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Wichtiges
Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier zum Schweizer Nationalfeiertag in der Pfarrei Leuk/Wallis

In Gottes Namen Amen

01.08.2022

Lieber Herr Pfarrer Noti, liebe Schwestern und Brüder, ich danke Ihnen, Herr Pfarrer Noti, herzlich für die Einladung, heute den Gottesdienst mit Ihrer Gemeinde feiern zu dürfen, an Ihrem höchsten staatlichen Feiertag. Es ist für mich eine Ehre und zugleich ein brüderlicher Dienst, den ich gerne übernommen habe. Ich bin sehr gerne Gast in dieser grandiosen Landschaft, die den Menschen, die hier seit Jahrhunderten leben, sicher viel geschenkt, aber nicht wenig abverlangt hat. Eine Landschaft, in der man sich Gott näher fühlt und sich zugleich der eigenen Grenzen sehr bewusst wird. Sie feiern heute den Tag, an dem die drei Urkantone nach Erfahrungen von Krieg und Leid beschlossen haben, sich gegenseitig Unterstützung zuzusagen und vor allem: den Frieden zu gewährleisten. In der aktuellen Situation in Europa wissen wir dies neu zu schätzen. Denn zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten ist der Krieg wieder sehr nahe gerückt.

Wie sehr sich Menschen, die unter schlimmen Verhältnissen leben, nach Veränderung sehnen – davon sprechen auch die beiden Lesungstexte, die wir soeben gehört haben. Auf den ersten Blick scheinen sie nicht zusammenzupassen: Da wünscht sich auf der einen Seite ein Prophet namens Hananja die Befreiung vom Joch der Unterdrückung und ist überzeugt, dass es Gottes Wille ist, das Volk von der Knechtschaft zu erlösen. Er wird aber von Jeremia, demjenigen unter den alttestamentlichen Propheten, der am meisten mit seinem Volk mitgelitten hat, erkennbar ausgebremst. Der ahnt nämlich intuitiv: Noch ist es nicht soweit. Hananja stellt mit seiner Botschaft Gott unter Zugzwang, er führt ein Täuschungsmanöver durch - und das bekommt weder ihm noch dem Volk. Lapidar kommentiert Jeremia: „An der Erfüllung des prophetischen Wortes erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.“ (Jer 28,9).

Ein Wort, das auch heute gilt, wo vielfach der Bevölkerung nach dem Munde geredet und Versprechungen gemacht werden, die nicht realistisch und umsetzbar sind. Die Quintessenz dieser alttestamentlichen Episode lautet: Nicht abheben und Luftschlösser bauen oder gar Fake News verbreiten, sondern auf dem Boden bleiben, sich für Verständigung einsetzen und die Hoffnung nicht aufgeben.

Und wie zur Ermutigung wird uns im Matthäusevangelium die Speisung der Fünftausend in Erinnerung gerufen. Auch hier eine ähnliche Ausgangssituation: Das Volk Israel stöhnt unter der Besatzung der Römer und ihrer Willkürherrschaft. Menschen sind bedürftig, sie haben Hunger und Durst, leiblichen Hunger, aber sicher auch Hunger nach einer positiven Zukunftsperspektive, nach Anerkennung und Zuspruch, nach Wegweisung – ja, Transzendenz. Und Jesus weiß, dass das eine ohne das andere nicht gestillt werden kann. „Zuerst kommt das Fressen und dann die Moral“ äußerte frech, aber treffend der Dichter Bert Brecht, gebürtig aus meiner Bischofsstadt Augsburg.

Doch hier geschieht das Wunder: Aus wenigem wird so viel, dass alle sattwerden und sogar noch übrigbleibt. Warum hat es denn jetzt „funktioniert“? Was ist um das Jahr 30, während der Regierung des römischen Kaisers Tiberius, anders als zur Zeit des Tyrannen Nebukadnezzar?

Im Evangelium werden namenlose Menschen vorgestellt, beim Evangelist Johannes ist es sogar ausdrücklich ein kleiner Junge (Joh 6,9), der Jesus freiwillig alles gibt, was er hat: fünf Brote und zwei Fische. Dieses rückhaltlose Vertrauen kann Jesus, kann Gott umwandeln in ein Wunder, in die Sättigung von Tausenden. Mehr braucht es nicht und doch fällt es uns Menschen oft so schwer, auch nur ein Quäntchen Hoffnung in das Gebet zu setzen, Gott unser Schicksal voll und ganz anzuvertrauen und mehr von ihm zu erwarten als von uns selbst.

