Erlebnispädagogik in der Kirche – ein Bericht
In der zweiten Vorstellung geht es um die erlebnispädagogischen Führungen in Augsburger Kirchengebäuden. Unsere Autorin Gertrud Brunner beteiligt sich an dieser ökumenischen Aktion in der Basilika St. Ulrich und Afra.
Weil ich selber Geschichte im Schulunterricht oft langweilig fand, gerne mit Kindern arbeite und in der Gemeinde St. Ulrich und Afra aktiv bin, begann ich 2003 im Afra-Team mitzuarbeiten. Anlässlich des Afra-Jubiläums 2004 wollten wir eine Kinderführung im Rahmen der „Erlebnispädagogik in der Kirche“ ausarbeiten. Ich will nicht verschweigen, dass jede Führung sehr aufwendig ausgestattet ist mit Materialien vielfältiger Art, meist auch mit „zeitgemäßer“ Kleidung für die Kinder und die Führer/-innen. Entsprechend hoch ist der Zeit- und Arbeitsaufwand für Vor- und Nachbereitung. Aber wenn man die Begeisterung der Kinder und den Erfolg seit 15 Jahren erlebt, nimmt man die Anstrengung gern in Kauf. Für mich war es bereichernd, bei der Ausarbeitung von fünf Führungsthemen mitzumachen und mit so vielen kreativen und engagierten Leuten zusammenzuarbeiten.
Die Idee stammt aus England, aus der Londoner Kirche St. Albans. Vorbild war die Arbeitsweise des dortigen „education centre“. Die Vorbereitungen in Augsburg starteten im Jahr 1999, im Mai 2000 begannen die ersten Führungen für Schulklassen. Aus einem einstmals kleinen Team ist eine Gruppe von derzeit 47 Ehrenamtlichen gewachsen. Die Leitung hat Ute Pätzel. Sie ist ausgebildete Grundschullehrerin.
Die Termine werden allen Grundschulen in der Stadt und Region für das ganze Schuljahr angeboten und sind im Nu ausgebucht. Die Führungen finden vormittags statt, dauern 90 Minuten und eignen sich für die dritte und vierte Jahrgangsstufe.
Jedes Kind bezahlt 2,50 €; davon werden die zahlreichen Materialien beschafft.
Zurzeit gibt es acht verschiedene Kinderführungen an acht Spielorten. Für die Anna-Kirche, die wegen langwieriger Renovierungsarbeiten viele Jahre nicht mehr genutzt werden konnte, wird derzeit eine neue Führung ausgearbeitet zum Thema „Martin Luther“.
Die Führungen konzentrieren sich auf die Augsburger Innenstadtkirchen, legen großen Wert auf erlebnispädagogische Elemente und vermitteln Lerninhalte aus dem bayerischen Grundschullehrplan:
„Beim Lernen spielt die Eigenaktivität der Schüler eine entscheidende Rolle. Aufbauend auf bisherigen Erfahrungen entwickeln sie eigene, subjektiv stimmige Vorstellungen, die durch weiteres Lernen objektiviert werden. Die Kinder lernen, indem sie neue und bereits vorhandene Informationen und Handlungsmuster miteinander verknüpfen.“
Unsere Kirchen prägen das Stadtbild. Sie erzählen von dem, was unseren Vorfahren heilig war und uns heute noch berührt. Kirchenräume beeindrucken durch ihre Größe, Höhe, Stille, Andersartigkeit. Viele Kinder betreten bei unseren Führungen das erste Mal in ihrem Leben eine Kirche. Aber viele wissen auch gut Bescheid über die besonderen Merkmale einer Kirche, über Unterschiede zwischen evangelischen und katholischen Gotteshäusern. Wenn dieser „Blick in die Kirche“, die Geschichte der Kirche, ihre Besonderheiten thematisiert worden sind, geht die Führung auf ein spezielles Thema ein.
„Mathematik“ in der evangelischen Ulrichskirche
In einem Gebäude wie der evangelischen Ulrichskirche gibt es unendliche Möglichkeiten zum Schätzen, Vergleichen, Berechnen und Ausmessen. Mit der Hilfe von Messrad und Maßstab, von Fuß und Klafter wird den Kindern kaum eine Ecke der Kirche verborgen bleiben. Auch geometrische Formen und Muster gilt es zu entdecken. Anhand der Lage der Kirchengebäude (St. Ulrich und Afra und die evangelische Ulrichskirche) zueinander lassen sich gut die Himmelsrichtungen erkennen. Als sprichwörtlicher Höhepunkt der Führung wird die Höhe der Kirche gemessen. Wie? Ein gasgefüllter Luftballon schwebt an einer langen Schnur langsam zur Kirchendecke …
„Orientierung im Raum“ im Augsburger Dom
Der Hohe Dom zu Augsburg bietet viele Besonderheiten. Seine Lage im Stadtbild ist markant und wird anhand von Luftbild und Modell erschlossen. Dabei spielen die Himmelsrichtungen eine wichtige Rolle. Der Grundriss hilft uns, in einem Orientierungsspiel wichtige Gegenstände im Kirchenraum zu finden. Deren Position wird im Plan verankert und ihre Bedeutung geklärt. Die Erkundung des Doms berührt die Baugeschichte und lässt die ruhige Atmosphäre des Raums wirken.
