Als Christen in der Welt leben und wirken
Klirrende Gläser, gesellige Gespräche, gemeinsamer Gesang: Die Stimmung beim Festkommers anlässlich des 60. Stiftungsfestes der katholischen Studentenverbindung Algovia Augsburg an diesem Samstagabend im Kolpinghaus ist ausgelassen. Und doch mischt der Festredner plötzlich Nachdenkliches in die munteren Töne des „Gaudeamus igitur“: „Wozu braucht es heutzutage noch die Kirche?“, fragt er die buntbemützte Schar katholischer Akademiker im großen Saal.
Eine Frage, mit der Bischof Bertram – selbst CV-Mitglied und Träger des Algovenbandes – nicht nur die Aufmerksamkeit der Frauen und Männer im Saal auf seine Seite zog, sondern wohl auch den Gesprächsfaden aus dem Alltag der anwesenden Akademiker aufnahm. Er wollte mit seiner Rede „geistlich herausfordern“, aber auch „mit Erkenntnis und Freude erfüllen“. Denn viele Christinnen und Christen würden schnell unsicher, wenn sie auf eine solche Frage hin Stellung beziehen müssten, bemerkte der Bischof. Und er gab selbstkritisch zu bedenken: „Welche Existenzberechtigung hat eine Institution, die sich in den Augen vieler selbst abgeschafft hat? Wir machen Schlagzeilen, aber negative.“
Den Paukenschlag seiner Provokation ließ Bischof Bertram jedoch nach kurzer Zeit schon wieder verstummen. „Sie werden nicht überrascht sein, wenn ich anderer Meinung bin: Trotz aller Fehler und menschlichem Versagen ist es ein Segen, dass es Kirche gibt.“ Und es brauche sie auch künftig in vielerlei Hinsicht. Mit Kirche beschrieb er nicht nur eine anonyme Institution, sondern zählte neben Papst, Bischöfen und Priestern alle dazu, die an Christus glauben. „Kirche ist keine starre Größe, sondern stets dynamisch, eine lebendige Gemeinschaft von gläubigen Menschen unterwegs durch die Zeit und somit vor immer neue Herausforderungen gestellt.“
Eine davon sei es, als weltweite Glaubensgemeinschaft die Frohe Botschaft des Evangeliums an die nächste Generation weiterzutragen und in die jeweilige Zeit zu übersetzen – stets in der Spannung von Kontinuität und Wandel, von Bewahren und Erneuern. Dass dieser Spagat durchaus das Zeug zur Zerreißprobe hat, hätte erst jüngst der „Synodale Weg“ in Deutschland gezeigt. Es sei deutlich zu spüren, dass nicht nur die Einheit der Kirche auf der Kippe steht. Vielmehr sei sie über sich selbst eingeschlafen, träge und satt geworden. Bischof Bertram wird auch an diesem Punkt konkret: „Müde Masse ohne Esprit, schwerfälliger Tanker mit einer Vielzahl an Immobilien und einem riesigen Verwaltungsapparat im Schlepptau.“ Wo ist der Schwung geblieben, mit dem die Jünger einst Jesus gefolgt sind? Was wurde aus dem Feuer der Begeisterung, mit dem die Apostel an den Start gingen?“
Gründe, warum es die Kirche braucht, gäbe es für den Festredner genug. Zehn davon nannte er. Ganz oben auf seiner Liste, für die er sich ökumenisch inspirieren ließ, steht Jesus Christus, in dem die Kirche „ihren Sinn und ihre Hoffnung“ finde, denn er habe uns das innerste Wesen Gottes offenbart: die Liebe. Das Wissen darum, dass Gott alle Menschen und die gesamte Schöpfung liebe, gäbe vielen Menschen täglich Halt, so Bischof Bertram. Und weiter: Kirche als eine Gemeinschaft, die Orte kennt, in denen Gottes Nähe spürbar ist, die Menschen auf ihrem Lebensweg begleitet, die mit der Heiligen Schrift in der Hand Werte und Maßstäbe für ein verantwortungsbewusstes Leben vermittelt und sich mit gesellschaftlich Benachteiligten in Nah und Fern solidarisch zeigt. Unter den Schlagworten „Talentschuppen“, „Begegnungszentrum“, „Versöhnungsort“ und „Kulturschmiede“ buchstabiert der Bischof weitere gute Gründe aus, in der Kirche aktiv zu sein und zu bleiben. Und gerade dazu soll seine Festrede ermutigen.
Mit Blick auf das katholische Profil des Verbands lud der Bischof dazu ein, darüber nachzudenken, wie Glaubensgrundsätze und Überzeugungen auch künftig zeitgemäß und glaubwürdig gelebt werden können. Sein Wunsch: „Mehr denn je brauchen wir als Kirche Menschen, die sich verbunden fühlen und mitdenken, die unsere Kirche trotz ihrer Fehler und Schwächen lieben und sich um sie sorgen, die als Christinnen und Christen in der Welt leben und wirken.“
Die KDStV Algovia Augsburg ist eine 1962 gegründete Gemeinschaft von Akademikern und gehört seitdem zum Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV). Die Verbindung zählt derzeit mehr als 200 Mitglieder – Studenten und „Alte Herren“, die bereits im Berufsleben stehen oder sich bereits im Ruhestand befinden, und an unterschiedlichen Fakultäten der Universität und Hochschule studieren oder studiert haben. Das jährliche Stiftungsfest, zu dem auch befreundete Verbindungen zu Gast sind, ist stets der Höhepunkt des Sommersemesters.
Der Cartellverband ist ein Zusammenschluss von mehr als 125 Verbindungen an den wesentlichen Universitätsstandorten in Deutschland sowie in Freiburg (Schweiz), Rom (Italien), Straßburg (Frankreich), Gleiwitz (Polen), Löwen (Belgien), Tokio (Japan) und Dschang (Kamerun). Mit rund 27.000 Mitgliedern ist es der größte katholische Akademikerverband Europas. Die vier Prinzipien des CV sind religio (Glauben), scientia (Wissenschaft), amicitia (Lebensbundprinzip) und patria (Vaterland).
