Zwischen Selbstbestimmung und Verwiesen-Sein
Drei Jahre ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzesgeber aufforderte, einen rechtlichen Rahmen für den assistierten Suizid zu schaffen. Im St. Vinzenz-Hospiz diskutierten Bischof Bertram, Staatsminister Klaus Holetschek und Professorin Claudia Bausewein über die schwierige Frage der Sterbehilfe im Palliativbereich und darüber, wie sich gesetzliche und kirchliche Positionen vereinbaren lassen.
Die Fragen um das Ende des menschlichen Lebens seien ihm ein Herzensanliegen, betonte der Bischof zu Beginn der Diskussion. Selbstbestimmtheit sei ein wesentlicher Aspekt des Menschseins: „Jeder Mensch ist frei und muss sich frei entfalten können!“ Diese Freiheit bedeute aber auch eine Verantwortung, ja sie könne nur relativ zur Verantwortung anderen Menschen gegenüber existieren. Im Hospiz- und Palliativbereich dürfe einem Menschen auch am Lebensende nicht die Autonomie genommen werden; stattdessen gehe es darum, die letzte Lebensstrecke bewusst zu leben und die Menschen in ihrer „Verwiesenheit auf Andere“ zu ermutigen und zu stärken.
Es sei dabei die besondere Aufgabe der Kirche, den Menschen in existenziellen Notlagen beizustehen und die unbedingte Liebe Gottes jedem einzelnen Menschen gegenüber spürbar werden zu lassen. Das bedeute: „Auch wenn kirchliche Einrichtungen für sich ausschließen können, Orte des selbst herbeigeführten Todes zu werden, verurteilen wir diejenigen nicht, die sich für einen solchen Weg entscheiden, und wir bieten weiterhin auch ihnen unsere Seelsorge und Begleitung an.“ Unabhängig von der Art und Weise des Sterbens dürfe niemandem die Seelsorge und Begleitung auf dem letzten Weg verwehrt bleiben, so Bischof Bertram.
In der folgenden Diskussion äußerte sich der bayerische Staatsminister für Gesundheit und Pflege Klaus Holetschek ähnlich. Es gehe darum, dass Menschen sich in den letzten Abschnitten ihres Lebens gut umsorgt und aufgehoben fühlten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes müsse insofern ausgestaltet werden, dass der Staat nicht derjenige sei, der entscheide, ob jemand „mit der Hand oder von der Hand eines Anderen“ sterbe. Die Diskussion um die Sterbehilfe trage aber auch die Chance in sich, sich auf das gemeinsame Wertefundament neu zu besinnen, denn bei aller Meinungsverschiedenheit sei immer klar: "Es geht um Haltung und Würde."
Auch die Münchner Palliativmedizinerin und Universitätsprofessorin Claudia Bausewein betonte, dass ein eventueller Gesetzesentwurf die Gefahr in sich berge, die momentan bestehende Liberalität und Flexibilität zum Thema Sterbehilfe zu formalisieren oder gar den assistierten Suizid zum Normalfall werden zu lassen. Die alltägliche Erfahrung im Palliativbereich lehre, dass es hier weder einfache noch allgemeingültige Antworten gebe. Wenn des Bundestag aber ein entsprechendes Gesetz in welcher Form auch immer beschließen solle, so sei es für sie unabdingbar, dass ein mindestens gleich stark gestelltes Gesetz zur Förderung der Suizidprävention folge. Letztlich sei es nicht die Aufgabe der Palliativmedizin, beim selbstgewählten Tod zu assistieren. Aber sie beinhalte "die Option darauf, im Einzelfall die Begleitung dazu anzubieten", wenn alle anderen Optionen auf ein würdiges Sterben ausgeschöpft seien.
An das Gespräch der Podiumsteilnehmer schloss sich eine angeregte Diskussion beziehungsweise Fragerunde mit den zahlreich erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörern an, die selbst vielfach haupt- oder ehrenamtlich in der Sterbebegleitung tätig waren. Aufgrund der großen Teilnehmerzahl wurde die Veranstaltung parallel in den neben dem St. Vinzenz-Hospiz gelegenen Pfarrsaal der Pfarrei St. Martin gestreamt, von wo aus ebenfalls die Möglichkeit zum Fragen stellen gegeben war.
