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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram beim Festgottesdienst mit den Priesterjubilaren am 21. Juli in St. Ottilien

„Eure Hände wurden gesalbt, nicht Euer Sitzfleisch“

21.07.2022

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Die Frage, die Jesus stellt, ist mutig. Ich muss mit einem Menschen vertraut sein, damit ich ihn fragen kann – womöglich unter vier Augen: „Sag mal, für wen hältst du mich eigentlich? Wer bin ich für dich?“ Jesus geht sogar noch weiter. Es bleibt nicht bei der intimen Zweierbegegnung. Er liefert sich einer ganzen Gruppe aus. Er stellt sich vor seine Apostel: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Diese Frage ist mutig und provokativ zugleich.

Sie soll der Leitfaden sein, der unsere Betrachtung durchzieht: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Mit dieser Frage werden die Jünger damals wie heute PROVOZIERT. Auch wir müssen uns von dieser Frage provozieren lassen. Ihr, liebe Brüder, habt diese Provokation angenommen. Ohne eine persönliche Beziehung zu Jesus kann ein lebenslanger Weg als Priester nicht gelingen. Er wird zum Holzweg. Jesus will es ganz persönlich wissen. Jesus will, dass wir wegkommen von unserem vorgefertigten Drucksachenglauben. Lasst es mich an einem Beispiel illustrieren: Wenn ich meine Post anschaue, dann suche ich immer zuerst die Briefe heraus mit handgeschriebener Adresse. Auf die Seite wandern die Prospekte, Massensendungen und Drucksachen. Und ich freue mich, wenn es Briefe und Karten gibt, wo lebendige Menschen mir schreiben, mich persönlich ansprechen und mit ihrem eigenen Namen dahinterstehen.

Genau darum geht es Jesus mit seinen Jüngern – von ihm provoziert. Wie steht es mit der Post zwischen Gott und mir? Lasse ich seine Frage so allgemein und anonym an mich herankommen, wie eben auch eine Drucksache nur ein Exemplar aus Tausenden ist? Leider verkehren wir mit Gott oft so, dass wir ein vorgedrucktes Blatt ins Kuvert stecken oder einen vorformulierten Text einfach nachbeten. Schaden kann es ja nicht! Das alles ist wichtig; doch es ist zu wenig. Dann sind wir nur „fotokopierte Christen“. Auch „fotokopierte Priester“, „fotokopierte Bischöfe“ soll es geben … Hauptsache: Das Äußere stimmt. Die Form passt. Die Glaubensformel ist richtig. Doch das reicht nicht. Täuschen wir uns nicht. Die Leute merken, ob wir authentisch sind. Machen wir uns nichts vor: Uns selbst können wir vielleicht täuschen, andere aber meist nicht. Lasst mich diesen Gedanken abrunden mit einem Wort aus der Feder Edith Steins, der hl. Teresia Benedicta a Cruce, die vor 80 Jahren in Auschwitz ermordet wurde und umso mehr in unsere heutige Zeit hineinspricht: „Ein Mensch kann dogmenfest sein, ohne gläubig zu sein, d.h. ohne den religiösen Grundakt einmal vollzogen zu haben, geschweige denn, darin zu leben. Er kann im Sinne der Dogmen sein Leben führen, ohne aus dem Glauben zu leben. Seine Werke können durchaus korrekt sein, aber sie sind nicht wahrhaft in Gottes Willen getan und können auch nicht vor Gott wohlgefällig sein.“[1]

Jesus wünscht sich keine Fotokopien, er möchte Originale. Ich danke Euch, wenn Ihr Euren Glauben persönlich bekennt und im Leben bezeugt. So seid Ihr lebendige Visitenkarten Jesu.