„Die Versuchung erklärt das Zeitliche zum Ewigen, das Offene zum Fertigen. Den Ausschnitt sieht sie als Ganzes“, gibt der spirituelle Autor Thomas Schwaiger zu bedenken. Dieser Versuchung ist der Prophet Hananja erlegen und bis heute erliegen ihr Unzählige. Sie können es nicht erwarten, bis sich ein „Zeitfenster“ für Veränderung auftut. Sie wollen jetzt erzwingen, was sich nicht von allein einstellt, es soll gewaltsam herbeigeführt werden. Geht es uns nicht oft ähnlich? Gebeutelt von der Pandemie und seit bald einem halben Jahr von den globalen Folgen des Ukrainekrieges betroffen, ohne dass wir sehr viel mehr tun können als die Not der Flüchtlinge zu lindern, Sanktionen gegen den Aggressor zu verhängen und den Menschen in Notwehr Waffen zu liefern. Eröffnen wir aber auch einen Raum für das Eingreifen Gottes in unsere begrenzte Wirklichkeit? Wie offen sind wir denn wirklich für Wunder, die kleinen Wunder des Alltags und die großen der Weltgeschichte?

Wenn Sie, liebe Gemeinde, heute Ihren Nationalfeiertag begehen und sich an die Anfänge der Eidgenossenschaft erinnern, dann überwiegt wohl vor allem die Dankbarkeit - dass das, was vor bald 800 Jahren (1291) im Bundesbrief besiegelt worden ist, durch die Zeitläufte bis heute überdauert hat; dass es immer wieder modifiziert, aber doch in der Substanz erhalten geblieben ist. Ihre Ahnen, Männer wie Frauen, stellten sich dabei bewusst unter den Schutz Gottes. Denn der Bundesbrief beginnt mit den Worten: In nomine Domini Amen. Damit ist alles gesagt, was auch heute genügt: Ich wünsche Ihnen, dass Sie „im Namen des Herrn“ aufrichtig und kreativ fortführen, was diesem Land durch die Jahrhunderte den Frieden erhalten hat: Bleiben wir dankbar für echte Sternstunden der Menschheit wie die Gründung der Eidgenossenschaft, den Fall der Berliner Mauer und die samtene Revolution von 1989 und erliegen wir nicht der Versuchung, „das Zeitliche zum Ewigen“ zu erklären und zum Maß aller Dinge zu machen. Halten wir den Himmel offen. Machen wir auch unser eigenes Leben durchlässig für das Wirken Gottes, wie die großzügigen Menschen im Evangelium: Sie schenken freimütig und ohne Hintergedanken ihr Weniges, um für unzählige andere zum Segen zu werden. Amen.

 

Ins Deutsche übersetzt, lautet der Text des Bundesbriefes:

«In Gottes Namen Amen. Das öffentliche Ansehen und Wohl erfordert, dass Friedensordnungen dauernde Geltung gegeben werde. – Darum haben alle Leute der Talschaft Uri, die Gesamtheit des Tales Schwyz und die Gemeinde der Leute der unteren Talschaft von Unterwalden im Hinblick auf die Arglist der Zeit zu ihrem besseren Schutz und zu ihrer Erhaltung einander Beistand, Rat und Förderung mit Leib und Gut innerhalb ihrer Täler und ausserhalb nach ihrem ganzen Vermögen zugesagt gegen alle und jeden, die ihnen oder jemand aus ihnen Gewalt oder Unrecht an Leib oder Gut antun. – Und auf jeden Fall hat jede Gemeinde der andern Beistand auf eigene Kosten zur Abwehr und Vergeltung von böswilligem Angriff und Unrecht eidlich gelobt in Erneuerung des alten, eidlich bekräftigten Bundes, – jedoch in der Weise, dass jeder nach seinem Stand seinem Herren geziemend dienen soll. – Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldeswert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landmann ist, annehmen sollen. – Entsteht Streit unter Eidgenossen, so sollen die Einsichtigsten unter ihnen vermitteln und dem Teil, der den Spruch zurückweist, die anderen entgegentreten. – Vor allem ist bestimmt, dass, wer einen andern böswillig, ohne Schuld, tötet, wenn er nicht seine Unschuld erweisen kann, darum sein Leben verlieren soll und, falls er entwichen ist, niemals zurückkehren darf. Wer ihn aufnimmt und schützt, ist aus dem Land zu verweisen, bis ihn die Eidgenossen zurückrufen. – Schädigt einer einen Eidgenossen durch Brand, so darf er nimmermehr als Landmann geachtet werden, und wer ihn in den Tälern hegt und schützt, ist dem Geschädigten ersatzpflichtig. – Wer einen der Eidgenossen beraubt oder irgendwie schädigt, dessen Gut in den Tälern soll für den Schadenersatz haften. – Niemand soll einen andern, ausser einen anerkannten Schuldner oder Bürgen, pfänden und auch dann nur mit Erlaubnis seines Richters. – Im übrigen soll jeder seinem Richter gehorchen und, wo nötig, den Richter im Tal bezeichnen, vor dem er zu antworten hat. – Gehorcht einer dem Gericht nicht und es kommt ein Eidgenosse dadurch zu Schaden, so haben alle andern jenen zur Genugtuung anzuhalten. – Entsteht Krieg oder Zwietracht zwischen Eidgenossen und will ein Teil sich dem Rechtsspruch oder der Gutmachung entziehen, so sind die Eidgenossen gehalten, den andern zu schützen. – Diese Ordnungen sollen, so Gott will, dauernden Bestand haben. Zu Urkund dessen ist auf Verlangen der Vorgenannten diese Urkunde gefertigt und mit den Siegeln der drei vorgenannten Gemeinden und Täler bekräftigt worden. Geschehen im Jahre des Herrn 1291 zu Anfang des Monats August.»

