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Wichtiges
Predigt von Diözesanadministrator Prälat Dr. Bertram Meier in Neu-Ulm zum Abschluss der Kirchenrenovierung St. Johann am 19.1.2020

„St. Johann in Neu-Ulm: Sei provokativ!“ Jesus und Johannes – zwei Parallelbiographien

20.01.2020

Was wird wohl aus diesem Kind?“ (Lk 1,66) Das
fragten sich die Leute, als sie von den Umständen der Geburt des Johannes
hörten. Springen wir vom Kind Johannes zum erwachsenen Propheten!

Der weltbekannte Isenheimer Flügelaltar des Matthias Grünewald zeigt, wenn er verschlossen ist, in seiner Mitte ein Bild des Karfreitags. Riesig ragt das Kreuz auf, an das der entstellte Leib Christi geschlagen ist. Zur Rechten des Kreuzes steht die mächtige Gestalt des Täufers Johannes. Mit ausgestrecktem Arm und einer Hand, deren Zeigefinger expressiv verlängert ist, weist er auf den Gekreuzigten hin. Auf den Hintergrund hat der Maler in lateinischer Sprache ein Wort des Täufers aus dem Johannes-Evangelium geschrieben: Illum oportet crescere – me autem minui. Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden (Joh 3,30).

Historisch gesehen, stand Johannes der Täufer sicher nicht unter dem Kreuz. Denn am Karfreitag war Johannes schon tot. Doch hinter dem spätgotischen Bild verbirgt sich eine tiefe Einsicht: Jesus und Johannes gehören zusammen. Täufer und Messias, Erwartung und Erfüllung - Begriffspaare, die Johannes so auf den Punkt bringt: Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden. Wie sieht diese Beziehung aus? Wie stehen Johannes und Jesus zueinander?

Der Platz, an dem ich jetzt stehe, hat für mich eine besondere Bedeutung: Ende der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bin ich als Kaplan und Pfarrer an diesem Ambo gestanden, um zu predigen und das Wort Gottes auszulegen. Es waren die ersten seelsorglichen Sporen, die ich mir als junger Priester hier in Neu-Ulm verdienen durfte. Dafür bin ich bis heute dankbar. So ist es für mich Freude und Ehre zugleich, mit Ihnen diesen festlichen Gottesdienst zu feiern. 

 

1.     Johannes war der Lehrer Jesu. Der erste Lehrer, der Jesus in die „Gerechtigkeit“, d.h. in die Gottesbeziehung einführte, war freilich Josef. Doch prägend für Jesu Botschaft sollte Johannes werden. Was hat Jesus bei ihm gelernt? Beim Täufer hört Jesus, dass die große Wende, das Reich Gottes bald kommt. Er erfährt aber auch, dass die Lage ernst ist. Für alle in Israel gibt es nur eine Rettung. Bekehrung und Reue, ein Leben nach den Weisungen des Herrn: „Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen, und fangt nicht an zu sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen“ (Lk 3,8f). Diese klare Predigt scheint Jesus überzeugt zu haben. Deshalb lässt er sich von Johannes taufen. Der Größere beugt sich unter die Hand des Großen, und Gott offenbart durch ein Zeichen, dass dieser Größere sein „geliebter Sohn“ ist (Lk 3,22).

Scheinbar hat Johannes, der Lehrer, Jesus, den Schüler, als seinen „Nachfolger“ ausersehen: „Es kommt aber einer, der stärker ist als ich“ (Lk 3,16). Johannes war kein eifersüchtiger Lehrer, der es nicht haben kann, wenn ein Schüler den Meister übertrifft. Wir kennen das aus eigener Erfahrung im Großen und im Kleinen: Wie geht es manchen bedeutenden und hohen Persönlichkeiten, wenn die Kinder ihnen über den Kopf wachsen, wenn der Schüler auf einmal besser oder gar berühmter wird als sein Lehrer? Gute Lehrer können das ohne Neid anerkennen, vor allem dann, wenn es ihnen weniger um sich selbst als um die Schüler und um die Sache geht, die sie gemeinsam vermitteln wollen. Sie freuen sich am Wachstum des anderen: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. An meinem eigenen Vater – der übrigens Hans/Johannes hieß – konnte ich das ablesen. Obwohl er evangelisch war, also der „Konkurrenz“ angehörte, hat er sich über das Wachstum des Sohnes, mein Hineinwachsen ins Priestertum, gefreut. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.

2.      Betrachten wir einen weiteren Bereich, der Johannes und Jesus verbindet, aber auch unterscheidet. Es ist die Botschaft, die sie verkünden. Beide waren sich einig in einem Punkt: Sie wollten Israel sammeln und für den „Tag des Herrn“ vorbereiten. Dafür sind sie „von Dan bis Beerscheba“ (1 Sam 3,20) gezogen. Dieser Ausdruck war sprichwörtlich in Israel und meinte das Gebiet des ganzen Zwölfstämmevolkes. Ein neues Reich, das Himmelreich, wollten sie ankündigen, das Volk wieder vereinigen und stark machen.

