Auf das Herz kommt es an
Liebe Schwestern und Brüder in Christus, „HerzHaft zwischen Mangel und Überfluss“ so lautet das Leitwort zum diesjährigen Eventgottesdienst. Ich möchte bei dem Vielen, das wir heute Abend schon gehört haben, meine Überlegungen auf das menschliche Herz legen.
Wenn wir auf die letzte Enzyklika des Papstes schauen, die vergangenen Oktober veröffentlicht wurde, dann haben Sie mit dem Motto des Eventgottesdienstes einen guten Riecher bewiesen. Die Enzyklika „Dilexit nos“ (Er hat uns geliebt) handelt von der menschlichen und göttlichen Liebe des Herzens Jesu Christi. Seine Motivation für dieses Schreiben speist Papst Franziskus aus gesellschaftlichen Beobachtungen – ähnlich denen, die auch in vielen Texten heute Abend zum Ausdruck gebracht wurden. Er schreibt: „… wenn wir versucht sind, uns an der Oberfläche zu bewegen, in Hektik zu leben, ohne letztendlich zu wissen, wozu, wenn wir Gefahr laufen, zu unersättlichen Konsumenten zu werden, zu Sklaven eines Marktsystems, das sich nicht für den Sinn unseres Lebens interessiert, dann tut es Not die Bedeutung des Herzens wieder neu zu entdecken.“ (Dilexit nos 1)
Gehen wir auf unserer Entdeckungsreise also vom menschlichen Herzen aus. Manche sehen im Herzen ein romantisches Kitschsymbol, dem sich der vernünftige Mensch zu entziehen hat. Aber weder die Reduktion auf Gefühlsduselei noch eine Missachtung aller Regungen, die wir in unserem Herzen vernehmen können, werden dem gerecht, was das Herz ist.
Im Alten Testament nimmt das Herz des Menschen eine zentrale Stellung ein. Das Lexem „leb“ für „Herz“ ist der häufigste anthropologische, also dem Menschen zugeordnete Begriff. Wenn die Schrift vom Menschen redet, redet sie vorrangig von seinem Herzen. Dabei versteht der Hebräer unter Herz nicht nur ein Muskelorgan, es ist auch weit mehr als der Sitz der Gefühle. In der Hl. Schrift denkt und versteht ein Mensch mit dem Herzen, aber auch das Fühlen, Entscheiden und Wollen spielt sich dort ab. Das Herz steht für die personale Mitte des Menschen, von hier aus orientiert und organisiert er sein Leben. Auf Grund der Fülle an Zuständigkeiten und Fähigkeiten des menschlichen Herzens ist es nicht verwunderlich, dass unser Herz an Vielem haften kann.
HerzHaft – wovon lässt sich ein Herz nicht alles in Haft, mitunter sogar gefangen, nehmen? Werfen wir einen Blick auf die Figur des Tannhäusers aus der Wagneroper. Zunächst genießt Tannhäuser die rauschvolle Erfahrung einer sinnlichen, lustvollen Liebe in vollen Zügen. Bald aber wird er ihrer überdrüssig. Der Venusberg ödet ihn regelrecht an, weil er dort keine Erfüllung erfährt. Der Mensch greift nach vielem, aber nur weniges stellt ihn zufrieden. Wenn das Zentrum des Menschen im Herzen liegt, dann liegt dort auch der Schlüssel, wenn es darum geht die rechte Balance zwischen Mangel und Überfluss zu finden. Wie können wir das wählen, was unser Herz nachhaltig nährt? In der ignatianischen Tradition gibt es ein Kennzeichen für die Wahl einer guten Entscheidung. Wenn die nervenaufreibende Phase des Abwägens von Für und Wider vorbei ist und die Unterscheidung der Geister zu einem Entschluss führt, der Frieden im Herzen erzeugt, so bezeugt dieser Friede eine gut getroffene Wahl.
Was kann unser Herz zufriedener machen? Drei Hilfen möchte im Folgenden beleuchten:
1. Lernen zu verkosten
HerzHaft - das lässt uns vielleicht in diesen Tagen vor allem den Gänsebraten in Erinnerung rufen. Und je nach der Menge, die wir davon gekostet haben, sind es vielleicht bessere oder schlechtere Erinnerungen. Manchmal ist es eine Gradwanderung, die uns Erfüllung oder Verderben bringt.