– Quellenwerk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft Abt. 1, Urkunden Bd. 1, Aarau 1933

Das lateinische Original lautet:

«In nomine domini amen. Honestati consulitur et utilitati publice providetur, dum pacta quietis et pacis statu debito solidantur. Noverint igitur universi, quod homines vallis Uranie universitasque vallis de Switz ac communitas hominum Intramontanorum Vallis Inferioris maliciam temporis attendentes, ut se et sua magis defendere valeant et in statu debito melius conservare, fide bona promiserunt invicem sibi assistere auxilio, consilio quolibet ac favore, personis et rebus, infra valles et extra, toto posse, toto nisu contra omnes ac singulos, qui eis vel alicui de ipsis aliquam intulerint violenciam, molestiam aut iniuriam in personis et rebus malum quodlibet machinando. Ac in omnem eventum quelibet universitas promisit alteri accurrere, cum necesse fuerit, ad succurrendum et in expensis propriis, prout opus fuerit, contra impetus malignorum resistere, iniurias vindicare, prestito super hiis corporaliter iuramento absque dolo servandis antiquam confederationis formam iuramento vallatam presentibus innovando. Ita tamen, quod quilibet homo iuxta sui nominis conditionem domino suo convenienter subesse teneatur et servire. Communi etiam consilio et favore unanimi promisimus, statuimus ac ordinavimus, ut in vallibus prenotatis nullum iudicem, qui ipsum officium aliquo precio vel peccunia aliqualiter comparaverit vel qui noster incola vel conprovincialis non fuerit, aliquatenus accipiamus vel acceptamus. Si vero dissensio suborta fuerit inter aliquos conspiratos, prudenciores de conspiratis accedere debent ad sopiendam discordiam inter partes, prout ipsis videbitur expedire, et que pars illam respueret ordinationem, alii contrarii deberent fore conspirati. Super omnia autem inter ipsos extitit statutum, ut, qui alium fraudulenter et sine culpa trucidaverit, si deprehensus fuerit, vitam ammittat, nisi suam de dicto maleficio valeat ostendere innocenciam, suis nefandis culpis exigentibus, et si forsan discesserit, numquam remeare debet. Receptatores et defensores prefati malefactoris a vallibus segregandi sunt, donec a coniuratis provide revocentur. Si quis vero quemquam de conspiratis die seu nocte silentio fraudulenter per incendium vastaverit, is numquam haberi debet pro conprovinciali. Et si quis dictum malefactorem fovet et defendit infra valles, satisfactionem prestare debet dampnificato. Ad hec si quis de coniuratis alium rebus spoliaverit vel dampnificaverit qualitercumque, si res nocentis infra valles possunt reperiri, servari debent ad procurandam secundum iusticiam lesis satisfactionem. Insuper nullus capere debet pignus alterius, nisi sit manifeste debitor vel fideiussor, et hoc tantum fieri debet de licencia sui iudicis speciali. Preter hec quilibet obedire debet suo iudici et ipsum, si necesse fuerit, iudicem ostendere infra [valles], sub quo parere potius debeat iuri. Et si quis iudicio rebellis exstiterit ac de ipsius pertinatia quis de conspiratis dampnif[i]catus fuerit, predictum contumacem ad prestandam satisfactionem iurati conpellere tenentur universi. Si vero guerra vel discordia inter aliquos de conspiratis suborta fuerit, si pars una litigantium iusticie vel satisfactionis non curat recipere complementum, reliquam defendere tenentur coniurati. Suprascriptis statutis pro communi utilitate salubriter ordinatis concedente domino in perpetuum duraturis. In cuius facti evidentiam presens instrumentum ad peti[ci]onem predictorum confectum sigillorum prefatarum trium universitatum et vallium est munimine roboratum. Actum anno domini m° cc° Lxxxx° primo incipiente mense Augusto.»