Die Kirche im Dorf – Das Dorf in der Kirche
„Juble und freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte.“ (Sach 2,14) Die Kirche soll ich Dorf bleiben. Darauf wird oft gepocht, wenn Politiker Schulstandorte anzweifeln oder durch eine Gebietsreform über lange Jahre gewachsene Infrastrukturen umkrempeln. Auch in der Diözese ist zu hören: Die Kirche muss im Dorf bleiben.
Die dünne Personaldecke ebenso wie sinkende finanzielle Ressourcen haben auch Verantwortlichen in zahlreichen Bistümern dazu geführt, die Seelsorgeeinheiten immer größer zu machen, die einzelnen Pfarreien auf Pfarreiengemeinschaften auszudehnen und zu strecken oder gar einst autonome Gemeinden zu fusionieren. Als mein Vorgänger im Bischofsamt den dringenden Rat gab, die Leute sollten sich am Sonntag ins Auto setzen, um ein paar Kilometer zur Sonntagsmesse zu fahren, war schnell Feuer auf dem Dach. Was bildet sich denn der Bischof ein: Die Kirche muss im Dorf bleiben!
Der heutige Tag zeigt, dass die Kirche im Dorf bleibt. Welche Folgen das hat, darüber möchte ich mit Ihnen allen ein wenig nachdenken.
Die Kirche soll im Dorf bleiben. Jedes Dorf hat eine Mitte. Der Dorfplatz, ein Brunnen mit einer Bank zum Ausruhen, vielleicht ein Gasthaus in der Nähe, ein Geschäft – der Dorfladen, wo wir nicht nur einkaufen, sondern auch miteinander ins Gespräch kommen, das Haus der Begegnung, der Kindergarten Farbenfroh. Und nicht zu vergessen hier in Hurlach die Kirche St. Laurentius. Hurlach ist rund um die Kirche gebaut. Auch der Friedhof gehört dazu. Die Kirche ist die Mitte, die das Leben sammeln und innerlich aufbauen soll. So haben wir heute allen Grund zur Freude. Die neue Mitte in der Kirche ist anspruchsvoll gestaltet.
Wenn wir den heutigen Tag feiern, wenn Sie, liebe Gemeinde, sich Altar und Ambo leisten, so werte ich das als Statement. Es stützt mich in der Ausrichtung meiner seelsorglichen Planung: Wenn nicht nötig, möchte ich unsere pastoralen Einheiten nicht noch größer machen, die Räume nicht ausweiten; stattdessen will ich Möglichkeiten eröffnen, dass die Kirche nah bei den Menschen bleibt: Ich bin für eine Kirche der kurzen Wege. Deshalb muss die Kirche im Dorf bleiben. Bitte helfen Sie alle mit! Es liegt nicht nur am Pfarrer, es liegt an Ihnen.
