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Dompredigten im Advent 2019 3. ADVENTSSONNTAG - GAUDETE

Katharina von Siena (1347-1380)

16.12.2019

Auf meinen Spaziergängen in Rom bin ich gern in der Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva eingekehrt.

Unter dem Hochaltar befindet sich der prächtige Schrein mit dem unversehrten Leib der hl. Katharina von Siena. Im Jahre 1970 hat Papst Paul VI. die Patronin Italiens und Teresa von Avila zu doctores ecclesiae, zu Kirchenlehrerinnen, erklärt. Außer diesen beiden war damals noch keine Frau mit diesem Ehrentitel geadelt worden.

Die Ernennung geschah zu recht, bestätigt sie doch das, was schon der hl. Bernhard von Clairvaux über die Tiefe und Weite des Geistes mancher seiner Zeitgenossen geschrieben hat: Homo est egrediens mensuram suam. Der Mensch überschreitet seine eigenen Grenzen. – In mehrfacher Weise hat Katharina das Maß des Normalen gesprengt. Als 25. Kind der verarmten Familie des Wollfärbers Giacomo Benincasa und seiner Frau Lapa wird sie im Jahr 1347 in Siena geboren. Nach moderner Familienplanung hätte sie wohl keine Chance gehabt, auf die Welt zu kommen! Katharina ist keine Schönheit: Eine hart-näckige Pockenerkrankung hat in ihrem Gesicht hässliche Narben hinterlassen. Doch der Schmerz ihrer angeschlagenen Haut wird aufgehoben durch den Schatz ihres Herzens, den sie durch Verzückungen und Visionen heben darf. Schon mit sieben Jahren gelobt sie nach ihrer ersten Vision, für immer jung-fräulich zu bleiben. Fast noch ein Kind, tritt sie dem Dritten Orden bei den Buß-schwestern des hl. Dominikus bei. Sie scheut sich nicht, verfaulende und an-steckende Pestkranke zu pflegen; sie versteckt Juden, um sie vor dem damals aufkeimenden Antisemitismus zu schützen, und schafft unehelichen, allein-gelassenen und ausgesetzten Kindern eine Heimat.

 1376 macht sie sich auf nach Avignon, um den Papst aus der „Baby-lonischen Gefangenschaft“ zur Rückkehr nach Rom zu bewegen, was ihr zu-nächst auch gelingt. Das gute Werk bricht aber bald wieder zusammen, so dass es danach zwei Päpste gibt: den einen in Avignon, den anderen in Rom. Katharina steckt den Kopf nicht in den Sand. Sie will die streitenden Parteien miteinander versöhnen. Doch da macht ihre Gesundheit nicht mehr mit. Im Frühjahr 1380 bricht sie in der Peterskirche in Rom zusammen. Nach einem mehrwöchigen Krankenlager stirbt sie, kaum 33 Jahre (!) alt, mit den Worten auf den Lippen: „sangue, sangue“. Blut, Blut.

 

Wer die Bedeutung der hl. Katharina für heute entschlüsseln will, steht vor keiner leichten Aufgabe. Zweifellos war sie zu ihrer Zeit eine außer-gewöhnliche Frau, der in Kirche und Politik eine wichtige Rolle zukommt.  Doch meine Frage berührt eine tiefere Ebene: Ist Katharina nur eine respektable Gestalt, respektlos gesagt: ein kurioses Phänomen, sicher wert, festgehalten zu werden, aber ohne Inspirationen für unsere Zeit, die so vollkommen anders ist? Oder gibt es doch über Katharina mehr zu sagen, gibt es in ihrem Glaubensleben womöglich Elemente, die sie als Kirchenlehrerin uns zuspricht, die wir die Kirche im 21. Jahrhundert tragen sollen? Ich will mit Ihnen auf die Suche gehen nach Grundworten, die für das Leben der hl. Katharina wichtig waren.

Ich erinnere noch einmal an ihre letzten Worte, die das erste Grundwort darstellen: „sangue, sangue“. Blut, Blut. Wer auf das Kirchenbild der Heiligen schaut, dem wird das Blut wie ein roter Faden aufleuchten. Es ist die Kirche, in der das unvergängliche, erlösende Blut Christi strömt. Für Katharina gibt es ohne Blut keine Erlösung, und Christus hat das Blut seiner Kirche anvertraut. Das Blut steht nicht nur für das Opfer, sondern auch und vor allem für das Leben. Ich finde es sehr sprechend, dass Katharina im Zusammenhang von Kirche und Eucharistie neben den Leib mindestens so nachdrücklich das Blut stellt: ein wirklich weibliches Bild.

