„Schulen des Dialogs“
„Wie viel Religion braucht die Demokratie?“ war die Frage, der sich verschiedene Expertinnen und Experten im Rahmen einer durch das Bayerische Innenministerium sowie der Hanns-Seidel-Stiftung veranstalteten Konferenz stellten. In seinem Impulsvortrag in München stellte Bischof Bertram die katholische Perspektive am Dienstag vor und betonte, dass Religionen als „Schulen des Dialogs“ eine entscheidende Rolle für demokratische Gesellschaften spielten.
Diese wichtige Rolle sei indes keine Einbahnstraße, so der Bischof zu Beginn seines Vortrags. Religionsgemeinschaften profitierten von einem „rechten Maß an Freiheit“, garantiert und geschützt durch den Staat: „Die Demokratie bietet einen guten Nährboden für die Entfaltung der Religion.“ Gleichzeitig brauche die Demokratie aber eben die Religion, wie es unlängst der Soziologe Hartmut Rosa formulierte. Religiöse Menschen zeigten eine über das übliche Maß hinausgehende „Offenheit für Transzendezs und Transformation“, zitierte der Bischof den Wissenschaftler: „Wenn Hartmut Rosa recht hat, braucht eine demokratische Gesellschaft eine bestimmte religiöse Grunddisposition schon allein deshalb, damit sie der Gefahr selbstbezogener Echokammern entgegenwirken kann.“
Neben der religiösen Haltung seien aber auch die religiösen Inhalte bedeutend, so Bischof Bertram weiter. Mit Verweis auf den mittlerweile verstorbenen Rechtsphilosophen und ehemaligen Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfang Böckenförde („Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“) betonte er die klare ethische Orientierung der Religion im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen, die gleichzeitig unerlässliche Bestandteile einer demokratischen Gesinnung seien: Das im Glauben gegründete Bekenntnis zur Menschenwürde, die kirchlicherseits durch eine schmerzhafte Lerngeschichte errungene Verteidigung der Menschenrechte und eine katholische Soziallehre, die sich durch eine universale Gemeinwohlorientierung auszeichne: „Die Kirche stützt und fördert das Zusammenleben in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht aus pragmatischer Notwendigkeit, sondern aus innerer Überzeugung.“
Auch in der gesellschaftlichen Notwendigkeit von Nächstenliebe und Solidarität spielten die Kirchen eine große Rolle, nicht nur auf professioneller Ebene über kirchliche Organisationen wie Caritas oder Diakonie, sondern auch und gerade im ehrenamtlichen Bereich, der in Deutschland überproportional stark durch kirchlich engagierte Menschen geprägt werde. Die Frage nach dem „Wie viel?“ hingegen lasse sich vor allem negativ beantworten: „weder dominante Monokultur noch quietistische Indifferenz!“ Es gehe stattdessen um „Religion im Plural“, also religiöse Gemeinschaften, die sich im Inneren wie im Äußeren auf das „Wagnis von Freiheit und Vielfalt“ einlassen. Dies betreffe nicht nur die Vielfalt im interreligiösen Dialog, der trotz aller Hindernisse und Beschwerlichkeiten gerade in Deutschland auf starke Dialog-Initiativen zurückblicken könne; stattdessen sei es auch die binnenreligiöse Vielfalt, die „geeint durch den gemeinsamen Glauben, aber auch im Bewusstsein ihrer Unterschiede“ diese Vielfalt als „Schulen des Dialogs“ an eine demokratische Gesellschaft weitergäben, so Bischof abschließend und die Eingangsfrage der Konferenz beantwortend: „Ja, Demokratie braucht Religion!“
Nach dem Impulsvortrag des Bischofs legten der evangelisch-lutherische Landesbischof von Bayern Christian Popp, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg Jo-Achim Hamburger sowie der Penzberger Imam Benjamin Idriz in ihren Vorträgen die evangelische, jüdische und muslimische Perspektive auf die Frage nach dem Verhältnis von Demokratie und Religion dar. In einer sich anschließenden Podiumsdiskussion sprachen Staatsministern Joachim Hermann, der Erlanger Kirchenjurist Heinrich de Wall, der Direktor des Bayerischen Forschungszentrums für Interreligiöse Diskurse Georges Tamer sowie der in Salzburg lehrende Religionswissenschaftler Martin Rötting über die politische Dimension des Themas sowie die akademische Sicht auf die Frage.
Die Veranstaltung fand im Konferenzzentrum der Stiftung in München statt und endete nach der Podiumsdiskussion mit einem Abendempfang. Die Hanns-Seidel-Stiftung ist eine parteinahe Stiftung der CSU und hat sich die Förderung staatsbürgerlicher Bildung sowie der politischen und sozialgesellschaftlichen Forschung zum Ziel gesetzt. Benannt ist sie nach dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Hanns Seidel (1957-60).