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Wichtiges
Predigt zur Eröffnung der Niederlassung der „Cruzadas“ am 16. Oktober 2021 in Dießen a. Ammersee

Eine marianische Kirche hat Visionen: „Die Cruzadas als Powerfrauen des Heiligen Geistes“

16.10.2021

„Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden, eure jungen Männer werden Visionen haben und eure Alten werden Träume haben.“ (Apg 2,17) Mit diesen Worten aus dem Propheten Joel ist Petrus an Pfingsten an die Öffentlichkeit getreten und stellte klar: „Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist ja erst die dritte Stunde am Tag“, d.h. neun Uhr am Vormittag (vgl. Apg 2,15). Was war geschehen? Wie konnte man auf die Idee kommen, dass die Apostel schon am Morgen einen Rausch hatten?

Wenige Verse vorher lesen wir: Die Apostel, gestandene Galiläer, hielten eine mitreißende Predigt und wurden von allen verstanden. Ein jeder hörte sie in seiner Muttersprache reden. Die damals Augen- und Ohrenzeugen waren, haben verstanden: Was die Apostel ohne Rhetorikkurse und Dolmetscherzertifikate erzählen, sind die Großtaten Gottes, Gesten seiner liebevollen Zuwendung. Eine Sprache, die wir mit der Muttermilch eingeflößt bekamen, die Muttersprache des Herzens. Damit sind wir mitten im Thema: Maria hat Visionen, weil sie sich beschenken ließ. Die Kirche wird wieder Träume und Visionen haben, wenn sie ernst nimmt, was sie ist: Empfangende. Wir werden Hoffnungsträger, wenn wir die Muttersprache des Glaubens wieder besser lernen: Glauben, Hoffen und Lieben ist nicht in erster Linie unsere Leistung, sondern Gottes Geschenk, seine Gnade. Die Muttersprache des Herzens fängt mit dem Empfangen an.

Beginnen wir mit einer Erfahrung, die wohl jede(r) von uns schon gemacht hat: Wir dürfen ein Baby in unseren Armen halten. Das Neugeborene beginnt laut zu weinen. Keiner kann das Geschrei abstellen. Doch die aufmerksame Mutter erkennt schon am Klang der Stimme, was los ist: Mein Kind hat Hunger. Liebevoll nimmt sie es in ihre Arme, sie wiegt es sanft und legt es an ihre Brust. Das Kind beruhigt sich und ist zufrieden. Nach einiger Zeit schläft es ein. Es hat gemerkt: Wenn ich vor Hunger schreie, dann ist jemand da, der meinen Hunger stillt. Jemand, der sich um mich kümmert. Auf den ich mich verlassen kann. Dem ich voll vertrauen darf. Der mir gibt, was ich zum Leben brauche. Auch wenn das Kind kein Wort sagen kann, die Sprache der Mutter versteht es wohl. Es ist die Sprache der liebevollen Zuwendung. Die Sprache, die Geborgenheit und Wärme, Nahrung und Leben schenkt: die Muttersprache des Herzens, die man weder im Ausland noch im Sprachlabor lernt, sondern nur mitten im Leben. Das Talent für diese Sprache ist uns mitgegeben. Sie sprengt alle Grenzen.

Wer bei Maria in die Schule geht, lernt bei ihr viel. Sie ist guter Hoffnung, weil sie die Muttersprache des Herzens beherrscht. Ihr Grundwortschatz beginnt mit „annehmen, empfangen“. Als Maria erfährt, dass sie den Sohn Gottes zur Welt bringen soll, weiß sie von diesem Kind nur Eines: „empfangen vom Heiligen Geist“. Als die Jünger sich vor Pfingsten im Obergemach versammeln, geht es auch nur um Eines: um den Empfang des Heiligen Geistes. Wir kennen das Sprichwort, das Paulus dem Herrn in den Mund legt: „Geben ist seliger als nehmen“ (Apg 20,35). Aber im Hinblick auf das, was wir glauben und hoffen dürfen, gilt auch die Umkehrung: Nehmen, empfangen, sich beschenken lassen ist seliger als geben. So ist der heutige Tag ein Wechselspiel von Geben und Nehmen, von Schenken und Empfangen. Das Bistum freut sich über die Präsenz der Cruzadas und nimmt sie gerne auf. Gleichzeitig bin ich zuversichtlich, dass auch Sie, liebe Schwestern, sich als in unserer Diözese neue Gemeinschaft gut angenommen und aufgehoben wissen. Willkommen in unserer Bistumsfamilie!

Wenn sich in einer Familie Nachwuchs anmeldet, dann sagen wir: Die Eltern erwarten ein Kind. Dieser Ausdruck spricht Bände. Wir sagen nicht: Die Eltern „machen“ das Kind; so redet man allenfalls im Straßenjargon. Wir sprechen von Erwartung. Denn wir spüren: Ein Kind kann man letztlich nicht machen, man kann es nur empfangen als Gabe, als Geschenk des Himmels. So wie man auch die Liebe nicht machen kann. Sie schenkt sich uns, wie durch ein Wunder.

