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Wichtiges
Studie der Aufarbeitungskommission

Stellungnahme des Bischofs

20.11.2025

Im Rahmen der Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie der Unabhängigen Aufarbeitungskommission Augsburg (UAKA) am 30. Oktober 2025 hatte Bischof Dr. Bertram Meier angekündigt, sich zeitnah zur Studie zu äußern. Hier nun seine Stellungnahme im Wortlaut.

„Es ist mir ein tief empfundenes Anliegen, mich zuallererst an alle im Kontext des Bistums Augsburg von sexualisierter Gewalt betroffenen Personen zu wenden. Unabhängig davon, ob Sie die Kraft gefunden haben, über diese schrecklichen Erfahrungen zu sprechen und sich Hilfe zu holen, ob Sie noch alleine mit diesen Erlebnissen kämpfen oder ob das Bistum Augsburg auf die eine oder andere Weise bereits von Ihrem Schicksal erfahren hat: Ihr Leid geht mir sehr zu Herzen und die schwere Schuld des Bistums Augsburg Ihnen gegenüber lastet mir auf der Seele.

Daher danke ich an dieser Stelle ausdrücklich allen Mitgliedern des Unabhängigen Betroffenenbeirats und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für die Initiative zu der wissenschaftlichen Studie des Departements Psychologie an der LMU München. Sie wird nach meinem Kenntnisstand Ende des Jahres 2026 zum Abschluss kommen. In ihr geht es ausschließlich um die Auswirkungen der Missbrauchserfahrungen auf die Betroffenen, deren Umfeld sowie die generationsübergreifenden Auswirkungen. Denn zuallererst muss unser Augenmerk den Betroffenen gelten. Und schon jetzt danke ich all jenen Betroffenen, die bereit waren, an dieser Studie mitzuwirken, obwohl das sicher schwer für sie war.

Dennoch darf darüber die Aufarbeitung der jahrzehntelang andauernden Ignoranz der Verantwortungsträger gegenüber den Betroffenen nicht unterbleiben. Diesem Auftrag aus der Gemeinsamen Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland entsprachen die Mitglieder der Unabhängigen Aufarbeitungskommission in Eigenverantwortung und voller Souveränität mit der am 30. Oktober 2025 veröffentlichten und mir ausgehändigten Studie zum sexuellen Missbrauch im Bistum Augsburg. Vertiefte Auswertung des der MHG-Studie zugrundeliegenden Datenbestandes für das Bistum Augsburg unter besonderer Berücksichtigung der Verantwortlichkeiten.

Schon der erste Teil der Studie, welcher unter acht verschiedenen Aspekten empirische Befunde aus der Dokumentenanalyse liefert, gibt mir genügend Anlass, mit verschiedenen Mitarbeitenden und Gremien in Beratungen zu gehen. Um an dieser Stelle nur einige Fragestellungen zu benennen: Wie kann das Bistum Kleriker in bestimmten Lebensphasen und krisenhaften Situationen besser begleiten, um sexualisierter Gewalt vorzubeugen? Sind Verhängung und Überprüfung der Einhaltung von Auflagen in unserer gegenwärtigen diözesanen Praxis routinemäßig verankert und funktionieren diese Routinen zuverlässig? Gibt es – ungeachtet des hohen verfassungsrechtlichen Schutzes der Wohnung – Möglichkeiten, den auffallend häufigen Tatort Privatwohnung des Priesters als potenziellen Tatort auszuschließen? Auch der ungewöhnlich hohe Anteil von männlichen Betroffenen wirft Fragen auf.

Positiv ist festzustellen, dass seit 2010 die Anzahl der staatlichen Verfahren sehr deutlich angestiegen ist: von insgesamt 33 in der UAKA-Studie erfassten staatlichen Ermittlungs- und Strafverfahren erfolgten 16 im Jahr 2010 und später. Ich sehe das als Bestätigung, dass die leitlinienkonforme Meldung aller bekanntwerdenden Fälle sexualisierter Gewalt an die Staatsanwaltschaft seither verlässlich funktioniert. Sämtliche Aufarbeitungsberichte (Augsburger Unterlagen für die MHG-Studie, Kinderheim Donauwörth, Kinderheime Reitenbuch/Baschenegg, Studie der UAKA) und auf Anforderung auch Akten gehen direkt an die Staatsanwaltschaft und werden dort auf Handlungsbedarf bzw. Ermittlungsansätze geprüft.

