Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis, Menschenfischer
3. Sonntag im Jahreskreis, Lesjahr3; Markus 1,14-20 Menschenfischer
Wenn Jugendliche einen Star verehren, einen Sportler, einen Musiker, ein Model oder so, dann wollen sie zunächst es ihm gleichtun, wollen in dieselben Fußstapfen treten. Wenn sie dann reifer werden, und realistischer, dann merken sie, dass das gar nicht so einfach geht, dass sie aber zumindest teilweise den einen oder anderen Aspekt ihres großen Vorbildes in ihr Leben integrieren können. Verehren und nachfolgen heißt nicht, 1:1 imitieren oder kopieren. Jeder hat sein eigenes Leben.
In den Evangelien ist nicht nur Johannes der Täufer der Vorläufer von Jesus, es ist auch in gewissem Sinne Jesus der Nachläufer von Johannes. Das Mk-Ev beginnt nicht mit Weihnachten, da gibt es gar keine Geburt Jesu. Das Markus-Evangelium beginnt direkt mit Johannes dem Täufer. Dann kommt gleich die Taufe Jesu, es folgen drei kurze Sätze über die Versuchung Jesu in der Wüste und dann der heutige Text: „Nachdem man Johannes den T. ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa. Er verkündete das Evangelium Gottes“ usw. Die Inhaftierung des Johannes ins Gefängnis ist für Jesus der Anlass zum öffentlichen Auftreten: er sieht sich als Nachfolger des Johannes. Er sieht sich berufen, die entstandene Lücke zu füllen.
Auch die Predigt Jesu berührt sich mit der Predigt des Täufers: Beide predigen sie Umkehr, griechisch Metanoia, d.h. Weiter-Denken, Umdenken, Querdenken. Der Ausdruck Querdenken ist in letzter Zeit durch Missbrauch in Verruf geraten. Zum Weiter-Denken gehört auch Selbstdistanz, die Fähigkeit, sich selbst aus größerem Abstand zu betrachten und Selbstkritik zuzulassen. Offensichtlich kamen die Leute damals dem Johannes und dem Jesus eher eng denkend vor und unkritisch gegenüber sich selbst. Doch Jesus ist keine einfache Kopie von Johannes: es gibt auch den Unterschied: Johannes verkündete Taufe zur Vergebung der Sünden, Jesus verkündet das Evangelium Gottes, die Frohe Botschaft von der Gottesherrschaft. Sündenvergebung ist zwar auch eine Frohe Botschaft, ist ja auch ein Teil der Botschaft Jesu, aber Jesus denkt weiter, er geht über Johannes hinaus: mit seinen verschiedensten Heilungen verkündet er umfassendes Heil, geschenktes, unverdientes Heil.
Johannes der T. und seine Jünger waren eine ziemlich strenge Gruppe: da spielte Fasten und Büßen eine große Rolle. Jesus und seine Jünger haben dagegen eine frohe Botschaft, eine lebensfrohe Botschaft. Sie essen und trinken auch dann, wenn andere fasten (Mk 2,18). Bei Jesus muss man nicht groß büßen, um befreit zu werden, da reicht der Glaube: „Dein Glaube hat dir geholfen“, ist die berühmte Zusage Jesu, immer wieder bei verschiedenen Heilungen.
Die Arbeit als Fischer wird nicht so besonders erfüllend gewesen sein. Jesus hat für die Fischer eine weitere Perspektive: Menschenfischer. Jesus holt sie raus aus dem Familienbetrieb, damit sie nicht ein Abklatsch ihrer Eltern werden, damit sie zu sich selber kommen, und ihren ganz persönlichen Lebensweg finden. Jesus hatte sich ja auch
gerade erst aus seiner Zimmermannsrolle befreit und hatte eine neue Perspektive für sich gefunden. Es war eine Zeit geistiger Not, und Jesus hatte seine Berufung darin gefunden, mit Froher Botschaft gegen die geistige Not seiner Zeit anzugehen.
Auch wir leben in einer Zeit geistiger Not. Wir sprechen zwar vor allem von der schlechten wirtschaftlichen Lage im Corona-Lockdown, aber ob das Wirtschaftswachstum jetzt ein paar Prozent höher oder niedriger ausfällt, ist für mich nicht die Frage. Die geistige Not besteht für mich in der Unfähigkeit, zufrieden zu sein, trotz der gegenwärtigen Einschränkungen. Die geistige Not besteht für mich in der inneren Abhängigkeit vom materiellen Wachstum, in der mangelnden Bereitschaft, die Solidarität aufzubringen, um wirtschaftliche Einbußen und Lasten gleichmäßig zu verteilen, wenn das Bruttosozialprodukt sinkt. Kurz gesagt: Die geistige Not sehe ich in der Angst, etwas von dem zu verlieren, was wir besitzen. Doch selbst wenn wir etwas verlieren, dann haben die meisten immer noch mehr, als sie wirklich brauchen. Ich propagiere keine Armut wie die Franziskaner, ich bin nur gegen übermäßigen Reichtum, gegen einen Überfluss, der so satt macht, dass er den Blick auf geistige und kulturelle Werte verstellt.
Es darf nicht sein, dass wir so viele Stunden mit Geldverdienen beschäftigt sind, dass wir für menschliche Beziehungen keine Zeit mehr haben. Wenn wir uns zu wenig Zeit für die Mitmenschen nehmen, dann verursacht das nämlich wieder andere Kosten: Kinderbetreuungs-kosten, Seniorenpflegekosten, Krankenbehandlungskosten und andere Therapiekosten. Viele Krankheiten entstehen doch durch den Zeitdruck, durch zu wenig Zeit füreinander, zu wenig Zeit für Gespräche miteinander. Denn menschliche Kontakte, auch über Handy oder E-Mail, lösen Spannungen und fangen viel von dem auf, was sich ansonsten in Krankheit verwandeln würde.
Jesus beruft Menschenfischer. Das sind Leute, die sich um die Menschen kümmern, die Menschen sammeln, Menschen zusammenbringen, Menschen vernetzen, Menschen für sinnvolle Projekte gewinnen. Menschenfischer sind Leute, die andere herausholen aus dem Sumpf des Kreisens um sich selbst, aus dem Zwang, immer mehr haben zu müssen. Das Haben-Wollen kommt mir vor wie das Zustopfen eines Loches in der eigenen Seele, wie das Füllen einer inneren Leere. Doch eine geistige Not lässt sich nicht mit materiellen Mitteln lösen. Das gibt immer nur eine Scheinlösung. Eine geistige Not braucht auch eine geistige Lösung.
Liebe Schwestern und Brüder, auch heute brauchen wir Menschenfischer. Jesus hat mit Brüderpaaren angefangen, nicht mit Einzelkämpfern. Petrus und Andreas gehörten zu demselben Haushalt, Jakobus und Johannes ebenso. Darum möchte ich Sie ermutigen, in der Zeit der Kontaktbeschränkungen wenigstens Ihre Familien neu zu aktivieren, immer wieder aufeinander zugehen und darüber zu sprechen, was Ihnen wichtig ist. Wo Menschen zusammenkommen und aufeinander hören, da lernen sie voneinander. Da entwickelt sich etwas Neues. Da lässt Gott die nötigen Ideen entstehen, gute Botschaft für unsere Zeit, damit Gott auch in Corona-Zeiten spürbar bleibt.