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Wichtiges
Ulrichsjubiläum

Kirche als „Gemeinschaft der Erinnerung“

12.11.2023

Im Mai 1987 begleitete Stanisław Dziwisz Papst Johannes Paul II. als dessen Privatsekretär auf seiner Pastoralreise nach Augsburg. 36 Jahre später kehrte er an diesem Sonntag als Kardinal und emeritierter Erzbischof von Krakau zurück, um am Beispiel zweier Heiliger die Wichtigkeit des christlichen Zeugnisses für Europa und die Welt wachzuhalten. Gemeinsam mit Bischof Bertram, der ihn im Rahmen des Ulrichsjubiläums einlud, und zahlreichen Gläubigen feierte er die Heilige Messe in der Basilika St. Ulrich und Afra.

In seiner Predigt warf Kardinal Dziwisz zunächst die Frage auf, warum die Kirche überhaupt an Heilige erinnere, die ja zumeist weit in der Vergangenheit, in ganz verschiedenen historischen und sozialen Zusammenhängen lebten. In seiner Antwort darauf ging er zweitausend Jahre zurück: Die Kirche sei eine „Gemeinschaft der Erinnerung“, die im Gedächtnis an die großen Werke Gottes, die die Geschichte des Heils bilden, existiere. So kehre sie immer wieder zum wichtigsten Ereignis zurück, der Geburt Jesu, dessen Tod am Kreuz und seine Auferstehung. „Dieses rettende Ereignis ist der Grundstein unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unserer christlichen Identität.“

Die Kirche bewahre die Erinnerung an die Heiligen also deshalb so sorgfältig, weil diese mit ihrem Leben ein besonderes Zeugnis für Jesus und sein Evangelium abgelegt hätten, nachfolgende Generationen inspirierten, Mut machten, im Geist der Frohen Botschaft auf neue Herausforderungen für die Kirche zu reagieren, so der Kardinal, der dies exemplarisch am Leben des heiligen Ulrich durchbuchstabierte. Denn Jesus Christus und sein Evangelium seien für ihn im Mittelpunkt seines Lebens gestanden und strahlten auf seine vielseitige pastorale Tätigkeit vor mehr als tausend Jahren aus.

Beeindruckt zeigte sich der Kardinal vom Leitwort des Jubiläumsjahres („Mit dem Ohr des Herzens“). In dieser Erinnerung aus der Biografie des heiligen Ulrich zeige sich eine der wichtigsten Haltungen eines Menschen, der nicht für sich selbst lebe, sondern eine Gemeinschaft aufbauen möchte. „In der heutigen Welt und Gesellschaft fehlen jedoch Menschen, die bereit sind, zuzuhören. Aber nicht nur mit den Ohren hören, sondern auch mit dem Herzen, denn nur so können wir verstehen, worum es unseren Mitmenschen geht, wovor sie Angst haben, wonach sie sich sehnen und was die tiefsten Sehnsüchte ihres Herzens sind.“ 

Beide kennen sich schon seit vielen Jahren: Kardinal Dziwisz und Bischof Bertram waren gemeinsam im Dienst für Papst Johannes Paul II. Das Relief in der Basilika St. Ulrich und Afra erinnert an dessen Besuch im Jahr 1987.

Der Kardinal schlug auch den Bogen zu den zahlreichen apostolischen Reisen, auf denen er den im Jahr 2014 heiliggesprochenen Papst Johannes Paul II. begleiten durfte. Dabei stand für den Papst die Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi ebenso im Zentrum wie die Ermutigung, dessen Antlitz zu betrachten und in die Tiefe des Glaubens einzutauchen. Kardinal Dziwisz empfahl den Gottesdienstbesuchern: „Es lohnt sich, zu seiner Lehre zurückzukehren und in ihr nach Licht zu suchen, um den neuen Herausforderungen zu begegnen, denen sich die zeitgenössische Kirche stellt.“

Mit einem Auszug aus der Predigt, die der polnische Papst seinerzeit im Augsburger Dom hielt, veranschaulichte er dessen Überzeugung, dass christliches Zeugnis in Familie, Beruf, Schule, in der Öffentlichkeit und im politischen Leben positiven Einfluss auf die moderne Welt, auf die Kirche in Europa und in Deutschland habe. „Die Aufgabe, von Christus Zeugnis abzulegen, steht vor jeder Generation“, bekräftigte der Kardinal. Es liege an uns, neue Situationen, neue Herausforderungen, neue Bedürfnisse zu erkennen sowie angemessene Formen und Sprache zu finden, um mit der Botschaft des Evangeliums zu den Menschen durchzudringen, die am Rande der Kirche oder außerhalb von ihr leben.

Tags drauf standen für Kardinal Dziwisz weitere Punkte auf dem Besuchsprogramm. Nach dem Gottesdienst am Gedenktag des polnischen Nationalheiligen Stanislaus Kostka (1550-1568) hielt er vor den Mitgliedern des Augsburger Priesterrats einen Vortrag zum Thema „Zeichen des Widerspruchs – Die Bedeutung des heiligen Johannes Paul II. für den Weg der Kirche heute“. Nach dem er sich mit polnischstämmigen Priestern traf, die als Seelsorger im Bistum Augsburg tätig sind, ging es für ihn abends gemeinsam mit Bischof Bertram noch in das Kloster Andechs, wo die beiden von Abt Johannes Eckert empfangen wurden.