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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram zum Tag des gottgeweihten Lebens 2022

„Graue Eminenzen und dunkle Existenzen haben das Licht verdunkelt“

02.02.2022

"Ihr Tore hebt euch nach oben. Hebt euch, ihr uralten Pforten. Denn es kommt der König der Herrlichkeit" (Ps 24,7).

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit diesen Worten grüßt die Liturgie den König der Herrlichkeit: Jesus, der in Betlehem unter sehr bescheidenen Verhältnissen geboren wurde. Heute, vierzig Tage nach seiner Geburt, überschreitet er zum ersten Mal die Schwelle des Tempels. Wie es üblich ist, bringen ihn Maria und Josef in das Heiligtum, um das Gesetz des Mose zu erfüllen: "Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein" (Lk 2,23). Der Herr des Tempels kommt unbemerkt. Nichts Außergewöhnliches ereignet sich. Der Tempel schweigt und betet. Wie immer, so ist er erfüllt vom Geheimnis der Gegenwart Gottes.

Doch dann geschieht es. Ein alter Mann ist da, der das Ereignis tiefer begreift. Zwei Augen dürfen es schauen, eine Stimme ruft es aus: In Jesus kommt "das Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für sein Volk Israel (Lk 2,32). Dasselbe, wenn auch mit anderen Worten, bringt die Prophetin Hanna zum Ausdruck, "eine Tochter Penuels und hochbetagt" (Lk 2,26). In diesem Augenblick tritt sie hinzu, preist Gott und spricht über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Israels warten (vgl. Lk 2,38).

In den beiden Senioren, die im Herzen so jung geblieben sind, begegnen sich das Alte und das Neue Testament, die Verheißung und die Erfüllung. Durch die Stimme des Simeon steigt Gott gleichsam ins Herz seines Volkes hinab, das darauf wartet, das Heil zu schauen. Heute hebt Gott die Tore der Erlösung und öffnet die Tür für die endgültige Erfüllung in der Ewigkeit.

„Ihr Tore hebt euch nach oben. Denn es kommt der König der Herrlichkeit.“

Nicht nur der Tempel von Jerusalem vor zweitausend Jahren, auch unser Dom heute ist erfüllt von der Herrlichkeit des Herrn. Ihm bringen wir unsere Psalmen und Hymnen, vor ihn tragen wir unseren Dank und unsere Bitten, ihm widmen wir Weihrauch und Licht. Wir schauen auf das „Licht der Völker“ und erinnern uns das sprechende Wort: „In deinem Licht schauen wir das Licht.“ (Ps 36,10) Im Licht der Welt entdecken wir uns selbst, wir sehen uns in einem neuen Licht.

Liebe Schwestern und Brüder des geweihten Lebens! Dass sich die Tore unseres Domes öffnen, verdanken wir auch unserem Herrn Dompfarrer, der es ermöglicht hat, dass wir diesen Tag zusammen mit der Dompfarrei unter Corona-Bedingungen feiern können. Auch die Gemeinschaft unseres Priesterseminars wirkt mit. So zeigt sich: Wir sitzen alle in einem Boot: die Schwestern und Brüder der Ordensgemeinschaften, Priester, Diakone und Kandidaten, mit allen Getauften, die einst in die Kirche getragen und dem Herrn „präsentiert“ wurden: Unser aller Leben ist auf je eigene Weise Gott geweiht.

Umso wichtiger sind Menschen, die Anschauungsunterricht erteilen: Frauen und Männer, die den evangelischen Räten folgen. Sie führen ein alternatives Leben: Kein Wunder, dass es ihnen geht wie Jesus. Auch sie sind ein Zeichen, dem widersprochen wird. Aber es leuchtet ein: Wer gegen den Strom schwimmt, eckt an. Doch wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen. Die klassischen evangelischen Räte Armut, Keuschheit und Gehorsam sind ein Versuch, dieses alternative Leben zum Ausdruck zu bringen. Leider haben sich Männer und Frauen, die sich als geistliche Menschen bezeichnen, am Anspruch der evangelischen Räte versündigt. Der Abgrund, in den wir schauen müssen, wird tiefer und dunkler. Trotzdem oder gerade deshalb habe ich heute alle im Blick, die ihre Berufung überzeugend und glaubwürdig leben – nicht nur in Worten, sondern durch ihre tägliche Treue. Sie halten die Balance zwischen Nähe und Distanz; sie begleiten Menschen, ohne sie zu bedrängen; sie geben Rat und Weisung, ohne in ein Korsett zu zwängen; die meisten sind erhaben über sexuellen und geistlichen Missbrauch. Leider haben graue Eminenzen und dunkle Existenzen einen langen Schatten auf Christus geworfen, das Licht der Welt. Die Licht sein sollten, haben Jesus und sein Evangelium verdunkelt. Das ist Verrat an der Frohen Botschaft.    

Heute dankt Ihnen die Kirche für das Zeugnis der evangelischen Räte. Auf diese Weise sind Sie eine lebendige Predigt des Festes der Darstellung des Herrn. Durch Armut, Keuschheit und Gehorsam präsentieren Sie Jesus selbst. Auf je eigene Weise sind Sie eine Praesentatio Domini, Darstellung des Herrn.

Ich persönlich weiß, wie viel Licht ein Ordenschrist verbreiten kann. Kurz nachdem ich das Licht dieser Welt erblickte, mussten mich meine Eltern ins Josefinum bringen. Es war eine Sternschwester, die mich – ein kleines schwerkrankes Baby – Tag und Nacht betreute und mir so den Weg auf dieser Erde mit gebahnt hat. Ordenschristen begleiten mich bis heute: Ich denke an die Jesuiten, bei denen ich meine theologische und geistliche Formung in Rom erhielt. Besonders erinnere ich mich an den Küchenbruder, der durch seine hintergründigen Bemerkungen unsere Schritte als Studenten kommentierte und auf diese Art wertvolle Hinweise gab. Mir kommen die Ordensfrauen in den Sinn, mit denen ich bis jetzt als Priester und Bischof zusammenarbeiten und verbunden sein darf. Dankbar bin ich den Schwestern, die ich auf Exerzitien begleitet habe, was stets ein fruchtbares geistliches Geben und Nehmen war: ein Zeichen geschwisterlicher Kirche.

Wie schon angedeutet, habe ich in meiner Ausbildung eine Dosis ignatianischer Spiritualität mitbekommen. Ein Schüler des Ignatius, der Jesuit Alfred Delp, kann uns für die Zukunft die Richtung weisen. Er, der an Lichtmess 1945 in Plötzensee erhängt wurde, leuchtet uns den Weg mit seinem Mut machenden Wort: "Wenn durch einen Menschen ein wenig mehr Liebe und Güte, ein wenig mehr Licht und Wahrheit in der Welt war, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt.“