Frieden ist nur möglich, wenn er von unten wächst
Augsburg (pba). Anlässlich der diesjährigen Renovabis-Pfingstaktion haben Bischof Stanislav Šzyrokoradiuk aus der ukrainischen Diözese Odessa-Simferopol und Bischof Dr. Bertram Meier ein starkes Plädoyer für den Frieden in der Welt, aber speziell in dem von Krieg geplagten osteuropäischen Land gehalten. Bei einem Gespräch vor Medienvertretern an diesem Mittwoch in Augsburg betonten beide Bischöfe, dass jede und jeder Einzelne hierfür seinen persönlichen Beitrag leisten könne und welche Aufgaben die Kirchen dabei erfülle.
Bischof Stanislav, der als Partner des Osteuropa-Hilfswerks für drei Tage in der Diözese zu Gast war, berichtete über die aktuelle Situation in der Ukraine und gab Einblicke in die angespannte Situation auf dem Gebiet seines Landes und der ihm anvertrauten Gläubigen. Zuallererst richtete er seine Worte auf die in den vergangenen Monaten und Jahren erfahrene Hilfe und Unterstützung – auch durch das Gebet so vieler. „Ich bin auch gekommen, um mich zu bedanken für die große Solidarität und nicht um zu weinen.“
Die wichtigste Aufgabe der Kirche in der Ukraine sei es neben den vielen karitativen Angeboten nach wie vor Gottes Wort zu verkündigen und Gottesdienste zu feiern. So bietet etwa die Kathedrale in Odessa derzeit sechs statt früher vier Sonntagsgottesdienste an. „Unsere Priester sind bei den Gläubigen geblieben. Die Kirche betet für und mit unseren Leuten“, betonte er. Ohne Frage gehörten die vielen Beerdigungen und die Beantwortung der damit verbundenen Fragen von Angehörigen zu den großen Herausforderungen der gegenwärtigen Zeit. Der Glaube daran, dass Gott mit ihnen sei, erhalte jedoch die Hoffnung auf Frieden am Leben, so Bischof Stanislav. Eine Zuversicht, die an einem Tag wie diesem einmal mehr getrübt worden sei. So nutzte das russische Regime die Erinnerung an den Sieg über Nazi-Deutschland am 8. Mai vor 79 Jahren zu einer Vielzahl an Raketen- und Drohnenangriffen auf die Ukraine.
Bischof Bertram nahm in seinem kurzen Statement Bezug auf das von Renovabis gewählte Leitwort, das das Thema Frieden in die Mitte stellt. Friede könne nicht verordnet werden, dieser müsse von unten wachsen. „Erst wenn die Menschen ihre geistigen, realen oder auch virtuellen Vernichtungswaffen aus der Hand legen, könne Friede gestaltet werden.“ Er ging in seinen Aussagen sogar noch einen Schritt weiter: „Friede ist letztlich ein Geschenk Gottes“, das uns durch dessen Sohn verkündet worden sei.
Der Bischof erinnerte zudem an die schon jahrzehntelange Verbindung, die speziell die diözesane Abteilung Weltkirche zu verschiedenen Bistümern in der Ukraine pflege. Waren die Hilfsmaßnahmen in der Coronazeit hauptsächlich humanitäre, seien jüngst auch die geistliche Begleitung und die soziale sowie psychologische Unterstützung für die vom Krieg direkt und indirekt Betroffenen hinzugekommen, so der Bischof. „In Zahlen ausgedrückt leistete das Bistum Augsburg im Zeitraum von 2019 bis 2023 für zahlreiche Projekte rund 3 Millionen Euro an Hilfen.“ Dabei seien die finanziellen Hilfen für ihn nicht das Wichtigste, betonte der Bischof und hob vor allem die Verbindung untereinander im Gebet hervor.
Bei Begegnungen, Vorträgen und Gesprächen kam Bischof Stanislav, der zuletzt 2015 in Augsburg zu Gast war, in den vergangenen Tagen mit Gläubigen in Kontakt. Dabei traf er Schülerinnen und Schülern der 10. Klassen des Augsburger Gymnasiums Maria Stern, besuchte die Pfarrei St. Martin in Wertingen und redete vor dem Sachausschuss Mission-Entwicklung-Frieden und Umwelt des Diözesanrats der Katholiken. Gemeinsam mit Bischof Bertram und hunderten Seniorinnen und Senioren feierte er am Dienstagvormittag in der Basilika St. Ulrich und Afra einen Gottesdienst im Rahmen des Ulrichsjubiläums, in dem besonders für die Menschen in der Ukraine gebetet wurde.
Die Renovabis-Pfingstaktion steht heuer unter dem Leitwort „Frieden wächst von unten: DU machst den Unterschied“. Damit greift das kirchliche Hilfswerk nicht nur den Krieg gegen die Ukraine und andere Konflikt-Situationen in Südosteuropa auf, sondern auch das Gedenken an den Westfälischen Frieden vor 375 Jahren. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.renovabis.de.
Zur Person
Stanislav Šzyrokoradjuk wurde 1956 in einem kleinen Ort westlich von Kiew geboren. Er besuchte zunächst eine Technikerschule der Eisenbahn und absolvierte seinen Militärdienst, bevor er in Riga (Lettland) Philosophie und Theologie studierte. 1981 trat er dem Franziskaner-Orden bei, 1984 wurde er zum Priester geweiht. Im Mai 1996 berief die ukrainische Bischofskonferenz Šyrokoradjuk zum Präsidenten der römisch-katholischen Caritas Spes in der Ukraine. Im April 2014 wurde er von Papst Franziskus zum Bischof von Charkiw-Saporischja ernannt, seit Februar 2020 ist er Bischof von Odessa-Simferopol.
„Frieden“ im Fokus der Pfingstaktion 2024
Die Menschen in den Partnerländern von Renovabis in Mittel-, Ost- und Südosteuropa kommen nicht zur Ruhe: In einer ganzen Reihe von Ländern gibt es Konflikte, die zum Teil offen ausgetragen werden, zum Teil mehr oder weniger latent schwelen: Der schreckliche russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tobt seit mehr als zwei Jahren, im Osten des Landes wird bereits über zehn Jahre lang gekämpft. Die Spannungen in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo dauern an und auch in der Republik Moldau ist der Konflikt mit der abtrünnigen Region Transnistrien nicht beigelegt. Ein wichtiger Beitrag zum Frieden ist es, wenn die während eines Konfliktes entstandenen Traumata sowohl individuell als auch kollektiv bearbeitet werden und so eine gesellschaftliche Resilienz entsteht. Vielversprechend ist dabei ein Ansatz, der den Dialog sucht und stärkt und somit Frieden, Versöhnung und Vergebung wachsen lässt – sowohl innerhalb von Gesellschaften als auch grenzüberschreitend. Dieses Ziel verfolgt Renovabis in seiner Arbeit mit Projektpartnerinnen und -partnern im Osten Europas seit seiner Gründung vor mehr als 30 Jahren – und es ist derzeit wichtiger denn je.