"Beten verändert"
Liebe Mitbrüder, liebe Gläubige aus nah und fern, Beten verändert. Menschen, die über Jahre, ja ihr ganzes Leben lang gewohnt sind, im Gebet mit Gott zu sprechen, werden davon geprägt: Wir merken an ihrem Gesichtsausdruck, an ihrer Haltung und besonders an ihren Augen, dass sie in dem Bewusstsein leben, dass Gott auf sie schaut.
Ganz sicher ist es auch den Jüngern Jesu so gegangen: Das Evangelium des heutigen Sonntags erzählt uns, wie Jesus vom Gebet zurückkommt – er hat sich nie beim Gebet zuschauen lassen, denn das war seine ganz persönliche Zeit mit dem Vater –, doch einer der Jünger bittet ihn: Herr, lehre uns beten! Wie schön, dass dieser Jünger seinem inneren Impuls nachgegeben hat! Vielleicht sah er den göttlichen Schimmer auf dem Gesicht Jesu, weil er sensibler war als die anderen, weil er sich selbst nach einer innigen Gottesbeziehung sehnte…
Und Jesus lässt sich nicht lange bitten, er erfüllt den Wunsch des Freundes sofort – ja sogar noch mehr: er erklärt auch noch mit zwei Gleichnissen, was für ihn und für den Vater im Himmel echte Beziehung ist, echte Freundschaft, nämlich, dass man den Freund nicht im Regen stehen lässt! Für Freunde kann es keine ungünstige Situation geben oder ein Vertrösten auf später. Ein Freund ist da, semper paratus – immer bereit, zuzuhören und zu helfen. Von dieser ganz menschlichen Erfahrung geht Jesus aus, wenn er seine Jüngerinnen und Jünger einlädt, sich in jeder Situation an den Vater zu wenden. Gott hat keine festgelegten Sprechstunden und in der übrigen Zeit ist der Anrufbeantworter eingeschaltet. Der Gott Jesu Christi ist immer auf Empfang: „Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet“ (Lk 11,9).
Warum fällt es uns nur so schwer, das wirklich zu glauben? Weil wir in unserem Leben oft schon eine Schlange statt einem Fisch und einen Skorpion statt einem Ei bekommen haben? Weil wir nicht mehr an das Gute im Mitmenschen, ja vielleicht sogar in uns selbst glauben können, und deshalb auch Gott nichts mehr zutrauen? ich lade Sie ein, sich darüber einmal Gedanken zu machen. Wahrscheinlich sind es ganz persönliche Gründe, die unserem Vertrauen in Gott entgegenstehen. Halten wir sie ehrlich Gott hin, lassen wir uns heilen von IHM, unserem Heiland, dem Salvator und Retter unserer Seele!
Was ist nun Jesus wichtig? Worauf legt er beim Gebet Wert? Er hat uns ja auch gesagt, dass wir, wenn wir beten, nicht viele Worte machen (Mt 6,7), also nicht um den heißen Brei herumreden brauchen. Gott ist kein Herrscher, vor dessen Willkür und spontanen Wutausbrüchen wir Angst haben müssten – im Gegenteil: Er weiß ja längst, um was wir bitten, wie ein guter Vater und eine gute Mutter, die ihr Kind kennen und am Gesichtsausdruck schon sehen, wenn es bedrückt und niedergeschlagen ist.
Der Evangelist Lukas überliefert uns die Kurzversion des VaterUnsers. Es ist ein Gebet, das - wie die zehn Gebote - im Himmel, bei Gott ansetzt und dann zu den Menschen übergeht. Das ist die richtige Reihenfolge. Wenn wir beten, sollten wir unseren Geist zu Gott erheben, Abstand gewinnen zu dem oft hitzigen, staubigen Alltag. Wenn wir uns bemühen, frei zu werden, von allem, was uns bedrängt, wenigstens zwei bis drei Atemzüge lang wirklich ausatmen, dann können wir Gottes Nähe einatmen. Ins Gebet kann man nicht einfach so hineinstolpern wie in ein Haus ohne Tür. Jesus lädt uns ein, zu realisieren, was in vielen Synagogen – auch in der Augsburger Hauptsynagoge - über dem Toraschrein steht: Wisse, vor wem Du stehst.