Unser Heiliger Vater Franziskus wird nicht müde zu erinnern, dass die Hoffnung mit dem Empfangen beginnt. Dabei kann er an seinem Vorgänger anknüpfen. Indem sich der em. Papst Benedikt auf die Enzyklika „Humanae vitae“ bezog, die 1968 mitten in die studentischen Freiheitsbewegungen hineinsprach, stellte er fest: „In einer Kultur, in der das Haben über das Sein dominiert, riskiert das menschliche Leben seinen Wert zu verlieren. Wenn die Ausübung der Sexualität sich in eine Droge verwandelt, die den Partner den eigenen Sehnsüchten und Interessen unterwirft, ohne die Zeiten der geliebten Person zu respektieren, dann geht es nicht mehr nur darum, das wahre Verständnis von Liebe zu verteidigen, sondern zuallererst die Würde der Person überhaupt. Als Gläubige können wir niemals zulassen, dass die Vorherrschaft der Technologie den Wert der Liebe und die Heiligkeit des Lebens zerstört“ (Audienz für Teilnehmer an einer Tagung der Lateran-Universität am 10. Mai 2008).

Vorherrschaft der Technologie über den Wert der Liebe und die Heiligkeit des Lebens: Das ist die Versuchung unserer Zeit. Maria hat auf die überraschende Schwangerschaft weder geantwortet: „Das werde ich (mit Josef) schon irgendwie schaukeln“, oder gar: „Das Kind lasse ich mir wegmachen“, sondern: „Ich lasse es geschehen.“ Im Gespräch mit dem Engel war „Fiat“ ihr letztes Wort, und so spannte sich die Heilsgeschichte fort. Selig sind nicht die Macher! Selig sind die Empfänglichen; selig sind, die Gottes Willen geschehen lassen!

Was für Liebe und Leben gilt, treffen wir in vielen anderen Bereichen wieder. Die Spannung zwischen Machen und Annehmen, zwischen Produzieren und Empfangen, zwischen Haben und Sein ist so alt wie die Menschheit. Leute wollen den Himmel stürmen, und sie fallen dabei aus allen Wolken. Sie starten zum Höhenflug und zerschellen am Boden. Diese uralte Versuchung des Menschen hat einen Ort: Er heißt Babel. Die Bewohner von Babel wollen sich einen Namen machen. Die Anstrengungen dienen der eigenen Selbstdarstellung. Und die Menschen lassen sich aus in ihrer Lieblingsbeschäftigung: Sie fahren Karussell um das Denkmal, das sie sich selbst setzen wollen. Sie drehen sich im Kreis um sich selbst und meinen, der Zerstreuung und dem Verfall zu entrinnen. Weit gefehlt! Die Gesellschaft der Macher scheitert. Das Riesenunternehmen steht unter dem Fluch der „babylonischen Verwirrung“. Ein trauriger Name, den sich die Macher für alle Zeiten geschaffen haben. Der Name steht für das, worunter wir leiden, auch in der Kirche, in unseren Gemeinschaften, in unseren Familien: Wir verstehen uns nicht mehr, wir reden aneinander vorbei, „sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht“ (Gen 11,7). Wir haben die Muttersprache des Herzens verloren. Daran krankt auch der Synodale Weg. Statt des erhofften Pfingsten droht uns eine heillose Sprachverwirrung.

Muss das so weitergehen? Gibt es keine Alternative zur Geschichte Babels? Wo legt die Hoffnung ihre Spur? „Empfangen durch den Heiligen Geist“ war Jesus, Menschenkind und Gottessohn. Wie Maria den Sohn Gottes austragen durfte, so ist sie an Pfingsten dabei, als die Geburtsstunde der Kirche schlägt, die ebenfalls „empfangen ist vom Heiligen Geist“. Nicht wir sind die Macher der Kirche; noch ehe wir sie mitgestalten können, ist die Kirche auf uns zugekommen: Wir haben den Glauben von der Kirche empfangen, wir durften die Liebe der Kirche erfahren und wir können uns auf die Hoffnung der Kirche stützen.

Concepit de Spiritu Sancto.“ Empfangen durch den Heiligen Geist. „Concepit.“ Wer das „Concepit“ glaubt, hat ein Konzept von Kirche, das beginnt mit dem Empfangen. Das leben Sie, liebe Cruzadas, vor: entschlossen und charmant. Sie sind keine Powerfrauen mit geballten Fäusten; Sie schöpfen aus einer anderen Power: der Kraft des Heiligen Geistes. Zeigen Sie diesen Spirit! Strahlen Sie ihn aus! Bringen Sie den guten Heiligen Geist in dieses Haus! Der hl. Josef, Ihr Schutzpatron, hält seine Hand über Ihre Gemeinschaft. Da bin ich mir sicher. Auch der hl. Petrus Canisius, dessen 500. Geburtstag wir heuer feiern, steht hinter Ihnen, wenn aus der Immobilie ein kleiner Leuchtturm der Evangelisierung erwachsen würde, der seinen Namen trägt: Petrus Canisius.

Maria, wir danken dir, dass du uns die Muttersprache des Herzens gelehrt hast. Du warst guter Hoffnung, weil du ganz auf Gott gesetzt hast. Leider erliegen wir immer wieder der Versuchung, die Muttersprache des Herzens zu vergessen, sodass wir Fremdsprachen besser beherrschen als die Sprache, die in unser Herz gelegt ist. Doch du gibst nicht auf: die Menschen nicht, die Kirche nicht, mich persönlich nicht. Dein Herz schlägt weiter auch für mich. Heute ist dein Tag, Mutter Gottes, und auch der Tag von Mutter Kirche. Ich danke dir für deine mütterliche Liebe.