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Wichtiges

Hinter jeder Zahl steht ein Gesicht, ein Schicksal

Für Pfarrer Ulrich Lindl war es selbstverständlich, zwei Flüchtlinge bei sich im Pfarrhaus aufzunehmen.
Für Pfarrer Ulrich Lindl war es selbstverständlich, zwei Flüchtlinge bei sich im Pfarrhaus aufzunehmen.
21.02.2014

Ein runder Tisch war der Ausgangspunkt allen Engagements. Es folgte die Gründung eines Unterstützerkreises, es folgten Stunden, Tage, gefüllt mit Beraten, Erklären, Zuhören. Seit im vergangenen Herbst die ersten Flüchtlinge in Weilheim eingetroffen sind, sind Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche sowie der Stadt im Dauereinsatz, meist ehrenamtlich. Auch Pfarrer Ulrich Lindl und Gudrun Grill, Pfarrhelferin in der Pfarreiengemeinschaft Weilheim, tun seither alles, den Flüchtlingen beizustehen, ihnen unter die Arme zu greifen. Und bei Pfarrer Ulrich Lindl haben zwei Flüchtlinge sogar ein neues Zuhause gefunden.

Ein bisschen ist sie für die jungen Männer schon zur „Mama“ geworden. Und ihr selbst, ja ihr selbst seien die Flüchtlinge mittlerweile ja auch schon richtig ans Herz gewachsen, sagt Gudrun Grill. Schon seit fünf Monaten kümmert sich Grill um die rund 100 jungen Flüchtlinge, die in Weilheim gestrandet sind – normalerweise ist sie als Pfarrhelferin in der Pfarreiengemeinschaft tätig. „Die meisten der Flüchtlinge kommen aus Kriegsgebieten, haben furchtbare Dinge hinter sich, sind traumatisiert“, erzählt sie. Mit zehn Stunden ihrer Arbeitszeit pro Woche sei sie seitdem ausschließlich für die Betreuung der Asylanten zuständig, ausreichen jedoch tue dieses Zeitkontingent nie, betont sie: „Wenn man diese Not, dieses Elend sieht, kommt man zu keinem Ende, eigentlich reicht es nie, was man tut. Oft merkt man dann, dass man nicht genug geben kann, sich nicht jedem Einzelnen widmen kann. Das stimmt nachdenklich“, schildert sie.

Die Hilfe, die sie und die anderen ehrenamtlichen Helfer den jungen Männern anbieten, ist vielseitig: „Wir organisieren Deutschkurse, begleiten sie zu Behörden, suchen nach Übersetzern, vereinbaren Arztbesuche und machen Ausflüge mit ihnen.“ Denn schwierig ist für die jungen Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan, Syrien und Afrika vor allem eines: sie haben viel Zeit, die einfach so verstreicht, ungenutzt. „Nur essen, schlafen, essen, schlafen“, sagt der junge Afghane Saddakat Utah in gebrochenem Deutsch „Schule, Schule, keine Chance sonst“, wiederholt er immer wieder. „Sie alle wollen arbeiten, zur Schule gehen, etwas lernen, um ein besseres Leben zu haben“, sagt Gudrun Grill. Die Hoffnungen, Wünsche und Träume, die viele aus ihrer Heimat mit nach Deutschland gebracht haben, sind jedoch längst gebrochen. „Solange sie keine Papiere haben, dürfen sie nicht arbeiten und müssen vorher außerdem neun Monate in Deutschland verbracht haben. Das ist einfach Gesetz in Deutschland“, erklärt Grill weiter.

Ein wichtiges Geschenk, das die Helfer ihnen deshalb geben wollen, ist vor allem eines: Zeit. „Wir hören ihnen zu, nehmen uns Zeit für ihre Sorgen und Nöte, setzen uns einfach zu ihnen hin, sind da für sie.“ Für Pfarrer Lindl war dieses Engagement von Beginn an selbstverständlich. „Ich habe mir einfach vorgenommen, dass wir hier in Weilheim alles tun, was in unseren Möglichkeiten steht, um die Asylbewerber menschlich aufzunehmen“, betont er. „Wir können nicht über den Glauben reden und ihn dann nicht leben.“ Wie man mit diesen Menschen umgehe, sei keine Frage der Menschen-, sondern der Christenwürde, so Lindl. Menschen, die obdachlos sind, unter seinem Obdach zu beherbergen, sei für ihn einfach das Naheliegendste gewesen, sagt er und zitiert einen Satz aus dem Matthäusevangelium „’ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen’, heißt es da“. In seinem Pfarrhaus habe er die Möglichkeiten gehabt, zwei Asylbewerber aufzunehmen, da habe er nicht lange überlegt: „Man muss konkret die Menschen sehen, nicht die Zahlen, das ist kein statistisches Problem. Hinter jeder Zahl steht ein Gesicht, ein Schicksal“, sagt Lindl. Eines wolle er den jungen Männern deshalb vor allem vermitteln: „Die Asylanten sollen spüren, dass es Menschen gibt, die es gut mit ihnen meinen.“

Schon gleich zu Beginn, sagt Gudrun Grill, sei deshalb festgestanden: Als Kirche könne man sich da nicht zurücknehmen, im Gegenteil „das wäre ja schlimm gewesen, wenn wir da nicht vertreten wären“. Auch in die Pfarreiengemeinschaft versuchen sie seither die jungen Flüchtlinge einzugliedern. „Bei Aktivitäten wie der Altpapapiersammlung oder dem Kleidermarkt der Aktion-Hoffnung haben sie schon mitgeholfen.“ Die beiden Gäste, die im Pfarrhaus untergebracht sind, sind Christen und würden auch die Gottesdienste immer mitfeiern, erzählt der Pfarrer.

Um im Gegenzug auch die Gläubigen der Pfarrei für das Thema sensibel zu machen, hatte Gudrun Grill eine ganz besondere Idee: „Wir haben in der Kirche ein Plakat aufgehängt, auf das wir Dinge geschrieben haben, die die Flüchtlinge dringend brauchen: eine Jogginghose in Größe M, Winterstiefel in Größe 42 und solche Sachen.“ Die Hilfsbereitschaft sei riesig gewesen, erzählt Grill und verschweigt trotzdem auch die Ängste und Vorbehalte gegenüber Asylanten nicht, die bei manchen Menschen manchmal durchscheinen würden. „Durch Gespräche oder bestimmte Aktionen versuchen wir diese dann auszuräumen und um Verständnis zu werben für die Situation dieser Menschen.“

Wenn man Gudrun Grill auf besondere Erfahrungen und Erlebnisse in der bisherigen Betreuung anspricht, fällt ihr vor allem der große Dank ein, den sie von den Flüchtlingen immer wieder zu spüren bekommt. „Wenn die jungen Männer erzählen, dass sie für mich beten, berührt einen das schon. Ja, dann merkt man einfach, dass es schon richtig ist, was man da macht“, sagt sie.

Von Maria Steber