Indem wir das Wort von der Kirche im Dorf etwas variieren, sind wir schnell bei der Redewendung: die Kirche im Dorf lassen. Wir leben in einer delikaten Zeit. Viele sind nervös und unruhig, andere sind verunsichert. Bei den vielen Krisen weiß keiner so recht, wie es ausgehen wird. Mit Corona hat es angefangen, der Ukraine-Krieg folgte und jetzt stellen wir die bange Frage, ob nicht die drohende finanzielle Krise samt Energieknappheit gerade die Schwächeren in Bedrängnis bringen wird. Manches ist am Bröckeln. Vieles trägt nicht mehr – weder in der Gesellschaft noch in der Kirche. Die katholische Kirche schwankt. Es rumort. Autoritäten müssen sich rechtfertigen; Reformprojekte drohen zur Zerreißprobe zu werden. Was einst sicher geglaubt wurde, wird in Zweifel gezogen. Damit wir uns recht verstehen: Ich will die jetzige Situation nicht beschönigen, geschweige denn verharmlosen. Aber wir sollten uns nicht vorschnell in den Sog emotionaler Wellen hineinziehen lassen. Konkret: Geben wir dem Megatrend des Populismus nicht nach! Halten wir den Ball flach, übertreiben wir nicht und achten wir darauf, für oder gegen wen wir auf die Straße gehen! Auf den Punkt gebracht: Nehmen wir die Gefahren und Risiken ernst, aber bewahren wir einen kühlen Kopf! Lassen wir die Kirche im Dorf! Wir haben doch das Versprechen Gottes: „Ich werde in deiner Mitte wohnen. Dann wirst du erkennen, dass der Herr der Heerscharen mich zu dir gesandt hat. (…) Alle Welt schweige in der Gegenwart des Herrn. Denn er tritt hervor aus seiner heiligen Wohnung.“ (Sach 2,15.17)
Wenn die Kirche im Dorf bleiben soll, dann gilt im Umkehrschluss: Das Dorf soll in der Kirche bleiben. Heute ist die Kirche voll. Aber wie sieht es am „normalen“ Sonntag aus? Da wird wohl das Gotteshaus – selbst bei Corona-Abstand – nicht wegen Überfüllung geschlossen sein. Es ist sonnenklar: Die Reihen lichten sich. Wir werden weniger – Katholiken und evangelische Christen. Hinter der sichtbar kleiner werdenden Schar verbirgt sich unsichtbar der Trend, dass immer mehr Menschen sich von den christlichen Kirchen verabschieden. Die einen bleiben fern, die anderen treten aus. Wird es uns gelingen, den Staffelstab des Glaubens an die junge Generation weiterzugeben? Wie die Zukunft der Kirche auch hier in Hurlach aussehen wird, hängt maßgeblich von jedem Einwohner ab. Kommune und Kirche – gemeinsam sind wir stark! Hand aufs Herz: Wann waren Sie vor dem heutigen Fest zum letzten Mal in der Kirche? Wollen Sie wiederkommen? Welchen Beitrag – nicht nur finanziell – haben Sie für die Kirche, für das Leben in der Gemeinde, für die Weitergabe des Glaubens geleistet? An diesem Altar wird in den nächsten Jahrzehnten Eucharistie gefeiert. Vom Ambo aus soll das Wort Gottes verkündet werden. Der Altar ist kein hölzerner Klapptisch, der Ambo ist mehr als ein Lesepult. Ambo und Altar sind in Stein gemeißelt. Sie stehen für Jesus und sein Wort, sie repräsentieren Christus, den Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist (vgl. Ps 118). Ambo und Altar bilden in der Tat ein solides Fundament, damit der Glaube Standfestigkeit und Halt bekommt – gerade in stürmischen Zeiten. Daher meine Einladung: Suchen Sie diese neu gestaltete Mitte in Ihrer Pfarrkirche auf; tasten Sie sich vom Rand zur Mitte vor; ahmen Sie Ihren Patron, den hl. Laurentius, nach, der ein Meister im Dienen und Teilen war. Dass Sie in Hurlach neben dem Pfarrer auch einen Diakon haben, ist ein Ausrufezeichen. Eine Laurentiusgemeinde muss stark sein im Dienen. Das heißt: Teilen wird zum Mitteilen, die hl. Kommunion zur Kommunikation, aus zerstreuten werden um Jesus versammelte und gesammelte Menschen. So wächst Kirche – um die Eine Mitte Jesus Christus.
Deshalb soll die Kirche im Dorf bleiben, und das Dorf soll in der Kirche bleiben. Und wenn es dick kommt und wir die Fassung verlieren, dann denken wir daran, dass wir auch in Zeiten der Verunsicherung die Kirche im Dorf lassen. Was der Prophet Sacharja im Alten Testament voraussagte, das wird in der Offenbarung des Johannes eingelöst: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. (…) Seht, ich mache alles neu.“ (Offb 21,3-5)