          Doch die beiden tun es auf unterschiedliche Weise. Johannes predigt eine sehr praktische Frömmigkeit. Als die Leute ihn fragen, was sie tun sollen, legt er die Karten auf den Tisch, unmissverständlich und klar: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso“ (Lk 3,11). Den Zöllnern, den damaligen „Melkern der Nation“, sagt er: „Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist (Lk 3,13). Und die Soldaten hören von ihm: „Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold“ (Lk 3,14).

          Zwar sind diese Forderungen handfest, aber sie überfordern keinen. Jeder soll das tun, was ihm möglich ist und seinem Stand entspricht. Solche Klarheit wünscht das Volk – übrigens auch heute in manchen kirchlichen Kreisen, an Wallfahrtsorten und Gebetsstätten. Verständlich, dass „das Volk in Scharen zu ihm hinaus“ geht und sich taufen lässt (Lk 3,7). Eine Sühnenacht bei Johannes, und die Pflicht ist erfüllt! Hier wird nicht um den heißen Brei herumgeredet, stattdessen gibt es klare Ansagen, was zu tun und zu lassen ist. Doch damit hätte man Johannes nur oberflächlich, halb verstanden: Nicht so sehr das Reich Gottes ist nahe, sondern das Gericht. Johannes macht den Menschen „die Hölle heiß“.

          Seine Botschaft ist eine Mischung aus Höllenpredigt und der Einladung, die letzte Chance nicht zu verpassen. Denn anders als manche noch radikalere Kreise seiner Zeit lässt Johannes die Tür noch einen Spalt geöffnet. Insgesamt aber kreist seine Verkündigung um das Gericht, den Zorn Gottes, um Umkehr und Buße.

3.          Auf diesem Hintergrund wird klar, wo der Unterschied liegt zwischen Johannes und Jesus. Ohne dem Lehrer direkt zu widersprechen, setzt sich Jesus ab: nicht mit einer Drohbotschaft, sondern mit einer Trostbotschaft. Das schreibe ich Ihnen, liebe St. Johanner, ins Stammbuch: Werden Sie immer mehr, was Sie jetzt schon sind: eine tröstende Gemeinde. Johannes hat das Gericht verkündet; jetzt kommt Jesus, der Messias: Ich bin gesandt, „damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe, den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,17-19).

         Was mag Johannes darüber gedacht haben? Wird hier das Reich Gottes nicht zu billig angeboten? Gibt es Erlösung wirklich „gratis“, allein aus Gnade? Wer so fragt, greift zu kurz. Auch bei Jesus kommt zuerst die Arbeit der Umkehr, dann die Feier der Vergebung; erst der Festtagsputz, dann die Lieder der Freude. Während Johannes eher der strenge „Saubermann“ ist, versteht sich Jesus als Gottes Hochzeitslader: Selig, wer zur Hochzeit geladen ist!

         Johannes provoziert bis heute. Es sind Fragen, denen wir uns als Kirche stellen müssen: Spätestens seit die Missbrauchsskandale öffentlich wurden, ist klar, dass die Kirche der inneren Reinigung bedarf. Doch Jesu Antwort geht weiter: Er verweist auf das, was geschieht, und sagt den Boten unserer Zeit: „Geht und berichtet, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen, und Aussätzige werden rein. Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anschoss nimmt“ (Lk 7,22f). Mehr und mehr wird für Jesus der Lehrer zum Vorläufer: „Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her, er soll den Weg für dich bahnen“ (Lk 7,27; vgl. Mal 3,1).

         Ich wünsche Ihnen, liebe Johannes-Gemeinde von Neu-Ulm, dass Sie sich Ihren Patron im Lichte Jesu zum Vorbild nehmen! Als Christen in dieser Stadt haben Sie den Auftrag, Jesus und seiner Botschaft den Weg zu bahnen! St. Johann, sei provokativ! Locke die Stadtgesellschaft aus der Reserve!

          Schauen wir noch einmal geistig auf den Isenheimer Altar: Ich muss abnehmen, damit er wachsen kann. Der große Theologe und ernannte Kardinal Hans Urs von Balthasar hat von sich gesagt, sein Werk wolle nichts anderes sein als ein Johannesfinger, der auf Christus zeigt. Auf Christus zeigen, wie der Täufer auf dem Isenheimer Altar, das ist die Berufung eines jeden Christen. Es ist die Berufung einer Gemeinde, die den Namen St. Johann trägt. Auch sie ist nur vorläufig, bis das Reich Gottes in Fülle anbricht. Die Kirche St. Johann ist Vorläuferin ihres Herrn, der größer und strahlender erscheint als sie selbst trotz aller Schleppen und Quasten, die sie trägt. Ihre Sendung ist das Motto, unter das Johannes sein Wirken stellte: Ich muss abnehmen, damit er wachsen kann.