„Gesandt – Getragen von Gottes Stärke“
„Seht auf eure Berufung!“ (1 Kor 1,26) Das ist der erste Satz, den uns der hl. Paulus in der heutigen Lesung aus dem Brief an die Gemeinde in Korinth zuruft. Eine wahrlich passende Überschrift für unsere Aussendungsfeier, meine ich, bei der wir alle uns von Herzen darüber freuen dürfen, dass sechs neue Mitarbeiterinnen öffentlich ihre Bereitschaft erklären, mit ganzer Kraft Gott und den Menschen zu dienen. Damit folgen sie einer inneren Stimme, die sie als Berufung des Herrn erkannt haben, der sie hinaus in die Welt schickt, um seine Botschaft des Heils in Wort und Tat zu verkünden.
Dass dies nicht immer leicht ist und uns bisweilen sehr viel abverlangt, wissen wir alle. So finde ich das von Ihnen gewählte Leitwort für diese Aussendungsfeier überaus geistreich: „Gesandt – getragen von Gottes Stärke“. Hierin spiegeln sich zum einen die tiefe Erkenntnis und Überzeugung, vom Herrn berufen zu sein, der jede und jeden auf unterschiedliche Weise anspricht und an verschiedene Einsatzorte führt. Es war wie jedes Jahr sehr spannend für mich, bei unserem persönlichen Treffen vor wenigen Tagen Ihre jeweiligen Lebenswege kennenzulernen und dabei zu hören, was sie zum pastoralen Dienst motiviert hat, welche speziellen Interessen Sie haben, und was Ihnen Freude bereitet.
Zum anderen beinhaltet dieses Leitwort aber auch die fundamentale Hoffnung und Erfahrung, dass wir, als von Gott Berufene, keinen Schritt allein gehen müssen, sondern dass der Herr immer an unserer Seite geht und uns gerade da stärken will, wo wir schwach sind. So kann ich Sie, liebe Auszusendende, und uns alle nur ermutigen, auf diese Zusage Gottes zu vertrauen und sich bei allen Mühen des Alltags ausreichend Zeit zu nehmen, die Nähe Gottes im Gebet zu suchen. Es ist die Quelle, aus der wir leben und die Stärke geschenkt bekommen, die wir für uns selbst und den Dienst an den Mitmenschen brauchen.
Dies können wir auch den heutigen Tageslesungen entnehmen, in denen uns vor Augen geführt wird, was genau es eigentlich heißt, „gesandt und getragen“ zu sein. Zwei Gedanken möchte ich Ihnen dazu anbieten.
1. Gesandt
Der erste kreist um den Sendungsauftrag Jesu, von dem wir im heutigen Evangelium gehört haben. Nachdem er zuvor die Frohe Botschaft vom Reich Gottes in der Bergpredigt verkündet und anschließend viele Wunder gewirkt hat, wird der Sohn Gottes geradezu umlagert von Menschen, die ihn um Beistand und Heilung anflehen. Obgleich er die göttliche Macht dazu gehabt hätte, allen zu helfen, wählt Jesus einen anderen Weg: Er sendet seine Jünger aus, damit auch sie in seinem Namen den Menschen zur Seite stehen. Da es angesichts der Masse an Leuten jedoch eine viel zu kleine Schar ist, ruft er zudem dazu auf, inbrünstig darum zu beten, dass der himmlische Vater mehr Arbeiter für die „Ernte“ (Mt 9,38) schickt.
Ernte – das ist im Alten Testament in der Regel ein Bild für das endzeitliche Gericht, aus dem Jesus nun etwas Neues macht, insofern er schon vorher möglichst viele Menschen sammeln und zum Heil führen möchte. Ganz konkret will er, dass die Menschen bereits zu Lebzeiten auf Erden etwas spüren können von der Liebe Gottes, die uns alle übersteigt. Für Sie, liebe Auszusendende, aber auch für diejenigen, die schon länger im pastoralen Dienst sind, können die einzelnen Schlagworte der Sendung wegweisend sein, die uns der Evangelist Matthäus hinterlassen hat. Lassen Sie uns daher noch einmal genau hinschauen, was Jesus tut, und wie er es tut, damit wir ihm in rechter Weise folgen können, an den konkreten Stellen und im Umgang mit den Menschen, zu denen wir gesandt sind.
