Austausch über Sozialpolitik in der Fuggerei
Vergangenheit trifft Zukunft: In der ältesten bestehenden Sozialsiedlung der Welt, der Fuggerei in Augsburg, haben sich an diesem Mittwoch Experten aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme und aktuelle Fragen der Sozialpolitik ausgetauscht. Das Gespräch fand im Rahmen der Tagung der „Arbeitsgruppe für sozialpolitische Fragen der Kommission VI“ der Deutschen Bischofskonferenz statt. Die Arbeitsgruppe wird von Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger geleitet.
Wie sich die demografische Entwicklung auf die Sozialversicherungen auswirkt, darüber sprach Prof. Dr. Axel Börsch-Supan, Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in München. Dabei griff er ebenso die Frage nach dem Verhältnis von Selbstverantwortung und gesellschaftlicher Solidarität auf. Neben nötigen Maßnahmen wie die sukzessive Erhöhung des Rentenalters, die hierbei von Seiten der Politik zu ergreifen seien, nahm er auch die Kirche in die Pflicht und stellte sie als wichtigen Handlungsträger in Fragen der sozialen Gerechtigkeit vor. Börsch-Supan: „Ich glaube, die Kirche kann viel dadurch tun, dass sie den Menschen die Angst vor dem demographischen Wandel nehmen kann. Demographischer Wandel ist ja auch eine Chance, viele Menschen werden ja gesund älter und haben die Möglichkeit, Enkel und Urenkel zu erleben. Zu vermitteln, dass wir keine Angst haben müssen, das kann auch eine Aufgabe der Kirche sein.“
Mitglied der Arbeitsgruppe ist Prof. Dr. Martin Werding, Angehöriger des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit einer der fünf „Wirtschaftsweisen“, die die Bundesregierung beraten. Seiner Ansicht nach muss die Politik dringend handeln: „Wir stehen unmittelbar vor dem Alterungsschub durch den Renteneintritt der Babyboomer, haben also keine Reaktionszeit mehr - und das macht die Sache extrem schwierig.“ Auch Werding tritt für den Einstieg in ein höheres Rentenalter bei gleichzeitiger Abfederung sozialer Härten ein: „Die Politik ist aufgerufen, noch in dieser Legislaturperiode die Diskussion aufzunehmen und spätestens in der nächsten auch etwas zu tun.“
Die Umgebung der Fuggerei, die seit 1521 mit inzwischen 67 Häusern und 142 Wohnungen bedürftigen Augsburger Bürgerinnen und Bürgern eine Heimat bietet (und das für eine Jahreskaltmiete von 88 Cent) wirkte auf die Mitglieder der Arbeitsgruppe offenbar inspirierend. Prof. Martin Werding: „Was man in der Fuggerei lernen kann, ist, dass sich der Sozialstaat zumindest in Krisenzeiten auf die Schwachen konzentrieren muss.“
Die Arbeitsgruppe für sozialpolitische Fragen trifft sich viermal im Jahr zur Vorbereitung unterschiedlicher Themenstellungen. Neben ihren Mitgliedern nehmen an den Tagungen jeweils auch Experten unterschiedlicher Fachrichtungen und Disziplinen teil und geben Einblicke in ihre Themenfelder. Für Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger ist die Arbeitsgruppe ein „Thinktank“ der Deutschen Bischofskonferenz: „Unser Ziel ist es, auf Ungleichgewichte in der Gesellschaft aufmerksam zu machen und Menschen für ein eigenverantwortliches Leben stark zu machen. Wir konzentrieren uns auf wichtige Fragen, die den Zusammenhalt der Gesellschaft ermöglichen. Vielleicht ist die Kirche hier durch ihre Jahrhunderte lange Erfahrung mit ihrer katholischen Soziallehre so etwas wie ein treuer Makler, damit das Gemeinwohl des Ganzen im Blick bleibt.“