Vater, geheiligt werde dein Name – das heißt: Dein Name, o Gott, ist wichtiger als meiner. Mein Leben hat einen Auftrag, nämlich von Gott, dem Vater aller, so Zeugnis abzulegen, dass die Ehrfurcht vor IHM aufkeimen und wachsen kann.
Dein Reich komme – Gottes Reich ist anders als die Reiche, die Menschen errichten. Sie sind nicht selten auf Krieg, Gewalt und Zerstörung gegründet. Gottes Reich ist ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit. Nähren wir in uns die Sehnsucht danach, wie es in den Seligpreisungen heißt: Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, selig sind die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich (Mt 5,6.3).
Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen!: Nicht mehr, aber bitte auch nicht weniger. Lass uns nicht verschwenderisch mit Lebensmitteln umgehen, während bereits jetzt über 800 Millionen Menschen akut vom Hungertod bedroht sind. Wer heute das VaterUnser betet, sollte auch überlegen, wie er der Notleidenden dieser Welt helfen kann.
Und erlass uns unsere Sünden;/ denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist: Dies ist vielleicht die Bitte im VaterUnser, die uns selbst immer wieder einmal die Schamesröte ins Gesicht treibt. Wenn ich genau hinhöre, setzt die zwischenmenschliche Versöhnung die göttliche voraus. Erst soll ich denen verzeihen, die sich an mir versündigt haben, dann kann ich kommen und Gott um Verzeihung meiner Schuld bitten. Ist das nicht utopisch? Ich weiß ja, dass nur so Frieden möglich ist – aber wer hat die Kraft, wirklich so zu handeln?
Ja, hier gilt, was der Autor des „Kleinen Prinzen“, Antoine de Saint-Exupéry, einmal gesagt haben soll: Man muss lange leben, um ein Mensch zu werden. - In der Regel sind uns aber Menschen, die ohne Zögern und in aller Bescheidenheit zugeben, sich verrannt oder im Ton vergriffen zu haben, erst recht sympathisch. Gleichzeitig will es gelernt sein, in rechter Weise um Verzeihung zu bitten. Meine Empfehlung, besonders für junge Menschen, ist da immer: Entschuldige Dich, bevor Du recht weißt, ob es Dein Fehler war, denn dann ist es noch am leichtesten! Je länger man nämlich wartet und nachdenkt, desto schwerer fällt einem die Entschuldigung, das kennen wir alle.
Und führe uns nicht in Versuchung: Der hl. Franziskus von Assisi, der uns eine VaterUnser-Auslegung hinterlassen hat, fügt hinzu: „…in keine verborgene oder offenkundige, unvermutete oder ungestüme“ – und er wusste, wovon er sprach. Jeder Mensch, der sich existentiell, mit seinem ganzen Wesen zu Gott hinkehrt und beginnt, das Evangelium in kleinen Schritten in die Tat umzusetzen, erfährt, dass sich urplötzlich Schwierigkeiten ergeben, Rückschläge und Misserfolge sich häufen, Zweifel auftreten: Was mache ich denn da?
Der hl. Franziskus musste es sich gefallen lassen, dass man ihn für verrückt erklärt hat, ihn mit Steinen aus der Stadt Assisi vertrieben hat – die er doch als seine Heimat so sehr liebte! Wer sich auf die Seite Gottes stellt, wer das VaterUnser lebt, der macht die bittere Erfahrung, dass er nicht mehr zum Mainstream gehört – im schlimmsten Fall ist er ein Outlaw, schutzlos dem Gespött und dem Hass der Menschen ausgesetzt, wie Jesus selbst, den man vor die Tore der Stadt schleifte, um ihn zu kreuzigen…
Beten wir das VaterUnser in diesem Ernst und im Vertrauen darauf, dass Gott unser bester Freund ist! Amen.