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Die Frage kann uns Übersetzungshilfe sein, damit aus der Drucksache ein persönlicher Brief wird mit eigenhändiger Unterschrift. Dabei haben wir es doch gar nicht so schwer. Denn der Herr hat seine Jünger nicht provoziert und sie dann im Regen stehen lassen. Er hat ihnen einen Sprecher gegeben: Petrus – vom Herrn EXPONIERT. Er exponiert sich mit dem Bekenntnis: „Du bist der Messias Gottes.“ Ein großes Wort! Bei Matthäus wird Petrus dafür seliggepriesen. Das Bekenntnis exponiert ihn, denn es ist ein zu großes Wort für einen einfachen Fischer: eben erst weggeholt von seinen Netzen: „Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Indem der Fischer dieses Bekenntnis in den Mund nimmt, wird er vom Herrn exponiert. Das göttliche Wort wird in seinen menschlichen Mund gelegt. Dies gilt nicht nur für jene hohe Stunde des Glaubens; noch heute zehren wir von dieser Exponierung, selbst wenn Papst, Bischöfe, Diakone und auch wir Priester von verschiedenen Seiten kritisiert werden. Auch wenn es uns unangenehm ist, manche Kritik muss sein, sie rüttelt uns auf. Es ist gut, dass wir nicht sakrosankt auf einer Säule stehen, selbst wenn wir eine sakramentale Weihe empfangen haben. Nehmen wir Kritiker ernst, aber lassen wir uns im Glauben nicht verwirren! Halten wir dem Credo der Kirche die Treue!

Ich bin froh, dass Petrus uns dieses Bekenntnis ein für allemal vorgesprochen hat. Petrus hat uns die Vorlage gegeben für unser persönliches Bekenntnis. Damit sind wir nicht zum Papagei erniedrigt, der nur nachplappert, was ihm ein anderer vorsagt. Unser Auftrag ist es, dieses Credo mit Leben zu füllen. Hinter die Worte des Petrus können und dürfen wir nicht zurück. Wer das Messiasbekenntnis verkürzt, verwässert den christlichen Glauben. Gleichzeitig gilt: Worte allein reichen nicht. Es geht um das glaubwürdige Zeugnis. Und das lässt in der Kirche durchaus zu wünschen übrig. Das gilt für Deutschland, aber auch in anderen Ländern. Wir brauchen eine Offensive der Glaubwürdigkeit!

Es ist für mich tröstlich, dass Petrus noch ganz anders exponiert wird. Neben der Seligpreisung steht die Korrektur, bei Markus sogar der schroffe Kontrast: „Fort mit dir, Satan. Du vertrittst ja nicht die Sache Gottes, sondern die Sache der Menschen.“ Warum ist Jesus so hart? Weil es bei Petrus arg gemenschelt hat. Menschlich, allzu menschlich ist sein Einwand: Er wehrt sich gegen das Kreuz. Drei Hütten wollte er bauen, ganz oben am Himmel kratzen; er muss hinunter in die Niederungen des Leidens. Er hat ihn schauen dürfen: den verklärten Christus auf Tabor; den muss er eintauschen mit einem unattraktiven Jesus auf Golgota. Das Kreuz ist dem Petrus zu viel. Da macht er nicht mehr mit; der Felsenmann wird weich wie Butter. Er stolpert. Das macht mir Mut. Sein Nachfolgeweg ist weder graziöser Tanz noch schneller Spurt, es sind Stolperspuren eines Wankelmütigen und Angefochtenen. Solche Spuren kennen auch wir. Für dieses Gestolpere steht kein geringerer als Petrus. Das tröstet mich. Petrus hat geweint, er hat Gefühle gezeigt. Petrus reift durch Gottes Gnade. Das Lippenbekenntnis mündet ins Lebenszeugnis, in die Passion. So werden wir zu unserem Text zurückgeleitet: „Wenn einer mir folgen will, der nehme sein Kreuz auf sich Tag für Tag“ (Lk 9, 23).

Wer mit Jesus gehen will, der muss sein Leben durchkreuzen lassen. Er ist nicht nur provoziert durch das hartnäckige Fragen des Herrn; er schaut nicht nur auf Petrus, der exponiert wird durch sein Bekenntnis, das Maßstab ist bis heute. Der Christ lässt sich ENGAGIEREN, indem er täglich sein Kreuz annimmt und es Jesus nachträgt. Die Alltagskreuze sind vielfältig: Es gibt auferlegte, unabänderliche und selbstgebastelte. Ein Kreuz des Alltags lohnt es sich näher anzuschauen. Es ist dem Kreuz des Petrus sehr ähnlich, hatte er doch damit zu kämpfen, dass sein Meister und Freund ihm immer fremder wurde.

