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Wichtiges
Predigt von Weihbischof Anton Losinger zu Christi Himmelfahrt im Augsburger Mariendom

Hochfest "Christi Himmelfahrt" 2012

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© Annette Zoepf
17.05.2012

Augsburg (pba). Gestern hat die katholische Kirche das Hochfest "Christi Himmelfahrt" gefeiert. Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger feierte aus diesem Anlass ein Pontifikalamt im Augsburger Mariendom. Musikalisch gestaltet wurde die Heilige Messe mit Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) Missa in C-Dur KV 257, der sogenannten „Großen Credo-Messe“. Nachfolgend haben wir seine Predigt im Wortlaut dokumentiert:

Christi Himmelfahrt 2012

Ansprache im Hohen Dom zu Augsburg

Von Weihbischof Anton Losinger

Johann Wolfgang von Goethe, der große Dichterfürst, den sich selbst wohl eher als „religiös unmusikalisch“ bezeichnet hätte, berichtet einmal über eine religiöse Begegnung, die ihn persönlich bewegte. Es ist die Feier des Rochusfestes in der Stadt Bingen, die nach der langen Unterbrechung durch die napoleonischen Kriege zum ersten Mal wieder stattfindet. Der Dichterfürst ist selbst bei den Feierlichkeiten anwesend. Er beobachtet, distanziert aber interessiert, wie die Menschen sich im dichten Gedränge durch die Kirche schieben lassen, vorbei am Bild des Heiligen, und schaut dabei auf ihre Gesichter. Was er sieht, erstaunt und ernüchtert ihn zugleich: Die Gesichter der Greise und der alten Leute leuchten; sie spiegeln die Freude des festlichen Tages wieder. Nur bei den jungen Menschen ist es anders. Ungerührt, gleichgültig, gelangweilt gehen sie am Bild des Heiligen vorbei. Die Erklärung, die Goethe findet, ist aufschlussreich: „In böser Zeit geboren, hatten diese jungen Menschen nichts Gutes zu erinnern und deshalb auch nichts zu hoffen.“

„Nur wer sich erinnern kann, kann auch hoffen. Wer das Gute und die Güte nie erfahren hat, der kennt sie eben nicht“ – so interpretiert Papst Benedikt diese Beobachtung.

Was ist der Mensch ohne Himmel?

Die äußeren Lebensmöglichkeiten einer großen Zahl von Menschen haben sich, ökonomisch gesehen, ohne Frage dramatisch verbessert. Vielen Menschen geht es gut. Wir können uns unendlich vieles leisten. Aber die wesentlichste aller Fragen, die Frage nach dem Sinn und Glück des Lebens tritt uns heute mit neuer Schärfe entgegen. Gerade im Zeitalter der Wissensgesellschaft sind die Fragen mehr geworden als die Antworten. Was bleibt den Menschen, wenn Ihnen eine himmlische Perspektive fehlt?

Da kann man sich an den so schillernden Philosophen des 19. Jahrhunderts, an Friedrich Nietzsche erinnert fühlen. Er, der sich berufen fühlte, den Tod Gottes zu verkünden, wird von der Frage nach Gott selbst zeitlebens nicht losgelassen. In seinem Werk „Die fröhlichen Wissenschaft“ findet sich dieses berühmte Fragment: Der tolle Mensch – mit all den bedrängende Fragen:

„Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?“

Christi Himmelfahrt – eine ewige Perspektive!

Die Kirche begeht heute das Fest Christi Himmelfahrt. Der Bezugspunkt unseres Glaubens ist Christus, der in den Himmel aufgefahrene Menschensohn. Unser Denken bewegt sich nicht mehr im Gehäuse des Irdischen, sondern es ist eine Bewegung, in der der glaubende Mensch einen ganz neuen Fixpunkt seiner Existenz gewinnt. Wir müsen uns nicht mehr ständig selbst definieren, sondern wissen uns getragen und gehalten vom gütigen Gott. Die Auffahrt Jesu Christi in den Himmel öffnet so eine neue transzendente Lebensdimension. Nur Menschen, die einen Himmel haben, sind von einer ewigen Perspektive getragen, sie haben Hoffnung jenseits aller irdischen Begrenzungen, sie haben einen Standpunkt auch in der Unübersichtlichkeit und Orientierungslosigkeit des Alltags.

Was ist der Himmel? – Romano Guardini

„Was ist der Himmel, wohin Jesus an jenem Tage aufgenommen wurde, und der einst alles sein wird?“ – so fragt der große Theologe Romano Guardini in seinem Buch „Der Herr.“ „Im biblischen Bericht wird eine Bewegung nach oben deutlich. Nach ihm scheint Er, der Herr, von der Erde hinaufzusteigen: ist also der Himmel die räumliche Höhe? Gewiss nicht. Das räumliche »Droben« gibt es ja nur für unsere Anschauung. Außerdem fühlen wir, dass die Richtung dorthin nur Ausdruck für etwas Anderes ist. Dem Himmel im Sinne des Neuen Testamentes würden wir nicht näher kommen, wenn wir zur Sonne oder zum Sirius hinaufführen, als wenn wir auf dem Erdboden blieben. Er ist im endelosen Weltraum nicht mehr als in der irdischen Begrenztheit. »Himmel« ist auch nicht das, was man meint, wenn man von einem himmlischen Frieden oder einer himmlischen Schönheit spricht. Dabei denkt man an zarte Seelenregungen und kostbare, dem gewöhnlichen Dasein entrückte Dinge. Die Schrift meint aber Anderes.