Ebenso bedeutet ein das Anhäufen von Gefühlen, Gedanken und Erlebnissen im Herzen nicht, dass unser Herz erfüllt ist. Gut gefüllt, ist nicht erfüllt! Entscheidend ist, wieviel wir von dem, was wir konsumieren und aufnehmen, überhaupt auch wahrnehmen können, ja verkosten können. Weniger ist da oft mehr. Dieses Prinzip entdecken wir in jeder Fastenzeit. Mitunter verschwindet das Verlangen nach einem bestimmten Konsumgut nach einer Zeit des Verzichts sogar ganz. Manche machen Heilfasten und schwärmen danach vom ersten Apfelbissen, als ob es die erlesenste teuerste Speise wäre, weil sie das gewöhnlichste Nahrungsmittel ganz neu zu genießen wissen. Auch Gedanken und Ideen werden dann kostbar, wenn wir sie in unser Sein und Handeln zu integrieren wissen. Von dort her können sie Frucht bringen. Nehmen Sie das auch als Anregung aus diesem Gottesdienst mit. Sie haben eine Fülle gehört, aber vielleicht hat ein Satz ihr Herz mehr berührt als alles andere. Vielleicht wollen Sie sich nur diesen einen Gedanken notieren, um ihn im Alltag verkosten.
2. Alles im Herzen ordnen
In unserem Herzen schlägt eigentlich alles auf, womit wir uns beschäftigen und was uns widerfährt. Nur einen Teil davon können wir bewusst steuern. Wir können wählen, ob wir viel oder wenig Fernsehen, im Internet surfen oder Nachrichten hören, wir können zum großen Teil auch wählen, was wir lesen und konsumieren. Hinzu treten die Ereignisse im Leben, die uns einfach treffen. Manche davon haben wir herbeigesehnt oder sie bereichern uns unmittelbar, auf andere Erfahrungen würden wir gerne verzichten. Wenn ein Mensch viel, vielleicht zu viel auf einmal zu bewältigen hat oder wenn die Beziehung zum Partner auf der Kippe steht, dann geht das oft mit der Aussage einher: „Ich muss mich erst sortieren, ehe ich dies oder jenes tun oder sagen kann.“
Wir haben das neue Jahr gestern mit dem Hochfest der Gottesmutter Maria begonnen. In ihr haben wir eine Meisterin dieses inneren Sortierens. Selbst die schwierigsten Fälle bekommt sie gelöst. Im Bistum Augsburg ist sie uns deshalb auch als Knotenlöserin ans Herz gewachsen. Ein Vers aus dem gestrigen Lukasevangelium bringt besonders schön und konzentriert zum Ausdruck, wie Maria mit dem umgeht, was ihr im Leben widerfährt: „Maria aber bewahrte alles, diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.“ (Lk 2,19) Alles, was sich in den letzten Monaten ereignet hat, muss sie in ihrem Herzen abwägen und ordnen oder mit Fridolin Stier gesprochen: „sie muss es in ihrem Herzen zusammenfügen“. Maria hat viel erlebt: die Botschaft des Engels, die Begegnung mit Elisabeth, die beschwerliche Reise mit Joseph nach Betlehem, wo sie in einem ärmlichen Stall den verheißenen Königssohn zur Welt bringt und schließlich die Huldigung der Hirten. Die Art und Weise wie Maria mit dem Wunder der Menschwerdung umgeht, ist keine Geheimniskrämerei, sondern ein Vorgang, die Ereignisse in ein sinnvolles Ganzes zu fügen. Zu einer inneren Ordnung zu finden, kann uns davor bewahren, dass wir im Außen, in der Oberflächlichkeit verloren gehen.
3. Dem Herzen Jesu anhaften
Noch etwas hat sich in Maria zusammengefügt: Gott und Mensch haben sich in ihr zu einem Herzen vereint. Es ist das Herz Gottes, das für uns im menschlichen Herzen Jesu schlägt. Gott wird Mensch. Das ist das größte Event der Menschheitsgeschichte. Es geht einher mit der Verkündigung des Friedens durch die Engel. Vom Herzen Jesu geht Ruhe aus. Das durfte der Heilige Augustinus in seinem Leben erfahren, nachdem er im Hin und Her der Leidenschaften nicht gefunden hat, was er gesucht hat. Und wer von uns kennt nicht Phasen, in denen einen etwas umtreibt? Nicht selten bekommt das Umfeld dann unsere Nervosität und Aggression zu spüren, bis hin zu jenem rücksichtslosen Schneller, Höher, Weiter, das zu Ausbeutung und Krieg führt. Von einem zufriedenen Herzen hingegen geht weder Neid noch Gewalt aus. Der heilige Augustinus aus dem vierten Jahrhundert hat mit dem Glauben an Jesus Christus schließlich auch zu einem inneren Frieden gefunden, was die wohl meist zitierte Aussage des Kirchenlehrers zum Ausdruck bringt: „Unruhig ist mein Herz bis es ruht in dir, mein Gott.“ Suche, Sucht und Sehnsucht des Menschen enden am Herzen Gottes. Er kann unseren inneren Mangel und unsere tiefsten Bedürfnisse stillen – nicht alles sofort, aber auf lange Sicht. Wer sich an seinem göttlichen Herzen anhaftet, dessen Herz wird fest und stark.
Das Herz des Christkinds, es will der Welt den Frieden bringen. Beten wir darum, dass die gesamte Menschheit wieder lernt am Herzen Gottes zur Ruhe zu kommen und von dort aus zu verkosten und zu ordnen, was das Leben schenkt.