Dass es sich bei diesen Vergehen um keine Bagatelldelikte handelt, zeigt die Auswertung der Ergebnisse der Straf- und Ermittlungsverfahren (Tabelle 9). Auch wenn die Aussicht auf Strafe Täter nicht unbedingt abschreckt, so sollte wenigstens die Höhe der Strafen uns alle im Bistum Augsburg und darüber hinaus dafür sensibilisieren, wie gravierend diese Vergehen mit Blick auf die Folgen für die Betroffenen vom staatlichen Gesetzgeber – und nicht nur von ihm – eingeschätzt werden.

Erst im Jahr 2001 wurde es auf Initiative des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, universalkirchlich Pflicht, Fälle von sexualisierter Gewalt an die Kongregation für die Glaubenslehre zu melden. In Einzelfällen ist das, wie der Studie zu entnehmen ist, auch vorher schon geschehen. Doch in Verbindung mit der Einführung der Leitlinien Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz im Jahr 2002 führte dies endlich zu einer wachsenden Sensibilisierung kirchlicher Verantwortungsträger für das extreme Unrecht und Leid, welches die Betroffenen erlitten haben. Ich werde mich nachdrücklich dafür einsetzen, dass im Bistum Augsburg auch weiterhin in jedem uns bekanntwerdenden Einzelfall konsequent und leitlinienkonform gehandelt wird.

Ein bedeutender Baustein war gemäß der UAKA-Studie auch die Einrichtung von Unabhängigen Ansprechpersonen. Zum einen ist verständlicherweise die Hemmschwelle für Betroffene geringer, sich an eine Person außerhalb des Bistums zu wenden. Bewusst stehen jeweils mindestens ein Mann und eine Frau als Gesprächspartner zur Verfügung. Zum anderen gibt es eine vom Bistum unabhängige Instanz, welche eine erste Plausibilitätsprüfung vornimmt und dann über die vorgesehenen Meldewege weiterleitet. Ich danke an dieser Stelle allen Personen, die in der Vergangenheit und gegenwärtig bereit waren und sind, sich dieser durchaus belastenden Aufgabe im Interesse der Betroffenen zu stellen.

Wie bedrückend das Schicksal so vieler Betroffener war und immer noch ist, ahnt man bei der Lektüre der präzisen Fallschilderungen, vielleicht gerade wegen der schonungslos nüchternen Sprache. Auch wenn es inzwischen häufig thematisiert werden musste, dass Geistliche durch sexualisierte Gewalt viel Leid über Kinder und Jugendliche gebracht haben, packte mich das Entsetzen beim Lesen dieser Vorfälle und des viel zu oft völlig unangemessenen Umgangs mit ihnen. Ich musste die Studie mehrfach aus der Hand legen. Obgleich der Umgang mit diesen Straftaten inzwischen angemessener und die Sorge um die Betroffenen gewachsen ist, muss es in jedem Fall unser Ziel sein, solches Leid zu verhindern.

Daher habe ich die Empfehlungen der UAKA, zu deren Mitgliedern zwei Vertreter des Unabhängigen Betroffenenbeirates zählen, besonders aufmerksam studiert. Einiges davon wurde, teils auch von meinen Vorgängern im Amt, schon auf den Weg gebracht. Anderes wird noch zu beraten und in geeigneter Weise umzusetzen sein.

Verschiedene Punkte möchte ich an dieser Stelle hervorheben:

  1. Meldewege und Zuständigkeiten sind inzwischen relativ gut etabliert, wie die Studie der UAKA dem Bistum Augsburg bescheinigt und hoffentlich auch die angekündigten, weiteren Recherchen der UAKA noch bekräftigen werden. Dennoch gilt es hier immer wieder neu nachzujustieren. Wir haben uns daher schon im Vorfeld der Veröffentlichung der Studie dazu entschieden, die Arbeitsfelder Prävention – Intervention – Leistungen in Anerkennung des Leids noch stärker zu vernetzen und ab dem 01.01.2026 in einer Stabsstelle zusammenzuführen.
  2. Gemäß der von mir zum 01.01.2020 bzw. zum 01.06.2022 in Kraft gesetzten Interventionsordnung wurde im Bistum Augsburg zur Behandlung von Missbrauchsfällen unter der Leitung des Interventionsbeauftragten ein Ständiger Beraterstab eingesetzt. In ihm ist neben den Unabhängigen Ansprechpersonen auch der Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission ständiges Mitglied.
  3. Am 27.06.2025 wurden die Ausführungsbestimmungen zur Rahmenordnung – Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz (ABPräv) für das Bistum Augsburg in Kraft gesetzt. Präventionsmaßnahmen, die teils schon seit 2011 im Bistum Augsburg selbstverständlich sind, werden hier gebündelt und weiterentwickelt. Besonders darf ich darauf hinweisen, dass in diesem Zusammenhang die Verpflichtung besteht, sehr weitreichend alle im Raum der Kirche Tätigen bis hin zu ehrenamtlichen Mitarbeitenden gegen sexualisierte Gewalt zu sensibilisieren und durch entsprechende Schulungsmaßnahmen zu einem kompetenten Vorgehen zu befähigen.
  4. Die Empfehlungen der UAKA werden in einschlägigen diözesanen Gremien beraten werden. Schon jetzt kann ich aber Folgendes dazu sagen:

