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Wichtiges

„Diesmal Briefwahl“ – Ein Experiment zur Nachahmung

19.07.2017

Dr. Albert Schmid, der frühere Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, hat sie stets befürwortet. Pfarrer Markus Dörre, der Leiter der Pfarreiengemeinschaft am Forggensee, hat sie ausprobiert: die allgemeine Briefwahl bei den Pfarrgemeinderatswahlen. Wir haben Pfarrer Dörre nach seiner Motivation und seinen Erfahrungen befragt.

 

 „Ich glaube, dass die Bereitschaft sich zu engagieren dann zunimmt,
wenn man merkt, dass diese Wahl wichtig ist. Und das passiert dann,
wenn mehr Menschen an dieser Wahl teilnehmen. Deshalb bin ich
 immer schon dafür eingetreten, dass wir die Briefwahl flächendeckend
in Bayern installieren, wie es sie in manchen bayerischen Diözesen
schon gibt. Außerdem meine ich, dass wir aus dem konziliaren
Verständnis des Laienapostolats heraus berufen sind, Zeugnis abzulegen.
Das ist keine Frage, ob wir wollen oder nicht, sondern das ist eine
Verpflichtung, die sich aus unserem Getauftsein ergibt.“

Dr. Albert Schmid (*

  

 

Herr Pfarrer Dörre, Sie haben 2014 versuchsweise die Allgemeine Briefwahl in der Pfarreiengemeinschaft am Forggensee durchgeführt.

Ja, erstmals bekamen alle katholischen Christen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr die Briefwahlunterlagen ins Haus.

 

Wie kamen Sie darauf?

Wir hatten bereits bei den Kirchenverwaltungswahlen bemerkt, dass unsere unregelmäßigen Gottesdienstzeiten direkten Einfluss auf die Wahlbeteiligung haben. Je weniger Menschen den Gottesdienst am Sonntag besuchen, desto weniger gehen auch zur Wahl. Außerdem gibt es viele Menschen, die entweder gar nicht wissen, dass sie wählen dürfen, oder nicht dazu in der Lage sind, weil sie entweder am Wahlsonntag unterwegs sind, oder aus Alters- und Krankheitsgründen keines der Wahllokale aufsuchen können. Die Möglichkeit zur Briefwahl, die es immer schon gab, nutzten bislang nur sehr wenige Wahlberechtigte.

Auch war es uns wichtig, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Wer weiß denn außer den sonntäglichen Kirchgängern, dass es einen PGR gibt, was dieser tut und dass er auch noch demokratisch gewählt wird? Durch die Allgemeine Briefwahl haben wir unsere Pfarrgemeinderäte wieder mehr ins Bewusstsein gerückt.

 

Aber werden nicht gerade dadurch Katholiken zur Beteiligung an der Wahl ermuntert, die sonst nichts mit der Pfarrei zu tun haben und von daher gesehen auch gar nicht wissen können, wer als Pfarrgemeinderat geeignet ist?

Sicher: Das Ergebnis ist weniger kalkulierbar als vorher. Es kann also theoretisch durchaus passieren, dass Leute in den Pfarrgemeinderat gewählt werden, die von den meisten Kirchgängern nicht gewählt worden wären, aber das ist halt so in einem demokratischen Verfahren. Das muss aber ja kein Schaden sein. Frischer Wind von außen kann unsere Pfarrgemeinden auch bereichern.

 

Nun könnte es aber doch passieren, dass durch die allgemeine Briefwahl Kandidaten in den Pfarrgemeinderat gewählt werden, weil sie z.B. als Stadträte, Unternehmer etc. bekannt sind, während sie aber keinen lebendigen Bezug zur Pfarrei haben.

Ja, das wird ja auch im Vorfeld durch die Vorschlagsbox ermöglicht. Ich finde es aber eher unwahrscheinlich, dass jemand sich nur aus Prestigegründen wählen lässt. Der müsste ja dann auch die Sitzungen besuchen und irgendwie mitwirken, um wirklich Einfluss zu nehmen.

 

Würden Sie das Ergebnis der Allgemeinen Briefwahl in Ihrer Pfarreiengemeinschaft als einen Erfolg bezeichnen?

Der Erfolg dieses Experiments lässt sich zuerst an der beeindruckenden Wahlbeteiligung ablesen. Diese lag in Waltenhofen bei 37,4%, in Bayerniederhofen bei 45% und in Trauchgau sogar bei 54%. Gemessen an Kirchenbesuchern oder engagierten Ehrenamtlichen ist das enorm.

Wichtiger aber sind für mich die Dinge, die gewissermaßen zwischen den Zeilen stehen. So deute ich z.B. die hohe Wahlbeteiligung als Zeichen großer Ermutigung. Eine nicht unerhebliche Anzahl der Katholiken unterstützt unsere Arbeit in den Pfarreien und steht ihr prinzipiell aufgeschlossen und positiv gegenüber. Das gibt unseren Gremien Rückhalt und Bestätigung, ist aber auch Auftrag an uns. Daneben werte ich diese Rückmeldung als Bestätigung unserer bisherigen Arbeit in der Pfarreiengemeinschaft. Die notwendige Errichtung der größeren Seelsorgeeinheit, die auch dank unserer Gremien gelang, ist auf einem guten Weg und die Menschen spüren, wie sehr die Gemeinden um eine gute Zukunft ringen.

Darüber hinaus gelang es uns, sozusagen einmal „in aller Munde“ zu sein. Ganze Familien diskutierten darüber, wen man denn wählen solle; Kirchenferne waren überrascht, dass auch sie einen Stimmzettel bekamen und mitreden durften, obwohl sie doch „nie in die Kirche gehen“; Neuzugezogene bekamen dadurch das Signal: Auch du gehörst dazu! Wir laden dich ein! Vor allem unter Jugendlichen war zwar das Erstaunen groß, dass sie zur Wahl eingeladen werden. Jedoch haben sie diese erste Möglichkeit zur Mitbestimmung gerne genutzt.

Nicht zuletzt glaube ich, dass dieses Experiment auch unsere Pfarrgemeinden näher zusammen geführt hat. Schließlich haben ungezählte Helfer die Wahl unterstützt. Spätestens seit 2014 ist der PGR im wahrsten Sinn des Wortes „IHR“ Gremium, weil sie auf vielfache Weise mitgeholfen haben, dass es ihn gibt.

 

Ist eine allgemeine Briefwahl für die Pfarrei eigentlich mit zusätzlichen Kosten verbunden?

Nein, zumindest nicht direkt. Indirekt natürlich über die Abholung der Unterlagen in Augsburg (Fahrtkosten) und die Vervielfältigung der Stimmzettel in größerer Anzahl (Papier, Toner etc.). Aber es haben eben viele bei der Wahl geholfen, angefangen bei den Firmlingen, über die Helfer beim Zusammenstellen der Unterlagen und den Pfarrbriefausträgern, bis hin zu den Wahlausschüssen und meinen Sekretärinnen in den Pfarrbüros. Übrigens hat selbst die Verteilung der Wahlunterlagen ihre ganz eigene Dynamik entwickelt. So gab es z. B. freundliche Helfer, die den Bewohnern ihrer Straßenzüge angeboten haben, die Wahlbriefe zu sammeln und abzugeben. So einfach ist Nachbarschaftshilfe.

 

Herr Pfarrer Dörre, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

 

*) Auszug: „Glaubwürdiges Zeugnis abgelegt“ – Interview mit Dr. Albert Schmid,
ehem. Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern,
in Gemeinde creativ, Ausgabe März-April 2017, Seite 12-13

 

Hier finden Sie das Interview als PDF: