„Caritas als Visitenkarte der Kirche“
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Caritasverbandes! Liebe Schwestern und Brüder in Christus! „Der hat wohl einen Dachschaden!“ So kommt es uns über die Lippen, wenn wir auf saloppe Weise ausdrücken wollen, dass jemand nicht ganz bei Verstand ist, wenn jemand etwas getan oder geäußert hat, was einem missfällt. Verweilen wir mit Blick auf das heutige Evangelium einmal bei denjenigen Personen, die augenscheinlich einen solchen „Dachschaden“ haben, zumindest einen solchen verursacht haben. Das Vorgehen der vier Freunde des Gelähmten erscheint uns als ungewöhnlich, ja geradezu als verrückt, als unerhört. Aufgrund des hohen Andrangs der Leute haben sie kurzerhand improvisiert. Nichts schreckt sie davon ab, dem Hausherrn aufs Dach zu steigen, es abzudecken und ein Loch durch den Putz zu schlagen. Damit dürften sie sich nicht beliebt gemacht haben. Hausfriedensbruch einhergehend mit schwerer Sachbeschädigung – so würden die rechtskundigen Caritas-Mitarbeitenden unter Ihnen urteilen.
Wenn wir ehrlich sind: Wir alle wollen ein Dach über dem Kopf haben, das dicht ist. Zugleich können wir darin ein Sinnbild dafür sehen, ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit zu führen, ein Leben wasserdicht abgesichert. Dieses Bedürfnis kennen wir alle; es ist mehr als verständlich. Viele der angepriesenen Lebens- und Unfallversicherungen helfen dabei das Restrisiko kalkulierbar zu halten. Im Gegensatz dazu steht die heutige Erzählung, nicht zuletzt Jesus selbst: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20), so lesen wir beim Evangelisten Matthäus. In der Nachfolge Jesu Christi geht es also nicht um Bequemlichkeiten, um Sicherheiten. Es geht, wie Jesus es radikal vorgelebt hat, in der Jüngerschaft um das unbedingte Vertrauen in Gottes Führung und Hilfe. Uns Christen war und ist stets bewusst: Wir sind nur Gast auf Erden, Fremde dieser Welt (vgl. 1 Petr 2,11). Da lässt sich nicht jedes Risiko ausschalten: Wer sein Leben mit Gott berechnen will, wird nicht mit ihm rechnen können! Insofern gilt: Haben wir den „Mut zum Dachschaden“. Öffnen wir unser „inneres Dach“, um sein Licht einzulassen. Suchen wir, ja wagen wir immer wieder die letztlich befreiende, heilende Nähe Jesu.
Nehmen wir uns, gerade in unserem karitativen Wirken, die vier verwegenen Freunde als Vorbild. Der Gelähmte hat ein Beziehungsnetz, eine tragfähige Gemeinschaft, Menschen, die für ihn da sind, die nicht aufgeben, wo er schon aufgegeben hat. Die ihm zeigen: Du bist uns wichtig, Du bist uns ans Herz gewachsen. Ihr Tun zeichnet sich durch Kreativität und Innovation aus: Sie bieten neue Öffnungen und ihr Glaube schafft Veränderung. Sie kümmern sich nicht darum, was die versammelte Menge sagen könnte. Sie verfolgen nur ein Ziel, dafür setzen sie alle Hebel in Bewegung: Der kranke Freund muss zu Jesus. Fragen wir uns selbst: Wie entschlossen sind wir in unserem christlichen Handeln? In unserem Bekenntnis? Wie innovativ sind wir bei der Caritas?
Die öffentliche Meinung, das Klima gegenüber Kirche ist kritisch. Es ist eine üble Gewohnheit geworden, bei dem Wort „Kirche“ nur an Krise und Kritik zu denken statt an das viele Gute, das sie - gerade im Bereich der Caritas - bewirkt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Kritik ist wichtig, damit Kirche nicht erstarrt, weder träge wird noch bequem. Dabei aber darf die Kritik(sucht) die Glaubensfreude nicht ersticken. Bestrebungen von Reformen, Erneuerung von Kirche müssen einhergehen mit einem „Fühlen mit der Kirche“, müssen Maß nehmen am „Diktat der Liebe“. Bei allen derzeitigen Problemen und Herausforderungen, vor denen wir auch innerkirchlich stehen, ist es für mich tröstlich zu wissen, dass die Grundfesten des Glaubens unverrückbar stehen: Gott hat uns geliebt. Sein Versprechen war kein vorschneller Versprecher! Er steht zu uns, zu seiner Kirche.
Wenn wir weiter auf den Text aus dem Markusevangelium schauen, dann finden wir weitere interessante Details: Auffallend ist die unerwartete Reaktion Jesu, der dem Gelähmten zunächst die Sünden vergibt und nicht, wie wir es erwarten würden, ihm seine Heilung, seine Genesung gewährt. Jesus hat dabei den ganzen Menschen im Blick – die seelische und körperliche Heilung! Beides hängt zusammen. Durch den Zuspruch Jesu steht der Gelähmte geheilt auf. Aufstehen, auferstehen entspringen demselben Wortstamm. Die Ereignisse verweisen damit auch darauf, wer Jesus ist und was noch kommen wird.
Weil Gott das Heil des Menschen will, hat er seinen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt. Jesu Tun hat letztlich seinen Ursprung in der Liebe, die der Liebe zum Vater entspringt. Durch Gottes Liebe sind wir, was wir sind. Aufgabe der Kirche ist es, Kunde von der gottmenschlichen Liebesbeziehung zu geben. Insofern hängen Gottes- und Nächstenliebe eng zusammen. Persönlich fromm sein oder die religiösen Pflichten tun, ist zu einseitig. Nur die Bereitschaft zum Dienst am Nächsten macht einen, wie es der kürzlich verstorbene Papst Benedikt XVI. in seiner Programmschrift über die christliche Liebe, „Deus caritas est“ (2005), ausgedrückt hat, „auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt.“ (DCE 18)
Ihr Mitwirken gilt damit, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas, nicht nur einem Verband mit Satzung, Organigramm und Struktur. Freilich muss es das auch geben, doch wenn das alles ist? Diese Frage stellt sich mir immer wieder und aktuell gerade mit Blick auf die erfolgte Überarbeitung und Inkraftsetzung des neuen kirchlichen Arbeitsrechts, mit dem ein grundlegender Perspektivwechsel vollzogen wird. Kurz vor Weihnachten habe ich es bereits vor den Mitarbeitenden des Ordinariates ausgeführt: Statt der Loyalitätspflichten des Beschäftigten gegenüber der Kirche wird nun mehr Wert gelegt auf die Verpflichtungen des Dienstgebers gegenüber den Beschäftigten. Katholische Einrichtungen sollen ihre Katholizität nicht daraus ziehen, dass die Mitarbeitenden kirchlichen Moralanforderungen auch im Privatleben genügen. Verständlich: Denn Moral lässt sich nicht mit Rechtsmitteln durchsetzen. Doch es bleibt die Frage nach dem Profil der Kirche. Kirchliche Einrichtungen sind dann kirchlich, wenn ein besonderer Geist für die Verwirklichung der Ziele des Evangeliums herrscht. Wer an diesen Zielen mitwirken will, soll das auch können. Dabei stehen wir – als Dienstgemeinschaft – gemeinsam im Dienst für Gott und Mensch. Sonst hat Kirche keinen Sinn, sonst können wir, ich sage es deutlich, den Laden schließen, weil wir nur eine Firma sind.
So ermuntere ich Sie: Bitte zeigen Sie den „Mehrwert“ der Caritas! Durch ihr vertrauenswürdiges Wirken, ihr konkretes Tun – ob im administrativen Bereich, in der Beratung Notleidender, in der Pflege Kranker, in der Begleitung von Menschen – sind Sie an den diversen Fachstellen und Einsatzgebieten, an den unterschiedlichen Orten die „Visitenkarte der Kirche“. Durch Ihr professionelles und überzeugendes Wirken erhält die Kirche ihr konkretes Antlitz, sie geben der Menschlichkeit ein Gesicht. Sie sind mehr als ein sozialer Träger, sie geben der Liebe Gottes Hand, Fuß und Herz. Für ihren unermüdlichen, steten Einsatz danke ich Ihnen an dieser Stelle von ganzem Herzen!
Ein bewegtes und herausforderndes Jahr liegt hinter uns. Das caritative Wirken der Kirche war gerade durch die diversen weltweiten Krisen und ihre Auswirkungen in besonderer Weise gefordert; so wird es auch im noch jungen Jahr 2023 bleiben. Innerkirchlich wird es spannend, wie sich die Dinge - nicht zuletzt durch die derzeit laufenden synodalen Prozesse - entwickeln werden. Bei alledem wünsche ich uns, dass wir in unserem Leben und Wirken immer wieder erfahren, wie der gemeinsame Glaube trägt und der Zuspruch Gottes aufrichtet, was menschliche Zuwendung bewirkt und welche verändernde Kraft Gottes Liebe in uns und für andere hat. Nochmals „Vergelt’s Gott“!