Jörg Alt will eine nachhaltigere Welt
Ist es möglich, unsere bestehende, an neoliberalen Grundsätzen ausgerichtete Wirtschaft zu reformieren oder brauchen wir eine andere, eine nachhaltigere Form des weltweiten Umgangs? Diesen Fragen geht Jörg Alt in seinem Buch „Einfach anfangen!“ nach.
Dieses Ausrufezeichen, auf der Titelseite des Buches ist es sogar rot hervorgehoben, könnte auch als Fragezeichen gelesen werden. Denn die zentrale Forderung des Jesuitenpaters und Nürnberger Hochschulseelsorgers Jörg Alt ist die nach einem neuen Narrativ. Er will der, wie er sie nennt, „Großen Erzählung“ der Mont Pelerin Society, der es um die Bedeutung von Wirtschaftswachstum, Wohlstand und freien Märkten gehe, eine andere, eine „gute“ Erzählung gegenüberstellen. Es sei höchste Zeit, diesen Neoliberalismus in Frage zu stellen (vgl. S. 26), ist Alt überzeugt.
Dem kritischen Leser stellt sich bei der Lektüre aber die Frage, ob es wirklich nötig ist, dem seit Jahrzehnten bekannten neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem tatsächlich eine solche Alternative entgegenzustellen. Wäre es nicht auch möglich, den Neoliberalismus mit der alternativen Erzählung Alts sozusagen zu „taufen“ und so diese beiden Erzählungen miteinander zu verbinden, vielleicht auch zu versöhnen?
In seiner alternativen Erzählung, die gut zwei Seiten seines insgesamt 175-seitigen Buches einnimmt, formuliert Alt: „Wir stürzen das Geld vom Thron und machen es zum Diener aller. Materielles Wachstum verliert seine Bedeutung, inneres Wachstum und Streben nach Glück, Sinn und Wohlergehen gewinnen“ (S. 31). Wie dies konkret aussehen könnte, erklärt er in drei Kapiteln. Er wendet dabei den aus der katholischen Soziallehre bewährten Dreischritt „Sehen, Urteilen, Handeln“ an.
Für Jörg Alt selber ist die Frage nach dem Umgang mit dem Neoliberalismus eher unwichtig. Er will einfach auf der Seite der vielen tausend Menschen stehen, „die sich schon energisch für eine bessere Welt einsetzen“ (S. 73). Er nennt etwa die Fridays- und ScientistsForFuture-Bewegung. Ganz wichtig sind ihm an vielen Stellen seines Buches auch die katholische Soziallehre und insbesondere Papst Franziskus. So plädiert Alt zum Beispiel mit Bezug auf die Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils für die Idee des Gemeinwohls und stellt diese der bloßen Nutzenmaximierung des Neoliberalismus entgegen (vgl. S. 59ff).
Gegen Ende seiner Überlegungen kommt Alt zum Ergebnis, es brauche „die Herausbildung eines neuen Welt-(Umwelt-)Bewusstseins und eines Welt-(Gemeinschafts-)Bewusstseins als Handlungsrahmen“ (S. 156), wofür die katholische Kirche mit ihrem transkontinental-institutionellen Netzwerk Trendsetter und Triebkraft werden könne. Und er sagt dabei auch: „Sie werden bemerkt haben, dass ich zwar einen Systemwechsel fordere, aber zugleich auch sehr viele Reformansätze aufliste, die, wenn sie erfolgreich sind, das aktuelle System eher wandeln als ersetzen“ (S. 156).
Jörg Alt fasst in seinem Buch, wie er gleich zu Beginn schreibt, „Kerneinsichten“ (S. 9) zusammen, ihm geht es um keine Fachdiskussion, auch wenn sich die kritische Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Neoliberalismus, vor allem aber der Entwurf eines alternativen Gesellschaftsmodells wie ein roter Faden durch seine Überlegungen ziehen. Praktische Handlungsempfehlungen findet der Leser dabei eher nicht. Alt bündelt vielmehr zahlreiche Überlegungen, Anreize und Bausteine, die es mit Blick auf eine bessere, nachhaltigere Weltordnung bereits gibt. Da ist er ganz Theologe und, vielleicht noch mehr: Soziologe, der bestens mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs vertraut ist.
In diesem Sinne ist sein einfach zu lesendes Buch allen zu empfehlen, die sich intensiver mit zentralen Zukunftsfragen unserer Weltordnung befassen wollen und die nach Antworten und Anregungen jenseits neoliberalen Gedankenguts suchen. Die Positionen der katholischen Soziallehre spielen dabei eine zentrale Rolle, aber ebenso jene von politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich für ein alternatives Weltgemeinwohl einsetzen, um so „Routinen, Werten und Normen, die in den letzten Jahrzehnten bewusst oder unbewusst unser Leben dominierten“, zu entkommen (S. 49). Wer auch selber damit anfangen möchte, dem sei dieses Buch Jörg Alts empfohlen, und das durchaus mit einem Ausrufezeichen. Es kann tatsächlich dabei helfen, einfach anzufangen! (Text: Karl-Georg Michel)
Jörg Alt, Einfach anfangen! Bausteine für eine gerechtere und nachhaltigere Welt, Vier-Türme Verlag, Münsterschwarzach, 2021, 175 Seiten, 18,00 Euro (zum selben Preis auch als eBook erhältlich)