„Unbekannte Seiten des hl. Martin: der erste heilige Bekenner“
Verehrter, lieber Pater Hutt, sehr geehrte Vertreter der Kappelmaierstiftung und der Messerschmitt-Stiftung - Herr von Srbik und alle Mitglieder des Vorstands, liebe Festgäste, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, heute ist für Batzenhofen ein historischer Tag: der 300. Geburtstag der Pfarrkirche. Sie ist dem hl. Martin von Tours geweiht, der zur Schar der ältesten Heiligen Europas zählt.
Steht er doch am Anfang der europäischen Glaubensgeschichte als jemand, der in seinem Leben viele Facetten christlicher Existenz am eigenen Leib durchlebte: er war Soldat, Einsiedler und Mönch und wurde schließlich zum Bischof geweiht. Obwohl er schon als Jugendlicher vom christlichen Glauben fasziniert war, ließ er sich erst als Erwachsener taufen; so kann er auch heute für Menschen Modell sein, die nicht von klein auf in den Glauben hineingewachsen sind. Soeben hörten wir in der Lesung aus dem 2. Johannesbrief, woran man den Christen, die Christin erkennen kann: „Darin besteht die Liebe, dass wir nach seinen Geboten wandeln. Und darin besteht das Gebot, (…): dass ihr in der Wahrheit wandelt“ (2 Joh 4,6).
Martins Liebestat, die Mantelteilung, kennen alle, doch wie hat er die Wahrheit gelebt?
Sein Biograph Sulpicius Severus, der ihn noch persönlich kannte, schildert folgende Begebenheit, die ihm Martin selbst erzählt hat: Während einer Gebetszeit geschah es, dass plötzlich eine überaus reich gewandete Gestalt, von heiterem und schönem Aussehen die Kammer des Bischofs von Tours betrat, der dadurch völlig betäubt und sprachlos war. Da sprach der Eingetretene: „Erkenne doch, Martin, was Du siehst: ich bin Christus und auf die Erde gekommen, weil ich mich Dir als erstem zeigen wollte.“ Doch Martin blieb weiter stumm und die beiden maßen sich still mit Blicken. Erst als der Unbekannte zum zweiten Mal beteuerte: „Was zweifelst Du? Ich bin Christus.“, reagierte Martin, indem er auf das Evangelium verwies: „Unser Herr Jesus hat nicht vorausgesagt, dass er fein gekleidet und mit einem Diadem geschmückt wiederkommen wird. Ich glaube Dir nicht, dass Du Christus bist, wenn Du nicht als der kommst, der gelitten hat, wenn ich nicht die Wundmale an deinem Körper sehe.“ Daraufhin, so der Biograph, löste sich das Trugbild in Rauch auf.
Taub für die Schmeichelei hat Bischof Martin das Täuschungsmanöver, das ihm vielleicht auch die eigene Eitelkeit vorgegaukelt hat, durchschaut und sich auf den Standpunkt des Evangeliums gestellt. Damit hat er der Wahrheit die Ehre gegeben; er bekannte sich zu Jesus als dem Gekreuzigten.
Gottes Sohn hat uns durch Leiden und Tod erlöst: Zu allen Zeiten ist diese Botschaft für menschliche Ohren ungeheuerlich, ja ein Ärgernis (vgl. 1 Kor 1,22-26); dennoch ist sie wahr - für den, der glaubt. Dies hat rund 250 Jahre vor dem hl. Martin bereits der Verfasser des 2. Johannesbriefes betont, wir haben es gerade gehört: „Viele Verführer sind in die Welt hinausgegangen, die nicht den im Fleisch gekommenen Jesus Christus bekennen“ (2Joh 4,7). Martin von Tours bezeugte Christus nicht mit dem Blut, doch bekannte er ihn freimütig im Kampf mit inneren und äußeren Versuchungen. So wurde er zum ersten Bekenner, den die Kirche als Heiligen verehrt.
Martin wollte Gott mehr gehorchen als den Menschen: Schon vor seiner Taufe wusste er, dass er Jesus vor allem in den Armen und Randexistenzen, in den Ausgestoßenen und Missachteten begegnete. Mit ihnen teilte er, was er besaß. Er zog sich in die Einsamkeit zurück, um Gott zu dienen, wo ihn die Menschen aufspürten, um von ihm Wegweisung und Orientierung zu bekommen. So gründete er Klöster und zog als Missionar durch halb Europa. Was er selbst im Gebet erkannt hatte, gab er an seine Mitbrüder weiter, ohne ein Amt anzustreben. Deshalb flüchtete er auch der Legende nach in einen Gänsestall, um der Wahl zum Bischof zu entgehen. Es half nichts: Wenn er den Geboten Gottes treu bleiben wollte, musste er sich auch jetzt beugen. Doch er gab dem Dienst ein eigenes Gepräge, wohnte nicht in der Stadt, sondern in einer der Holzhütten der Umgebung. Ihm ging es darum, dem einfachen Volk nahe zu sein.
