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Wichtiges
Predigt am Palmsonntag 2022 im Hohen Dom zu Augsburg

„Entscheidung ist gefragt. Neutralität funktioniert nicht.“

10.04.2022

Droht dem synodalen Weg das Aus? Heute erleben wir den Gipfel und den Tiefpunkt des synodalen Wegs, den Jesus und seine Begleiter und Begleiterinnen gemeinsam gegangen sind. „Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!“

Noch klingen uns die Worte im Ohr, mit denen die Jünger beim Einzug in Jerusalem die Menschen „freudig und mit lauter Stimme“ angesteckt, ja mitgerissen haben: „Jesus ist der Messias, der Beste.“ Doch wenige Tage später ändert sich der Ton. Die Leute schreien: „Weg mit ihm!“ Und immer lauter wird der Ruf: „Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!“

Jesu synodaler Weg scheint am Ende. Synodos heißt: miteinander auf dem Weg. Zum ersten Mal im Neuen Testament taucht das Wort Synodos bei der Wallfahrt nach Jerusalem auf, an der Jesus als Zwölfjähriger mit seinen Eltern teilnimmt. Synodos (synodia) wird übersetzt mit „Reisegesellschaft“.[1] In einer Reisegruppe bestimmen nicht alle das Programm; das tut der Reiseleiter, der begleitet und führt. Unser Reiseleiter/Pilgerführer ist Jesus. Schon als Zwölfjähriger bleibt er in Jerusalem zurück. Er wählt eine andere Gesellschaft (Weggemeinschaft), die der Schriftgelehrten und Pharisäer, in deren Mitte er das Wort Gottes als Wegweiser auslegt. Was er den besorgten Eltern, die der alten Reisegesellschaft gefolgt waren, im Tempel sagt, zeigt das Ziel des Weges an, auf den ER uns führen will: „Wusstet ihr nicht, dass ich im Hause meines Vaters sein muss?“ (vgl. Lk 2,49)

Später ist der erwachsene Jesus drei Jahre lang synodal unterwegs: mit den zwölf Aposteln, darunter die drei besonders Auserwählten Petrus, Jakobus und Johannes, die er gelegentlich beiseite nahm; mit den 72 Jüngern, die er jeweils zu zweit aussandte; manchmal ist Jesus umgeben von einer großen Menschenmenge, die an seinen Lippen hängt, als er die Seligpreisungen predigt, und die ins Schwärmen gerät angesichts der Zeichen und Wunder, die Jesus öffentlich wirkt. Das zieht an, das begeistert, da springt der Funke über. Doch als es brenzlig wird, als die Freundschaft mit Jesus etwas kostet – vielleicht sogar das Leben, da ist es aus mit dem Bad in der Menge, da lichten sich die Reihen schnell. In Scharen wechseln die Leute die Seiten und werden zur erdrückenden Mehrheit. Die Lautstärke der Masse übertönt manch leisen Ton und stummen Gedanken: Jesus muss weg. Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!

Jesu synodaler Weg geht zu Ende. Der Einzug in die Stadt war ein Triumph, beim Auszug nach Golgatha ist Jesus einsam und verlassen. Simon von Zyrene trägt das Kreuz mit, nicht freiwillig, sondern aus Zwang. Bei der Kreuzigung ist Jesus allein – nur ein paar ganz Treue bleiben. Viele schauen von weitem zu, wie wohl das „Schauspiel“ enden würde: „Alle, die zu dem Schauspiel herbeigeströmt waren und sahen, was sich ereignet hatte, schlugen sich an die Brust und gingen weg. Alle seine Bekannten aber standen in einiger Entfernung, auch die Frauen, die ihm von Galiläa aus nachgefolgt waren und die dies mit ansahen.“ (Lk 23,48f)

Der Kreuzweg Jesu kann uns nicht unberührt lassen. Er ruft in die Entscheidung. Der synodale Rat der Apostel empfiehlt Jesus, das Kreuz zu umgehen. Petrus, der Sprecher des Gremiums, macht Jesus Vorwürfe und versucht, das Vorhaben zu korrigieren: „Das soll Gott verhüten. Das darf mit dir nicht geschehen.“ (Mt 16,22) Jesus bindet sich nicht an diesen Ratschlag. Er wählt das Kreuz. Damals wie heute stehen wir vor demselben Problem: Neutralität funktioniert auf Dauer nicht. Jede und jeder muss sich entscheiden, wie er/sie glauben und leben will. Wir alle müssen uns fragen, welchen Weg die Kirche in Deutschland nehmen soll. Es geht um eine spirituelle Option. Auf seinem persönlichen synodalen Weg hat Jesus die Erfahrung gemacht, vom Volk verlassen zu sein, von den sog. besten Freunden verkauft und verraten zu werden. Die Apostel gingen nicht mehr mit.

Das Volk Gottes auf dem Weg durch diese schwierige Zeit, die synodale Kirche, kommt am Kreuz nicht vorbei. Deshalb sind die synodalen Prozesse, die nicht nur uns in Deutschland, sondern die ganze Weltkirche auf allen Kontinenten bis in die letzten Winkel des Globus betreffen, kein Spaziergang. Sie ähneln einem Kreuzweg. Jesus hat die Gemeinschaft seiner Apostel mitgeschleppt nach Golgatha. Das war keine gemütliche Reisegesellschaft, keine Touristentour, es war ein anstrengender Pilgerweg. Jesus trägt auch uns mit, er erträgt uns, er entlastet uns. Denn wir dürfen sicher sein: Nicht wir tragen die Kirche. Der Herr trägt sie – unsere Kirche, die letztlich SEINE Kirche ist. Das gibt mir Hoffnung. Auch wenn es mitunter ein Kreuz ist mit dieser konkreten, sündhaften Kirche, die belastet ist von dunklen Existenzen und Schatten der Schuld, Jesus hat auch diese Kirche in weiser Voraussicht in seinem Kreuz mitgetragen.

Wichtig ist, dass wir uns entscheiden für IHN, unseren Heiland und Erlöser. Die Heilige Woche ist dafür eine Chance. Nehmen wir sie wahr! Es geht nicht um den Erhalt einer Institution, die Kirche heißt; viel Mehr steht auf dem Spiel: Jesus und SEIN Evangelium. Auch wenn der erste synodale Gang Jesu von Galiläa nach Judäa in seinem Tod am Kreuz endete, wird ein neuer Anfang gesetzt: der neue synodale Weg, die Kirche. Der Auferstandene gibt an Ostern den Startschuss, Christus reicht uns den Kompass seines Heiligen Geistes, der uns als „neuen Weg“ (Apg 9,2) durch die Zeit antreibt und begleitet. Wir beten Dich an, Herr Jesus Christus, Du Weg, Wahrheit und Leben: denn durch Dein heiliges Kreuz hast Du die Welt – auch die Kirche! – erlöst. Amen.

[1] Interessant ist die Übersetzung von Peter Knauer SJ in: Das Neue Testament. Studienausgabe, Berlin 2021, wo Lk 2,44 so wiedergegeben wird: „Sie meinten, er sei in der Weggemeinschaft.“