Die biblische Erzählung beginnt damit, dass Jesus umherzog (vgl. Mt 9,35). Der Sohn Gottes ging demnach durch die Lande, suchte die Menschen aktiv auf und wartete nicht, dass sie zu ihm kommen. Mich erinnert das an ein Bild des verstorbenen Papstes Franziskus, der oft von der „Kirche in Bewegung“ sprach und die Gläubigen immer wieder dazu aufrief, die Menschen in ihren jeweiligen Lebenskontexten aufzusuchen und besonders die Benachteiligten im Blick zu haben. Ja, das kostet Zeit und Energie, aber noch viel mehr eine Justierung der Prioritäten, denn wie oft verbringen wir den halben Tag mit Gremiensitzungen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, auch diese müssen von Zeit zu Zeit sein. Aber ich möchte sie dennoch ermuntern, gut zu reflektieren, welche Sitzungen wirklich notwendig sind, und wo es aus pastoraler Sicht gebotener erscheint, den direkten Kontakt zu Menschen zu suchen, mit ihren individuellen Fragen und Sorgen, um sie seelsorgerlich zu begleiten.
Wenn Kirche zukünftig noch stärker missionarisch-synodal sein soll, wie es viele fordern und auch bei der im letzten Jahr zu Ende gegangenen Bischofssynode formuliert wurde, muss sie noch mehr aus sich heraus gehen. Das heißt: neue Wege finden, Ideen entwickeln, den Kontakt auch zu Kirchenfernen suchen und nicht den Mut verlieren, wenn Gesprächsangebote abgelehnt werden oder Menschen abweisend reagieren. Gerade in der heutigen Zeit, in der die gesellschaftliche Stimmung derart angespannt und nicht selten aggressiv ist, müssen wir damit rechnen, dass wir nicht überall willkommen sind. Aber das alles hat auch Jesus schon vor zweitausend Jahren erlebt. Dennoch hat er immer wieder voller Liebe seine Hand ausgestreckt. Das soll unser Maßstab sein! Wir können als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche nur säen, alles andere liegt nicht in unserer Macht.
Ein zweites Kriterium der bei Matthäus beschriebenen Sendung ist das Lehren und Verkünden (vgl. Mt 9,35). Wie macht man das heutzutage, den Menschen das Wort Gottes anzubieten, ohne dass es be-lehrend erscheint oder gar unglaubwürdig? Ich denke, der Schlüssel dafür liegt in den Begabungen, die der Heilige Geist in jeden von uns hineingelegt hat. Da gibt es Frauen und Männer, die gerne und überzeugend verbal verkünden, sei es in der Liturgie, im Schuldienst, oder einer anderen kategorialen Stelle. Andere haben ein Talent zum Schreiben, wieder andere verkünden am liebsten durch ihr Handeln im Dienst der Nächstenliebe. Was auch immer Ihre Persönlichkeit auszeichnet, verstehen Sie Ihre „Person“ durchaus im wörtlichen Sinne als jemanden, durch den das Wort Gottes „hindurch tönen“ möchte. Soll heißen: Wir verkünden nicht uns selbst, sondern IHN, der durch uns sprechen und handeln will.
Die heutige Lesung macht dies deutlich: Darin mahnt der Apostel Paulus, dass wir uns niemals selber rühmen sollten, wenn wir meinen, an bestimmten Stellen gut und gerecht gehandelt zu haben, sondern dass wir immer allein Gott die Ehre geben, der in uns lebt und wirkt (vgl. 1 Kor 1,30f.). Offenbar gab es in der Gemeinde von Korinth damals einige, die sich als etwas Besseres fühlten und auf andere herabblickten. Bleiben wir also immer bescheiden und vergessen wir nie, dass wir die Menschen unserer Zeit nur dann erreichen können, wenn wir gut auf das hören, was Gott uns ins Herz legt, denn von ihm allein geht alle Berufung aus. Auf diese Weise sind wir nicht nur recht-gläubig, sondern vor allem glaub-würdig.
Dazu verhilft auch das dritte Kriterium, von dem wir bei Matthäus lesen: Das Sehen Jesu und sein liebevoller Blick (vgl. Mt 9,36). Zu oft hört man davon oder erlebt es selbst, dass Mitarbeiter der Kirche - Priester und Bischöfe ausdrücklich miteingeschlossen - in entscheidenden Momenten nicht den nötigen Blick für die Menschen in ihrer Umgebung haben, die nach Hilfe oder Orientierung suchen. Das muss nicht unbedingt aus Unvermögen oder Ignoranz geschehen, sondern kann auch in einer körperlichen und geistlichen Erschöpfung begründet liegen. Für unsere Mission ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir uns immer wieder bemühen, achtsam hinzuschauen und wahrzunehmen, was die Menschen, für die wir verantwortlich sind, brauchen. Sehr schön zusammengefasst ist dies in der Verkündigungsbulle zum Heiligen Jahr 2025, Spes non confundit, in der es heißt: „Ein Lächeln, eine Geste der Freundschaft, einen geschwisterlichen Blick, ein aufrichtiges Zuhören, einen kostenlosen Dienst (…) in dem Wissen, dass dies im Geist Jesu für diejenigen, die es empfangen, zu einem fruchtbaren Samen der Hoffnung werden kann.“ (Nr. 18) Das alles sind Möglichkeiten, wodurch wir für uns selbst und für andere zum Segen werden können.