Auch als Bischof bildete sich Martin sein eigenes Urteil: Er gab keinem Druck nach, er war unbequem und unbestechlich: So setzte er sich vehement beim Kaiser für die Niederschlagung eines Prozesses ein, den man gegen einen häretischen Bischof angestrengt hatte. Denen, die dennoch das Todesurteil forciert hatten, verweigerte er die eucharistische Gemeinschaft. Doch ließ er sich auf Bitten des Kaisers erweichen, wenigstens während einer Bischofsweihe mit den Amtsbrüdern Frieden zu schließen.
Streng gegen sich selbst, war er versöhnlich und barmherzig gegenüber anderen. Ja, sein Biograph erzählt sogar, Martin habe dem Teufel persönlich versprochen, sich bei Christus für ihn einzusetzen, wenn sich der Widersacher bekehre (Vita 22,5). Dennoch waren die letzten Jahre des Heiligen von kirchenpolitischen und theologischen Auseinandersetzungen geprägt und Anfeindungen und Unverständnis verdunkelten sein Alter. Martin war jung in die Fußstapfen Jesu getreten und da konnte es nicht ausbleiben, dass auch sein Leben in den Kreuzweg einbog, den - mehr oder weniger sichtbar - jeder Mensch, der sich zur Nachfolge Christi entscheidet, erlebt.
Das heutige Evangelium bietet dazu die ernste, ja bestürzende Hintergrundfolie: Jesus kündigt seine Wiederkunft an, die so plötzlich in unseren Alltag hereinbrechen wird, dass alles Gewohnte, wirklich alles unwiderruflich der Vergangenheit angehört. Die Tage des Noah und des Lot sind lebhaft geschilderte Beispiele dafür, dass es tödlich sein kann, sich an Hab und Gut und an die Vergangenheit zu hängen oder auch nur zurückzuschauen wie Lots Frau: „Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es erhalten“ (Lk 17,33).
Auch 2000 Jahre Abstand konnten dieser eindeutigen Warnung nichts von ihrer Schärfe nehmen. Sie bleibt ein Stachel im Fleisch - für uns in Mitteleuropa wohl eine besondere Herausforderung, weil wir seit bald 80 Jahren keinen Krieg mehr erleben mussten. Doch Menschen, die Hochwasserkatastrophen durchlitten oder vor Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland geflohen sind, können sehr eindrücklich davon erzählen, was es heißt, um sein Leben zu kämpfen und alles zurückzulassen, was einem lieb und teuer ist. Lots Frau steht für unser Heimatgefühl, für das Verwurzeltsein in Familie und vertrauter Umgebung. Wer könnte es ihr nicht nachfühlen, dass sie spontan einen Blick zurückwirft? Mag sein, dass die Erstarrung zur Salzsäule nicht so sehr eine Strafe als vielmehr ein absolutes Versinken in die traumatische Erfahrung war – eine Verwundung, die der Erlösung durch den Heiland harrt! So wie Christus bei seiner Wiederkunft die Wunden der Kreuzesqual tragen wird, seine untrüglichen Erkennungszeichen, so wird auch unser Leben, „eines jeden einziges leben“, wie es der Dichter Reiner Kunze genannt hat, die Spuren dessen tragen, was wir – und nur wir – erfahren und erlitten haben. Doch dürfen wir darauf vertrauen, dass der Auferstandene auch diese Spuren in seinem Licht verklärt und wir uns mit allen Heiligen der ewigen Seligkeit erfreuen. –
Wir gedenken heute auch Herrn Kurt Kappelmaier, des im letzten Jahr verstorbenen Stifters. Ohne seine großzügige Unterstützung wäre die Renovierung dieser herrlichen Martinskirche so nicht möglich gewesen. Auch die Auftraggeberinnen der Kirche, das Augsburger Benediktinerinnenstift St. Stephan, eine Gründung des hl. Bischofs Ulrich, wollen wir nicht vergessen und die zahlreichen Baumeister und Künstler, die mit ihrer Kreativität und Lebenskraft dieses Gesamtkunstwerk geschaffen haben. Sie sparten weder an Material noch an Qualität – nach dem bewährten Motto: Für Gott ist das Beste gerade gut genug! Möge uns ihr Einsatz und das Beispiel des hl. Martin, der Gott und seinen Geboten durch alle Wechselfälle des Lebens hindurch treu blieb, Ansporn und Ermutigung sein. Martin, der den Mantel geteilt hat, sagt uns: Glauben teilen heißt Leben teilen.