Der Herr steht auf der Schwelle zwischen Zeit und Ewigkeit... Da geht Er von ihnen, wie Er es vorausgesagt: »Ich bin in diese Welt gekommen, und wiederum verlasse Ich die Welt und gehe zum Vater.« (Joh 16, 28) Er tritt aus der Geschichte hinaus, in den Bereich der Vollendung, wo weder Geschehen noch Schicksal mehr ist, sondern nur ewig-lebendiges Sein. Er geht fort und ist zugleich in einer neuen Weise da, wie Er selbst gesagt hat: »Ich gehe fort und komme zu euch. « (Joh 14, 28)“ [Der Herr 508]

Zwischen Diesseits und Jenseits - Der „geerdete“ Himmel

Christi Himmelfahrt stellt und stellte die Christenheit immer schon zwischen zwei Pole des Denkens, zwischen Diesseits und Jenseits – Bedeutet Himmelfahrt Weltflucht? Gerade die jüngste Rede Papst Benedikts bei seinem Deutschlandbesuch im Freiburger Konzerthaus und der so oft mißinterpretierte Begriff der „Entweltlichung“ stellen diese Frage: Gibt es - was der Papst nie sagte - einen Glauben, der nur im Jenseits wohnt? Den programmierten Rückzug der Kirche aus der gesellschaftlichen Verantwortung hinein in ein esoterisches „Sakristeichristentum“? Im Gegenteil: Es gibt kein Christentum im luftleeren Raum! Der wichtigste Auftrag des Evangeliums, das Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten bedingt Weltverantwortung! Darum ist der Himmel für wahre Christen immer geerdet. Gerade die Geschichte der sozialen Bewegungen in den Kirchen zeigt überdeutlich, wie Christen - im Glauben an den Himmel - unermüdlich und an vorderster Front für soziale Gerechtigkeit und Caritas arbeiteten. Diese Dialektik benennt das Zweite Vatikanische Konzil in aller Deutlichkeit:

„Die Wahrheit verfehlen die Christen, die im Bewußtsein, hier keine bleibende Stätte zu haben, sondern die künftige zu suchen, meinen, sie könnten ihre irdischen Pflichten vernachlässigen. Sie verkennen, daß sie, jeder nach der zuteilgewordenen Berufung, gerade durch den Glauben um so mehr aufgerufen sind, ihre Pflicht zu erfüllen.

Ebenso irren aber auch die, die meinen, so im irdischen Tun und Treiben aufgehen zu können, als hätte das gar nichts mit dem religiösen Leben zu tun, weil dieses nach ihrer Meinung in bloßen Kultakten und in der Erfüllung gewisser moralischer Plichten besteht.

Die Spaltung zwischen dem Glauben, den man bekennt, und dem täglichen Leben gehört zu den schweren Verirrungen unserer Zeit. Ein Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, versäumt damit seine Plichten gegenüber dem Nächsten, ja gegen Gott selbst und bringt sein ewiges Heil in Gefahr.“ GS 43

Natürlich wird es niemals ein „Paradies auf Erden“ geben, wie Karl Marx es einst postuliert und wie viele Utopisten im Laufe der Menschheitsgeschichte es versprochen haben. Es wird auch niemals eine Welt frei von Schmerz geben! Kranke und Arme habt Ihr immer unter Euch – sagt Jesus selbst. Trotz modernster Biomedizin und Gentechnik wird die Heilung aller Leiden, der Himmel auf Erden, die heile Welt niemals realisierbar sein! Darum ist in der Tat der ein wirklicher Realist, der über die irdischen Grenzen der eigenen Existenz hinausdenkt. Christen sind und waren immer Menschen mit einer ewigen Perspektive. Krankheit, Probleme, selbst „der Tod ist nur die uns zugewandte Seite jener größeren Wirklichkeit, die Ewigkeit heißt!“ sagt Romano Guardini in der ihm eigenen Deutlichkeit. Himmel – das ist die bestimmende Realität der Gegenwart und die Zukunftshoffnung der Christen, Himmel ist Erwartung, die bereits unser Diesseits prägt.

Da schließe ich mit einem mir persönlich sehr wertvollen Wort eines geschundenen Dichters, der zeitlebens trotz aller Tiefschläge, Probleme und politischen Verfolgungen an der himmlichen Perspektive seines Lebens nie locker gelassen hat. Es ist

Alexander Solschenizyn, der Schriftsteller des „Archipel Gulag“

Als er im Jahr 1970 den begehrten Nobelpreis für Literatur erhielt, schrieb er in seiner Dankesadresse:

„Wenn selbst die gescheitesten Leute nicht weiter sehen als bis zum heutigen Abend und nicht wissen, was morgen zu tun ist - da sendest du mir die klare Gewissheit, dass du bist und dass du waltest, damit nicht alle Wege des Guten versperrt werden. Auf dem Gipfel des Ruhmes dieser Welt blicke ich voll Staunen zurück auf den Weg, den ich selber nie hätte finden können, diesen erstaunlich wunderbaren Weg durch lauter Hoffnungslosigkeit bis hierher, von wo ich der Menschheit einen Schimmer deines strahlenden Lichtes senden konnte.“

Amen.