„Der Augsburger Religionsfriede von 1555“ in Evangelisch Heilig Kreuz
Elisabeth, das katholische Mädchen aus Göggingen, hat Glück: Sie bekommt eine Arbeitsstelle als Magd in einer angesehenen Augsburger Familie. Allerdings muss sie auch vieles neu lernen. Ihre Herrin gehört zu den Protestanten, wie so viele Menschen in Augsburg, und die machen vieles anders, als sie es von daheim gewohnt ist. Manchmal bekommt sie es auch regelrecht mit der Angst zu tun, denn in der Stadt herrschen zwischen den katholischen und protestantischen Bürgern Streit und Unfriede. Elisabeth weiß, dass es im Reich sogar Krieg wegen des Glaubens gegeben hat. Auch die Handwerker, wie z. B. die Drucker haben es nicht leicht. Hoffnung bekommen die Augsburger Bürger im Jahr 1555, als sich die Fürsten und ihre Räte in Augsburg zum Reichstag versammeln und miteinander über den Frieden zwischen den Katholischen und den Evangelischen verhandeln: Es wäre wunderbar, wenn jeder dann in Frieden seinen Glauben leben könnte.
„Die heilige Afra und die Römer in Augsburg“ in der Basilika St. Ulrich und Afra
Um 300 n. Chr. herrschte im römischen Augusta Vindelicum ein munteres Treiben. Likatier, Vindeliker, Gallier, Germanen und römische Staatsbürger trafen sich in den Markthallen, Thermen und auf den Straßenkreuzungen. Lucia und Flavia sind als Mägde jeden Tag dabei und wissen viel zu erzählen vom alltäglichen Leben in einer römischen Stadt in der Provinz – und natürlich von ihrer Freundin Afra.
„Musik“ in der evangelischen Jakobskirche
Bei der musikalischen Pilgerreise durch die Jakobskirche spielen zwei bekannte und auch heute noch bewunderte Heilige eine wichtige Rolle: Der heilige Jakob, ein Jünger Jesu, und Franz von Assisi. Jeder Schüler bekommt ein Pilgergewand und einen mittelalterlichen Namen. Die Kinder werden angeleitet, rhythmisch zu sprechen, sie laufen, singen und hören Orgelmusik. Dann entsteht ein besonderes Klangerlebnis: Jeder junge Pilger darf verschiedene Glocken ausprobieren, die es in solcher Vielfalt weder in der Schule noch zu Hause gibt. Ein gemeinsam gesungener Kanon rundet die musikalische Zeitreise ab.
„Leben und Wirken des Bischof Ulrich“ im Diözesanmuseum St. Afra
Bischof Ulrich hat für seine Stadt Augsburg viel erreicht. Mit Hilfe eines begehbaren Stadtplans versetzen wir uns in das Jahr 955. Zwei Domherren erklären an Stationen, wie mildtätig er zu den Armen war, welch großen Eindruck er als Persönlichkeit hinterließ und wie geschickt er Augsburg vor den Ungarn bewahrt hat. Wir lernen den Bischof und seine Aufgaben kennen, dürfen Ulrichsdenare prägen und „kochen“ in der Suppenküche. Mit Hilfe von Sprachkärtchen suchen wir die lateinischen und althochdeutschen Begriffe zu Wörtern aus unserer Zeit. Mit Steckenpferden reiten wir in die Schlacht und erfahren von den Schrecken des Krieges. Zum Schutz der damals recht kleinen Bischofsstadt errichten die Kinder aus Bauklötzchen eine Stadtmauer.
„Augsburg als Marktstadt“ in der evangelischen Ulrichskirche
Bevor die evangelische Ulrichskirche ab 1457 als Kirchenraum genutzt wurde, diente die offene Halle als Markthalle. Händler und Marktleute, Mägde und feine Patrizierinnen, Pilger und Stadtknechte bestimmen das bunte Bild des Markttreibens. Die Schüler schlüpfen in verschiedene Rollen und dürfen z. B. als Bader ihre Dienste anbieten, als Bäcker, Salzsieder oder Devotionalienhändler ihre Waren feilbieten oder als Käufer an den Tischen Salben, Pülverchen und Kräuter aller Art erstehen.
„Klösterliche Schreibstube“ im Gewölbekeller des Annahofs
Bücher waren im Mittelalter etwas sehr Kostbares, denn Mönche mussten jedes einzelne Exemplar von Hand herstellen und abschreiben. Um diese alten Techniken zu erlernen werden die Schüler selbst zu mittelalterlichen Schreibern und Buchmalern und gestalten eigenhändig eine Buchseite. Wie stellte man ein Buch her? Wozu brauchte man Gänsefedern, Rinderhörner, Muscheln und Tierhäute? An aktuellen Buchschätzen erfahren die Kinder, wie viel Freude es macht, ein schönes Buch in die Hand zu nehmen und zu lesen.