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Wichtiges

Predigt vom 4. Ostersonntag Lesejahr C, Offb 7,14-17; Joh 10,27-30; Osterlamm

16.05.2019

Genau 3 Wochen ist es her, da feierten wir den Ostersonntag. Und da stand bei der Speisesegnung neben Eiern und Speck auch das eine oder andere Osterlamm aus Biskuit und mit viel Puderzucker dabei. Das Lamm, manchmal mit Siegesfahne, gehört zu unserem Osterfest einfach dazu. Im Osterlied singen wir: „Die Schafe hat das Lamm versöhnt, geschlachtet ward das Osterlamm, das von der Welt die Sünde nahm“ (GL 775). Haben Sie schon mal überlegt, wie das Lamm überhaupt in das Osterfest hineinkommt?

Das Osterlamm hat seine Vorgeschichte. Zwei Tage vor Ostern, am Karfreitag, heißt es in der 1. Lesung der Liturgie: Wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führt, wie ein Schaf, das vor seinem Scherer verstummt, so tat auch er seinen Mund nicht auf (Jes 53,7). Gemeint ist der Gottesknecht im Prophetenbuch Jesaja, 6. Jht. v. Chr., ein Mann, unschuldig misshandelt und niedergedrückt (V.7), wie ein Mobbing-Opfer, der aber gerettet wird, der das Licht erblickt und als Ausgleich seinen Anteil unter den Großen bekommt (V.11f). An diese Gestalt des Gottesknechtes hat sich die Urkirche erinnert, wie sie rückblickend über Jesus nachgedacht haben. Sie haben in Jesus diesen Gottesknecht wiedererkannt. Aber: Unschuldig leiden – ist das nachahmenswert?

Hat uns nicht die Psychologie gelehrt, wir müssen uns wehren? Hieß es nicht: Es kommt darauf an, sich durchzusetzen? Schon die Kinder im Kindergarten sollten das früh lernen. Doch das Ergebnis war: aus Schulkameraden wurden Konkurrenten, Familien halten nicht mehr zusammen, die Gewaltbereitschaft insgesamt steigt, das Interesse an der Politik, an der Allgemeinheit, nimmt ab, weil jeder schaut, dass er seine eigenen Schäfchen im Trockenen hat. Der Ego-Trend nahm gefährlich zu.

Die Psychologen haben inzwischen dazugelernt: Sie sprechen wieder von Verzicht und von Leidensfähigkeit. Nun wären auch wir in der Kirche an der Reihe, das Bild vom Osterlamm neu zu entdecken und die Tugend der Geduld wieder wertzuschätzen.

Vorhin in der Lesung aus der Offbarung des Johannes hatten wir das Bild vom Thron Gottes, und vor dem Thron das Lamm. Und eine große Schar stand in weißen Gewändern vor dem Lamm. Und einer der Ältesten sagte: „Das sind jene, die aus der großen Bedrängnis kommen, sie haben ihre Kleider im Blut des Lammes weiß gemacht“ (V.14).

Sind Ihnen schon mal Menschen begegnet, die aus der großen Bedrängnis kommen? Die etwa den plötzlichen Verlust eines nahestehenden Menschen gut überwunden haben, die eine schwere Beziehungskrise bewältigt haben oder deren Krebserkrankung zum Stillstand gekommen ist? Diese Menschen strahlen eine Sicherheit und Zuversicht aus, und sie möchten diese schwere Phase ihres Lebens meist auch nicht missen. Sie haben ihre Kleider im Blut des Lammes weiß gemacht. Eine eigenartige Formulierung. Gemeint ist: Wer sein Leid, seinen tiefen Schmerz mit der Geduld eines Lammes, mit der Geduld des gekreuzigten Christus akzeptiert, erträgt, auf sich nimmt und aktiv abarbeitet, - dessen Wunden heilen. Und der geht nicht rot, nicht blutig, nicht verletzt aus dieser Bedrängnis hervor, sondern weiß, geheilt.

Und im Text der Offenbarung hieß es weiter: er, der auf dem Thron sitzt, wird sein Zelt aufschlagen über ihnen (V.15), das ist die Sicherheit unter dem Schutz Gottes, die diese im Leid gereiften Menschen ausstrahlen: Wer etwas Schweres erfolgreich gemeistert hat, wen Gott in großer Gefahr bewahrt hat, den kann so leicht nichts mehr aus der Bahn werfen.

Zu einer solchen Reife gelangt man aber nicht im Schnellverfahren. Es ist ein langer Prozess, und täglich gibt uns das Leben Möglichkeiten, auf diesem Weg fortzuschreiten. Es fängt tatsächlich schon im Kindergarten an: Geduldig warten können, bis ich an der Reihe bin oder bis mir ein bestimmter Wunsch erfüllt wird, etwas herschenken können, ohne ein Gegengeschenk zu erwarten, den anderen ausreden lassen, auch wenn mir seine Worte nicht gefallen, nicht beleidigt sein, wenn ein anderer gelobt wird, und ich nicht – das alles sind kleine Leidsituationen im Leben eines Kindes, die ein Kind bewältigen lernen sollte, im Interesse seiner Konfliktfähigkeit und seiner Fähigkeit zum Frieden. Wer nicht klein anfängt, hat es später umso schwerer, etwa eine Beleidigung auch mal auf sich sitzen zu lassen oder eine belastende Information für sich zu behalten. Wen wunderts, wenn solche Menschen später bei jedem leisesten Hauch von Ungerechtigkeit gleich unangenehm werden, auf ihr Recht pochen, ihren Rechtsanwalt einschalten, oder sich ständig irgendwo beschweren?

An einem kommen wir nicht vorbei: es gibt das Böse in der Welt. Und dem begegnet jeder von uns auch immer wieder mal. Auch in der Seele eines jeden von uns gibt es die Tendenz zum „Wie du mir, so ich dir“, oder zum „Wie du mir, so ich anderen.“ Aber wenn ich diesen Tendenzen in mir Raum gebe, wenn ich sage: „Warum soll ich besser sein als der andere? Wenn der sich das leistet, dann darf ich das auch!“, dann würde ich eine Kette des Bösen in der Welt in Gang halten und verstärken. Wenn ich aber sage: „Das Böse, das der andere tut, tue ich nicht, ich setze es nicht fort“, dann breche ich eine Kette des Bösen ab, dann werde ich zu einem Lamm Gottes, das ein Stück weit die Sünde der Welt hinweg nimmt.

Liebe Schwestern und Brüder, der 4. Ostersonntag wird gern als Tag der sogenannten geistlichen Berufe begangen. Gemeint sind Menschen, denen die Spiritualität in unserem Land so sehr am Herzen liegt, dass sie sich hauptberuflich dafür engagieren wollen. Wer bereit ist, darüber nachzudenken, was unserer Zeit fehlt und welche Geisteshaltungen in der heutigen Zeit gebraucht werden, der ist schon auf dem Weg zum geistlichen Beruf. Wer über sich selbst hinaus blickt und sich verantwortlich fühlt für andere – und wer gleichzeitig bereit ist, das Böse in der Welt zu verringern, der folgt schon in besonderer Weise Jesus nach. Denn er vereinigt beide Qualitäten in sich: er ist der Hirt, der sich für die Seinen verantwortlich fühlt, und gleichzeitig ist er das Lamm, das die Sünde aus der Welt hinweg nimmt. Solche Leute braucht unsere Kirche.