Denn das Blut der Frau ist das Wichtigste im Leben der Menschheit; ohne das Blut würde es kein menschliches Leben geben. Blutig zu sein ist auch das Gewichtigste im Leben einer Frau; ihr Blut fließt jeden Monat aus ihrem Schoß, spürbar und unübersehbar. So ist es sicher kein purer Zufall, dass Katharina diesen typisch und exklusiv weiblichen Vorgang – wenn auch unreflektiert – aufgreift, um die Eucharistie vor allem vom Blut Christi her und die Kirche als göttlichen Blutkreislauf zu deuten. Katharina war alles andere als eine mittel-alterliche Vorläuferin moderner Feministinnen. Aber mit der sanften Gewalt einer Frau und mit ihrer anschaulichen Sprache, die nicht nur direkt, sondern auch charmant sein konnte, hat sie Anstöße gegeben, um die Theologie aus den Fesseln rein maskuliner Begrifflichkeiten zu befreien.

Das Bild vom Blut wird noch in eine andere Richtung weitergeführt. Katharina schreibt: „Wir alle müssen durch die Pforte des gekreuzigten Christus. Und diese steht nicht anderswo als in der heiligen Kirche. Wer dem Christus auf Erden (d.h. dem Papst), der den Christus im Himmel vertritt, nicht gehorcht, der nimmt am Blut des Gottessohnes nicht teil. Denn Gott hat es so eingerichtet, dass durch dessen Hände Christi Blut und alle Sakramente zu uns kommen. Es gibt keinen anderen Weg und keine andere Pforte für uns“. Wie eng das Blut Christi, gleichsam der Jungbrunnen der Kirche, und der Nachfolger Petri, der „Christus auf Erden“, verbunden sind, zeigt sich darin, dass Katharina den Papst auch den „Kellermeister des Blutes“ nennt. Auf der anderen Seite nimmt sie aber kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Papst Gregor XI. wieder auf den Weg in Richtung Rom zu bringen: „Seien Sie ohne Furcht: Gott will es. Gebrauchen Sie Ihre Macht und reißen Sie die stinkenden Blumen heraus, die im Garten der heiligen Kirche stehen, die schlechten Hirten, die sie in den Untergang führen. Kehren Sie zurück nach Rom! Vergeben Sie mir meine Überheblichkeit. Gott will es, und ich will es. Mehr sage ich nicht“. Und an Urban VI. schreibt sie ohne Umschweife: „Seien Sie kein ängstlicher Säugling. Seien Sie doch ein Mann!“.

Von dieser Haltung können auch wir lernen im Hinblick auf die Kritik in der Kirche. Katharina war eine Meisterin in der Unterscheidung der Geister. Sie wusste zu trennen zwischen dem Papst als „Christus auf Erden“, dem „Keller-meister des Blutes Christi“, und den allzu menschlichen Schwächen, die den Amtsinhabern anhaften können. Katharina ermutigt uns, unsere Liebe zur Kirche immer mehr zu vertiefen und auf das Wesentliche hin freizulegen. Auch die kirchlichen Amtsträger von heute werden von Kritik lernen – unter einer Voraussetzung: dass sie von leidenschaftlicher Liebe getragen ist. Ihrer liebenden Leidenschaft für das Wohl der Kirche ist es zu verdanken, dass Katharina sich Gehör verschaffen konnte.

 