- Mit der seit geraumer Zeit laufenden Erarbeitung Institutioneller Schutzkonzepte auf Pfarreiebene, in Verbänden und kategorialer Seelsorge wird neben einem wertvollen Beitrag zur Prävention auch eine Sensibilisierung der Personen in den jeweiligen Institutionen für dieses belastende Thema erreicht. Zudem gewinnen alle Beteiligten Sicherheit im Umgang mit Verdachtsfällen. Wir erhoffen uns im Zuge dieses Prozesses auch eine offenere Einstellung aller Gläubigen im Bistumsgebiet zu diesem schmerzlichen Thema.

- Mit der Anstellung eines Psychologen im Priesterseminar wurde im Bereich der missbrauchssensiblen Ausbildung bereits ein Schritt in die richtige Richtung getan. Die neue Rahmenordnung für die Priesterausbildung im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz wird hier sicherlich noch weitere Impulse bringen.

- Die vor allem vom UBBA geforderte Schaffung einer Stelle mit dem Schwerpunkt psychologische und pastorale Nachsorge für die Betroffenen wird baldmöglichst umgesetzt werden. Die bislang dafür vorgesehene Stelle eines Diplompsychologen scheint am Bedarf der Betroffenen vorbeizugehen.

- Die Weiterentwicklung und nachhaltige Etablierung von Strukturen, die eine zuverlässige und nachprüfbare Kontrolle der Einhaltung von Auflagen für Kleriker ermöglichen, wird einer der nächsten Schritte in unserem Bistum sein. Wie ich der Studie entnehmen konnte, gibt es hier Handlungsbedarf.

- Die jährliche Veröffentlichung der dem Bistum Augsburg neu bekannt gewordenen Fälle soll im Amtsblatt erfolgen. In diesem Bereich haben wir dank des Drängens der UAKA im Ordinariat inzwischen eine sehr strukturierte Datenaufbereitung, die laufend fortgeführt werden soll. Aus ihr heraus können die benötigten Informationen datenschutzkonform bekannt gegeben werden.

- Ich werde mich umgehend persönlich informieren lassen, wie der Umsetzungsstand der im Amtsblatt 2021 (S. 475ff.) in Kraft gesetzten Personalaktenordnung für Kleriker und Kirchenbeamte insbesondere hinsichtlich deren fortlaufender und fälschungssicherer Paginierung ist. Weil die Aktenführung in der Vergangenheit den Standards nicht genügte und daher von der UAKA zu Recht beanstandet worden ist, sind wir heute umso mehr in die Pflicht genommen.

Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt wird ein Dauerthema bleiben, das wir sorgsam im Blick behalten müssen, um gewonnene Standards zu halten und weiter auszubauen. Da ich selbst erst seit wenigen Jahren Personalverantwortung trage, bin ich für die seit dem Jahr 2002 erkennbaren Anstrengungen meiner Amtsvorgänger und deren Mitarbeiter dankbar, eine andere Richtung im Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt und zunehmend auch mit den Betroffenen eingeschlagen zu haben. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir darin noch besser werden und hoffe vor allem, dass die Präventionsmaßnahmen wirklich greifen. Die von den Mitgliedern der Unabhängigen Aufarbeitungskommission erarbeitete Studie wird ein wertvoller Beitrag zu diesem Bemühen um Verbesserung sein.

Unter dem Eindruck der intensiven Lektüre dieser Studie möchte ich vor allem und namentlich den beiden Vertretern des Betroffenenbeirats, Frau Colombo und Herrn Braun, herzlich danken, dass sie sich als Mitautoren der ausführlichen Befassung mit so vielen Missbrauchsfällen ausgesetzt haben. Dies war ungeachtet der immensen zeitlichen Beanspruchung auch inhaltlich gewiss alles andere als leicht. Allen Mitgliedern der Unabhängigen Aufarbeitungskommission, die bekanntlich ehrenamtlich tätig sind, gilt mein persönlicher Dank für ihre Entscheidung zur Erarbeitung dieser Studie, den hohen Grad an Akribie und Professionalität sowie für die aufgewendete Zeit und den persönlichen Einsatz.“