Für den Herrn war er engagiert, doch als das Bekenntnis etwas kostet, wirkt er alles andere als couragiert. Die Verleugnung am Kohlenfeuer ist nichts anderes als das Eingeständnis, dass er Jesus verloren hat. Davor haben auch wir oft Angst: Aufgaben, Freunde, Menschen, die wir schätzen, zu verlieren. Es ist eine lähmende Angst vor dem Verlust, eine Angst, die uns manchmal auf der Stelle treten lässt. Dieses Kreuz kennt kein Tabu. Auch Kirchenleute sind davor nicht sicher. Selbst Frauen und Männern, die sich dem Herrn anvertraut haben, kann der Glaube abhandenkommen. Ja, sogar die Kirche kennt die Versuchung, Gott zu verlieren, wenn sie sich ihr Glaubenshaus selbst aufbauen und sich nicht mehr an den Maßstäben der göttlichen Offenbarung orientieren will. Man spricht auch von „kirchlichem Atheismus“. Kann ein Priester Gott verlieren? Wir sollten nie nie sagen. Aber bei Gott gibt es keinen hoffnungslosen Fall. Selbst wenn wir gestrauchelt sind, wenn wir Slalom fahren, ER hilft uns auf.

Verliert nicht mehr Zeit als unbedingt mit Konferenzen, bei denen man sich um sich selbst dreht, mit Debatten über Umsatzsteuer oder Datenschutz. Bei Eurer Weihe wurden Eure Hände gesalbt, nicht Euer Sitzfleisch! Ihr wurdet nicht zum Priester geweiht, um Eure Zeit in endlosen Sitzungen zu verbringen. Ihr wurdet geweiht, um Menschen zu begegnen, und sie zu Gott zu begleiten. Wenn Ihr weniger als Gott gebt, gebt Ihr zu wenig. Doch wenn wir das ernsthaft tun, merken wir schnell: Das Priestersein verlangt uns einiges ab, genauso wie das Leben eines Hirten hart und ganz unromantisch ist. Wie hart es ist, wenn ein Hirt ein Schaf endlich gefunden hat, hat mir einmal ein polnischer Freund erklärt, dessen Großvater tatsächlich Schafhirt war: Das Schaf hat sich das Bein gebrochen, der Hirt nimmt es auf seine Schultern, das Schaf zittert vor Schmerz und Angst,  und wenn ein Schaf Angst hat, pinkelt es. Dem Hirten läuft dann die Schafspisse in den Nacken und den Rücken herunter und er stinkt. Dass der Hirt nach den Schafen riechen soll, wie Papst Franziskus immer wieder verlangt, ist gar nicht romantisch.

Hirte sein kostet Überwindung. Das heißt: ob alt, ob jung - es wird uns weiter etwas kosten, Priester zu sein.

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Mit dieser Frage sind wir heute provoziert.

„Für den Messias Gottes.“ Dieses Bekenntnis hat Petrus exponiert.

„Nehmt euer Kreuz auf Tag für Tag.“ Mit dieser Bitte sind wir engagiert.

Vom Herrn provoziert, exponiert, engagiert. Das ist unser Auftrag. Eine Christin, die sich von Jesus provozieren, exponieren und engagieren ließ, soll das letzte Wort haben. Noch einmal möchte ich Edith Stein zu Wort zitieren. 1932 – ein Jahr vor Adolf Hitlers Machtergreifung – hat sie fast prophetische Worte gefunden: „Dem modernen Heidentum, dem vielfach jedes geistliche Kleid verdächtig ist, das von keiner Glaubenslehre etwas wissen will, kann das jenseitige Leben kaum noch anders nahe kommen als in Menschen, die von außen gesehen seinesgleichen sind, vielleicht denselben Beruf in der Welt ausüben, starke gemeinsame Interessen mit den Menschen dieser Welt haben und doch spürbar von einer geheimnisvollen Kraft getragen sind, die von anderswoher kommt.“[2] Getragen von einer geheimnisvollen Kraft, die von anderswoher kommt: Aus dieser Erkenntnis lebt unser Bekenntnis. Davon leben auch wir, von Gott berufen, von IHM geweiht, bestellt zum Dienst an den Menschen. Amen.

[1] Edith Stein, Welt und Person. In: ESW VI, S. 194f.

[2] Frauenleben im Licht der Ewigkeit, 1932.