Damit stoßen wir auf ein zweites Grundwort, das die hl. Katharina gern gebraucht hat: das Feuer. Als sie ihre Kräfte schwinden sieht, bemerkt sie im Hinblick auf die Kirche, die sie ihr „Schmerzenskind“ nannte: „Sei ohne Sorge! Wenn ich sterbe, ist die einzige Todesursache meine Liebe zur Kirche, die mich verbrennt und verzehrt“. Gerade weil sie von der einzigartigen Sendung der Kir-che überzeugt war, hat sie ihr Leben dafür eingesetzt und ihre Stimme erhoben. Sie hat an der Kirche gelitten und ist daran gestorben. Bekümmert stellt sie fest: „Christi Braut ist bleich und farblos, weil man das Blut aus ihr herausgepumpt hat“. Sie nennt die Verlogenheit der Kirche beim Namen: „Was Christus am Kreuz erwarb, wird mit Huren vergeudet“. Im Hinblick auf die Geistlichen kommt sie in Rage: „Sie sind knausrig, habgierig, geizig. Sie schwatzen in ungezügelter Eitelkeit daher und sind bloß auf ein angenehmes Leben aus. Die Kleriker sind Strohhalme und keine Säulen der Kirche. Sie verbreiten keinen wohlriechenden Duft, sondern strömen Gestank aus, mit dem sie die ganze Welt verpesten. Sie können nicht mit Gnade rechnen wegen ihrer roten Hüte und ihrer Prälatenwürde“. Alles gipfelt in ihrer Frage an Gott: „Was kann ich tun, oh unvorstellbares Feuer?“

Katharina hat nicht mit dem Feuer gespielt; in ihr hat Christus gezündet, der sagt: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen“ (Lk 12,49). Von Jesus wird (außerbiblisch) auch das Wort überliefert: „Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe“. Nicht blindwütiges Feuer ist gemeint, das verbrannte Erde hinterlässt, sondern jene Leidenschaft für Gott und die Menschen, die das Gesicht der Erde und der Kirche erneuert. Katharina war wie ein Zündholz, mit dem Gott über die Reibflächen der Zeit streicht, um selbst immer neu das Feuer seines Geistes zu entfachen. Solche Zündhölzer brauchen wir heute dringender denn je: Zündhölzer, die Feuer fangen und es weitertragen – nicht um das Gestern zu verwalten, sondern um das Morgen zu gestalten.

 

Auf diese Weise dringen wir vom Blut über das Feuer an den Ort vor, wo es brennt: das Herz. Bei diesem dritten Grundwort möchte ich einfach den Biographen der Kirchenlehrerin sprechen lassen, Raymund von Capua: Der Herr kam zu Katharina, öffnete ihre Seite und nahm ihr Herz heraus. Tagelang lebte sie ohne Herz. Als sie wieder einmal in der Kapelle ins Gebet versunken war, kam er aufs Neue, neigte sich zu ihr herab, ein Herz in der Hand, legte es in Katharinas Seite und verschloss sie. Dann sagte er zu ihr: „Schau, meine liebe Tochter, ich habe dir dein Herz genommen, um dir meines zu geben“.

Hier wird deutlich, was unsere Sendung in der Welt ist: mit Jesu Herz lieben, noch besser: Jesus in uns leben und lieben lassen. Wenn Sie einmal als Priester zu den Menschen gesandt werden, dann ist vor allem Mühen in der Verkündigung und Eifer bei der Feier des Gottesdienstes Eines wichtig: Die Menschen müssen spüren, dass wir sie gern haben und schätzen, einfach lieben – nicht nur wenn sie uns sympathisch sind oder unserer Eitelkeit schmeicheln, sondern vor allem weil Jesus sie mag.

 

Blut – Feuer – Herz: Diese drei Grundworte legt die hl. Kirchenlehrerin Katharina uns vor. Sie hat von sich bekannt: „Mein Wesen ist Feuer“. Auch wir brauchen wieder mehr Feuer: inneres Feuer, aber auch das offene Feuer, das ansteckt. Es ist schade, dass wir unsere Botschaft oft nur ängstlich hüten wie eine abgedeckte Flamme, damit ja kein Funke überspringt.

Wenn wir kein Feuer mehr spüren, wird der kirchliche Betrieb müde und grau, langweilig und einfallslos.

Wenn kein Blut mehr fließt, wird der Leib Christi blutleer und leblos.

Wenn das Herz auf der Strecke bleibt, wird die Kirche zum Kühlschrank.

Wir Christen brauchen wieder mehr Blut, mehr Feuer, mehr Herz. Lassen wir den Herrn in uns handeln. Fangen wir an. Die Zeit drängt! Was die hl. Katharina damals dem Papst geraten hat, das empfiehlt sie uns: „Warten Sie die Zeit nicht ab, denn die Zeit wartet nicht auf Sie!“ Warten wir die Zeit nicht ab, denn die Zeit wartet nicht auf uns. Es ist fünf vor Zwölf.