Falls Sie an der Stelle das Gefühl haben, dass es so viel ist, was Sendung ausmacht und worauf wir alles achten sollten, kann ich Ihnen mit meinem zweiten, deutlich kürzeren Gedanken hoffentlich den Druck nehmen.
2. Getragen von Gottes Stärke
Sie selbst haben es wunderbar formuliert: „Getragen von Gottes Stärke“. Es wird Situationen geben, wo Sie müde werden und zu zweifeln beginnen. Mögliche Gründe dafür gibt es viele: Zum Beispiel die Entwicklung der Kirche, welche Sie an der einen oder anderen Stelle womöglich kritisch sehen. Oder berufliche Misserfolge, die wir alle erleben. Wahrscheinlich am gefährlichsten sind persönliche Enttäuschungen. Ein Grund, warum Paulus seinen ersten Brief an die Korinther schrieb, war auch der Unfriede und Ärger in der von ihm gegründeten Gemeinde. Es muss schmerzhaft für ihn gewesen sein, davon zu hören, dass es offenbar schnell dahin war mit der geschwisterlichen Liebe unter den neugetauften Christen. Spannungen gab und gibt es von jeher auch im Volk Gottes.
Gott sei Dank aber hatte der Völkerapostel in seinem Leben schon zu oft und nachhaltig die Größe und Liebe Gottes erfahren, dass er darüber nicht verzweifelte. Er wusste in seinem Inneren, dass nicht er allein das alles lösen muss, geschweige denn kann, sondern dass Gott ihn und seine Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit begleitet. Bleiben wir darum gelassen und fröhlich, auch und gerade dann, wenn die Sorgen des Alltags uns zur Last werden. Suchen Sie in diesen Momenten die Stille, sei es in einer Kapelle oder in der Natur, und hören Sie auf die Stimme Gottes! Beten Sie zum Herrn und sagen Sie ihm, was sie bedrückt! Er wird Ihnen helfen, denn das hat er versprochen (vgl. Mt 1,28), und unzählige Christinnen und Christen haben es erfahren. Lassen Sie sich tragen von Gottes Stärke! Je mehr Sie sich dem Herrn übergeben, desto mehr wird er durch Sie hindurchscheinen.
Einer, an dem wir das gut sehen können, ist der heutige Tagesheilige Vinzent von Paul. Geboren 1581 in Pouy (Frankreich), folgte er den Spuren Jesu und machte genau das, was wir eben hörten: Er suchte Gottes Gegenwart und wurde Priester. Dann zog er umher und sah mit wachem Blick die religiöse Not der Landbevölkerung. Er begann zu missionieren und verkündete das Reich Gottes. Weil es aber zu viele Dörfer waren, sammelte er Helfer, woraus später die „Kongregation der Mission“ wurde, auch Lazaristen oder „Vinzentiner“ genannt. Eine besondere Liebe spürte der hl. Vinzent zu den Armen und Kranken. Für sie gründete er Pflegeanstalten und kümmerte sich, zusammen mit der später ebenfalls heiliggesprochenen Luise von Marillac, um jene sog. Randgruppen, die es auch heute noch gibt: Bettler, Findelkinder, verwahrloste Jugendliche, psychisch Erkrankte, Sträflinge, Flüchtlinge und Vertriebene. Vinzent von Paul sah die Menschen. Er sah, was sie brauchten, und half, wo er konnte. Sein Leitsatz war: „Liebe sei Tat!“ Seine eigentliche Stärke aber war der Glaube an Gott, der ihm die Kraft gab, all diese Taten der Liebe zu tun. Ich habe den Eindruck, dass dies heute zu oft übersehen wird.
Zu Recht verehren wir den „Begründer der neuzeitlichen Caritas“ und „Schutzpatron aller karitativen Werke“. Gerade am heutigen Tag aber wollen wir uns neu vor Augen führen, dass auch der hl. Vinzenz von Paul sich nicht nur gesandt, sondern zugleich von Gottes Stärke getragen wusste. Darum möchte ich Sie nachher, auch auf seine Fürsprache hin, aussenden, und Ihnen diesen heiligen Mann sowie die heilige Luise von Marillac zum Vorbild geben. Ganz persönlich wünsche ich Ihnen, dass Sie Ihre Sendung in den kommenden Jahren als etwas Wunderbares erkennen und in allem, was sie tun, stets die Kraft Gottes in sich spüren können – nach dem Motto des hl. Vinzent: Caritas Christi urget nos. Die Liebe Christi drängt uns.