinem Nächsten in Wahrheit und Ehrlichkeit gegenüber zu treten (vgl. Mt 5,33): Eine wahrlich hohe Messlatte, die Jesus hier auflegt. Um unserer Selbstgefälligkeit willen dürfen wir sie aber nicht gleich „über Bord werfen“, nur, weil wir meinen, Gottes Anspruch eh‘ nicht erfüllen zu können…

Jesus interessiert weniger der Wortlaut, für ihn zählt das „Wie“, die wahre Erfüllung der Gebote Gottes. Aus Liebe wurde Gott Mensch in Jesus Christus, um alle mit sich zu versöhnen Das Neue an Jesus besteht darin, dass er die Gebote mit der Liebe Gottes füllt. Das ist der Anspruch an jede und jeden von uns: Im Nächsten Gottes Abbild sehen und aus dieser Haltung leben, mit Achtung und Wertschätzung, mit Respekt und Offenherzigkeit Begegnung wagen. Der hl. Augustinus hat in seiner Auslegung des Johannesevangeliums gesagt: „Liebe – und dann tu was du willst!“ Die Brille der Liebe verändert alles. Das ist der Maßstab für uns Christen. Bleiben wir in der Liebe! Suchen wir regelmäßig die Gegenwart Gottes in der Eucharistie, das Gespräch mit ihm im Gebet, die Begegnung mit ihm im Alltag.

Mit Blick auf die derzeitigen innerkirchlichen Reformdebatten ist der Umgang alles andere als liebe- und respektvoll. Mir bereitet die Situation große Sorge. Verstehen Sie richtig: Mir geht es nicht um eine „Friede-Freude-Eierkuchen“-Mentalität! Kritik ist wichtig, damit die Kirche nicht festfährt. Die Schuld beim Thema Missbrauch wiegt schwer, Vertrauen ist weg. Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention werden auch künftig notwendige, wichtige Pfeiler kirchlichen Handelns sein. Aber das Ringen um eine zukunftsträchtige Reform der Kirche hat mittlerweile bei uns in Deutschland tiefe Gräben aufgerissen; der Umgangston ist rau und schroff. Als Bischof sehe ich mich maßgeblich als Brückenbauer, ich möchte der Einheit der Kirche dienen – unter den Gläubigen im Bistum wie auch in der Weltkirche. Hier in Dillingen kommt mit St. Peter als „Basilica minor“ diese Verbundenheit deutlich zum Ausdruck. Katholisch sein heißt eben nicht schwäbisch-katholisch oder deutsch-katholisch sein, sondern wahrlich weltumspannend Kirche leben. In diesem Sinne sind wir derzeit als „synodale Kirche“ unterwegs – weltweit, hinhörend und im Gebet verbunden.

Paulus hat die zerstrittene Gemeinde in Korinth ermahnt: „Seid einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid eines Sinnes und einer Meinung!“ (1 Kor 1,10) Darin klingt mit: Euer Dasein ist Pro-Existenz. Seid nicht allein mit euch beschäftigt, kreist nicht nur um euch selbst, sondern erinnert euch an eure Sendung: die „Weisheit Gottes“ (1 Kor 2,7), Jesus Christus als Herrn zu verkünden und ihn in Wort und Tat zu bezeugen. Als Jüngerinnen und Jünger Jesu Christi haben wir die Mission, „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ zu sein.

Mit Freude feiern wir heute den Abschluss der aufwändigen Sanierungsarbeiten Ihrer Pfarrkirche, die insbesondere am Dachstuhl sehr umfangreich waren. Die Stadt Dillingen im Allgemeinen und die Basilika St. Peter im Speziellen spielen in der Geschichte des Augsburger Bistums eine wichtige Rolle. Insofern haben Sie als Pfarreiengemeinschaft für diese Kirche eine besondere Verantwortung: Die Basilika strahlt nach der Sanierung der Altäre und Restaurierung der Bilder wieder in prachtvollem Glanz. Damit legen Sie, liebe Dillinger, ein Statement ab: dass Ihnen dieser Kirchenraum als Zentrum und Identifikationspunkt, als heiliger Ort der Gemeinschaft und der Gottesbegegnung wichtig ist.

So soll auf die Renovierung des prächtigen Raumes die geistliche innere Erneuerung folgen. Dazu gebe ich Ihnen ein Wort von Papst Franziskus mit. Für den Februar hat er dazu aufgerufen, für die Pfarreien zu beten: „Die Pfarreien müssen den Menschen nahe, unbürokratische Gemeinschaften sein, in deren Mittelpunkt die Personen stehen und in denen das Geschenk der Sakramente empfangen werden kann. Sie müssen wieder zu Schulen des Dienens und der Großherzigkeit werden, deren Türen immer offen sind für die Ausgeschlossenen. Und für die Mitglieder. Für alle. Kirchengemeinden sind kein Club für wenige. (…) Bitte lasset uns mutig sein! Wir alle sollten den Stil unserer Pfarrgemeinden neu überdenken.“ (Videoclip zur Botschaft der Gebetsintention im Februar)

Dieser Aufforderung will ich einen persönlichen Wunsch nachschieben: Das Ulrichsjubiläum 2023/24 steht vor der Tür. Anlass ist der 1100. Jahrestag der Bischofsweihe und der 1.050 Todestag unseres Bistumspatrons. Das Jubeljahr folgt dem Motto „Mit dem Ohr des Herzens (hören)“. Zu Lebzeiten hörte der hl. Ulrich auf die Nöte der Menschen seiner Zeit und nahm sich der Kranken und Armen an. Er sorgte für eine solide Ausbildung der Priester und baute im Bistum viele Kirchen. In diesem Jubiläumsjahr sind zahlreiche Gottesdienste, Veranstaltungen und Aktionen geplant – auch im Umkreis von Dillingen. Gerade Dillingen hat ja eine ganz besondere Beziehung zum hl. Ulrich: Sein Geburtsort Wittislingen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft und in der rund 20 Jahre nach seinem Tod entstandenen Biographie (um 990) ist erstmalig der Ortsname, Dilinga, erwähnt. Nehmen Sie also die Angebote wahr und nutzen Sie die Gelegenheit um hinzuhören auf das, was uns der hl. Ulrich heute noch zu sagen hat! Ich erhoffe mir von diesem Doppeljubiläum einen starken Impuls für eine „geistliche Erfrischung“ der Pfarreien und damit eine Vertiefung des Glaubens und christlichen Handeln, eine „Runderneuerung“ der Kirche.

So darf ich Ihnen abschließend zur gelungenen Sanierung und der damit verbundenen Gemeinschaftsleistung gratulieren und allen tatkräftigen Helfern und finanziellen Spendern und Spenderinnen von ganzem Herzen danken – „Vergelt’s Gott“ für jedwede Unterstützung!

Wie notwendig es ist, dauernd am „Bauwerk Kirche“ zu arbeiten, so auch am persönlichen Glauben und als Gemeinschaft der Glaubenden. Kommen Sie miteinander über den Glauben ins Gespräch, nehmen Sie einander ins Gebet, bestärken Sie sich im Glauben und spenden Sie in persönlicher Not Trost und menschliche Nähe. Ihr Kirchenpatron, der hl. Petrus, sei Ihnen ein tatkräftiger Fürsprecher. Er möge sie leiten, in ihrer Gottesbeziehung zu wachsen, um wie Petrus auf die Frage Christi „Liebst Du mich?“ überzeugend zu antworten: Ja! – „Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe“ (Joh 20,17).