Bischof: Europa muss seine Wurzeln wiederfinden
„Das Christentum ist die Seele Europas“, betonte Bischof Dr. Bertram Meier in seiner Predigt anlässlich des Europatages in der Festhalle der Unterallgäuer Gemeinde Niederrieden. Heute sei Europa jedoch ein Sorgenkind, die Erschütterungen durch die Finanz- und Schuldenkrise seien noch nicht überwunden, der Brexit habe für Bestürzung gesorgt, Corona erfordere weiterhin einen gemeinschaftlichen Kraftakt und seit Februar tobe in Europa ein furchtbarer Krieg. „Das ,Haus Europa‘ hat Risse bekommen, es ist müde geworden“, fuhr der Bischof fort. Um überleben zu können brauche Europa einen Brunnen, und dieser Brunnen sei der christliche Glaube, stellte er fest. Festredner der sich anschließenden Kundgebung war der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder.
Zunächst hatte sich Bischof Bertram im Pfarrstadel auf Wunsch von Bürgermeister Michael Büchler und der Niederrieder Europabeauftragten Manuela Jocham in das Goldenen Buch der Gemeinde eingetragen. Neben zahlreichen Ehrengästen aus Politik und Gesellschaft, unter ihnen der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holletschek sowie der Europaparlamentarier und CSU-Bezirksvorsitzende Markus Ferber, waren auch der Ruhestandsgeistliche Josef Nowak, einer der Unterstützer der Europatage in dem kleinen Ort seit 1980, sowie der Leiter der Pfarreiengemeinschaft Boos Pater Georg Valiyamangalam. Gemeinsam mit Fahnenabordnungen und zu den Klängen der Musikkapelle zogen die Ehrengäste zur Festhalle, wo der Gottesdienst mit musikalischer Unterstützung der Jugendkapelle Illertal sowie des Kirchenchors Niederrieden stattfand.
In seiner Predigt mahnte der Bischof, Europa müsse seine Wurzeln wiederfinden. Nach einem Bericht der Apostelgeschichte habe Paulus das Christentum nach Europa gebracht. „Europa ist nicht nur für Veteranen, sondern es ist aktuell“, bemerkte er. Denn das Christentum habe zahlreiche „Leuchttürme“ geformt, die bis in die heutigen Tage ausstrahlten, darunter zahlreiche große Heilige und Patrone Europas – so wie Mutter Teresa oder Papst Johannes Paul II. Dieser Papst habe im Jahr 2000 eine Rückschau auf die Fehler von Christen in der Vergangenheit gehalten und damit zu einer „Reinigung des Gedächtnisses“ der Kirche beigetragen, so der Bischof. Der Missbrauchsskandal habe der Glaubwürdigkeit geschadet und Vertrauen zerstört. „Schreiben Sie uns nicht ab. Machen Sie das groß, was die christlichen Kirchen bis heute leisten: sich als Anwältinnen für die Würde des Menschen zu verstehen. Sie bemühen sich, denen eine Stimme zu geben, die am Rand der Gesellschaft stehen. Wir machen Menschen groß – um Gottes willen“.
Trotz aller Skandale gebe es in den Kirchen Europas millionenfach glaubhaftes christliches Leben. Das habe er kürzlich als Weltkirche-Bischof bei seinem Besuch in Litauen erlebt, wo die Menschen trotz bitterer Armut und hoher Inflation nicht verzagten oder jammerten. „Von ihnen können wir noch viel lernen“, richtete er sich an die Anwesenden. Der Unmut in Deutschland hingegen sei häufig groß und viele Menschen beschwerten sich lautstark. „Schauen Sie genau hin, wenn Sie demonstrieren, für was und für wen Sie auf die Straße gehen.“ (...) „Denn an der Demokratie wird gesägt, das sage ich ganz offen“, fuhr der Bischof fort.
Wir brauchten eine Erneuerung, die aber keine geistliche Revolution, sondern eine spirituelle Offensive sei, so Bischof Bertram. Gleichzeitig solle man sich auf das christliche Menschenbild besinnen. Gott wolle, dass der Mensch frei lebe und seine Talente zum Wohle seiner Mitmenschen einsetze. Die kraftvolle Botschaft Gottes sei die Nächstenliebe, die Caritas. Caritas kenne keine Grenzen, betonte der Bischof. Die letzten Krisen hätten gezeigt, dass diese nicht im Alleingang zu stemmen seien. „Nur ein gemeinschaftlich agierendes Europa wird es schaffen, Probleme zu bewältigen. Es stimmt mich hoffnungsvoll für die Zukunft, mit welcher Solidarität die Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen wurden. Ich spüre eine tiefe europäische Verbundenheit aus christlichem Geist. Möge diese Solidarität bleiben“, wünschte er.
Bischof Bertram gedachte abschließend der verstorbenen Politikerin Barbara Stamm, die als bayerische Ministerin das soziale Gewissen und das „caritative Herz“ gewesen sei.
Während der sich anschließenden Kundgebung sprach der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder und bedankte sich bei Bischof Bertram für die kraftvolle Predigt. Der Ministerpräsident betonte, dass ihm die christlichen Grundwerte wichtig seien. „Das, was uns eint, hilft uns. Hetze und Nationalismus sind der falsche Weg“, betonte Söder. Miteinander in die richtige Richtung zu gehen, das sei es, was für Europa gelte. „Europa brauchen wir jetzt, so wie wir es noch nie gebraucht haben“, bezog er sich auf die aktuelle Lage. Ein gemeinsames Mittagessen beendete den 31. Europatag in Niederrieden.
Der Europatag in Niederrieden blickt auf eine jahrzehntelange Tradition zurück und wurde 1980 zum ersten Mal ausgerichtet - ausgehend von einer Initiative des damaligen Pfarrgemeinderats. Fester Bestandteil dieses Tages ist stets ein Gottesdienst, zu dem seit den späten 1980ern auch Bischöfe und Äbte als Zelebranten eingeladen wurden. Zu den bisherigen Rednern gehören etwa Dr. Otto von Habsburg, Dr. Theo Waigel und Dr. Markus Söder, der 2013 bereits in Niederrieden sprechen durfte.