„Gott im Leben Raum geben“
Lieber Schwestern und Brüder, in großer Freude feiern wie heute die Einweihung dieser Kirche vor 60 Jahren. Wenn ich auf die Gestaltung und Form dieses Kirchenbaus schaue, fasziniert mich ein um das andere Mal dieser überwältigende Raumeindruck. Und das führt mich zu einem zentralen Gedanken unseres christlichen Da-Seins, nämlich Gott (immer wieder neu?) Raum zu geben! Was meine ich damit?
Unser Glaube an den ein-dreifaltigen Gott spielt sich nicht im „luftleeren Raum“ ab, sondern hat ein konkretes Gegenüber, ein personales Du: Gott, der Raum und Zeit enthoben ist, hat sich in Jesus Christus in diese Welt hineinbegeben. In Wort und Tat hat er Gottes Heil verkündet. Durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung hat er uns Menschen einen neuen Weg zum Leben eröffnet. Das bringt auch die Orientierung dieses Kirchenraumes zum Ausdruck – nach vorne, hin zum Kreuz, zum Ambo und Altar. Dort wo Christus im Wort präsent und in den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig ist.
Die zentralen Aussagen des christlichen Glaubens sind leicht dahingesagt, aber was das konkret bedeutet, erschließt sich erst im eigenen Leben. Die Basis dafür wurde uns als Kinder von unseren Eltern in der Taufe grundgelegt, weil sie wollten, dass wir in der Beziehung zu Jesus Christus aufwachsen, dass wir gestärkt durch sein Wort und Sakrament unser Leben gut gestalten können.
In der vorhin gehörten Lesung aus dem 2. Timotheusbrief wird Timotheus von Paulus stellvertretend für uns alle ermutigt: „Bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. (…) Denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus.“ (2 Tim 3,14f.) Da scheint in der heutigen Schriftstelle die ganze „Pädagogik Gottes“ durch. Halten wir uns an unseren Lehrer Jesus Christus, der uns Orientierung und Halt auf unserem Lebensweg, auf dem Weg zum Heil gibt!
„Einer Sache breiten Raum geben“ meint sprichwörtlich, etwas zur Geltung kommen zu lassen. Das beinhaltet, dass dahinter eine Entwicklung steckt, dass dahinter ein Prozess der Entfaltung steht. „Einer Sache breiten Raum geben“ meint zudem, diese Sache mit hoher Priorität zu behandeln, sich ausgiebig mit ihr zu beschäftigen, weil man ihr eine große Bedeutung beimisst. In der Folge ist es somit wichtig, sich mit den Inhalten des Glaubens vertraut zu machen, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Die „von Gott eingegebenen Schriften“ sind hierfür die Basis. Sie können uns, wie wir im Timotheusbrief weiter gehört haben, nützlich sein „zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit“ (2 Tim 2,16).
Das führt mich zu der persönlichen Frage an eine jede und jeden von uns: Welchen Stellenwert messe ich dem Wort Gottes in meinem Leben bei? Und wie setze ich mich mit Gott, mit meinem Glauben auseinander? Lernen und Wachsen im Glauben ist ein Beziehungsgeschehen zwischen mir als Christ, als Christin und Gott. Dazu bedarf es aber einer Haltung der Offenheit, des Wahrnehmens, der Aufmerksamkeit, der Lernbereitschaft – und des Hinspürens und Hinhörens auf das, was Gott mir für mich und mein Leben sagen will!
Glaube umfasst dabei mehr als bloßes Wissen. Glauben meint immer wieder das Vertrauen auf ihn zu legen, auf seine Führung und seinen Schutz zu bauen. Das ist aber kein Automatisierungsprozess! Wachsen im Glauben ist nichts abgeschlossenes, sondern immer aktuell, auf die Gegenwart und die jeweilige Lebenssituation bezogen. Glauben heißt Vertrauen im Unterwegssein – und das ein Leben lang! Seinen Ausdruck findet der Glaube im Beten. Der heilige Augustinus betont den Zusammenhang zwischen Glauben und vertrauensvollem Beten, denn „der Glaube ist die Quelle des Betens“ und „der Fluss kann nicht fließen, wenn die Quelle versiegt.“ (vgl. Predigt 115,1) Glaube und Beten durchdringen sich gegenseitig: im Beten wird der Glaube lebensnäher und das Beten weitet alle irdischen Nöte im Lichte Gottes. Beten ist zudem mehr als „Ritual und Routine“, es ist „Beziehungspflege“ in der Begegnung mit Gott, der uns liebt.
Geben wir Gott in unserem Alltag immer wieder diesen „Raum“, in uns zu wirken, indem wir bewusst ruhig werden, innehalten und uns auf Gott hin ausrichten, suchen wir die regelmäßige Begegnung mit ihm im Gebet, sprechen wir in der Getriebenheit ein Stoßgebet, nehmen wir uns die Zeit, in der Bibel zu lesen, oder nehmen einen kurzen Bibelvers als Impuls zur Betrachtung her. So sind wir, wie Paulus es ausdrückt, „ausgerüstet zu jedem guten Werk“ (2 Tim 3,17).
Einer der wusste und der ein besonderes Talent hatte, auf Menschen zuzugehen und in seinem Gegenüber einen Raum für Gott zu eröffnen, ist der Patron dieser Kirche, der heilige Johannes Bosco (1815-1888). Im beginnenden Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert hatte er als Priester in Turin insbesondere die jungen Menschen im Blick. Auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben kamen sie in die Stadt, aber landeten dort auf der Straße oder im Gefängnis landeten. Sich ihnen zu widmen, ihnen zu helfen, ihnen die Liebe weiterzugeben, die er selbst empfangen hat, wird sein Lebenswerk. Er wollte für die jungen Menschen da sein, ihnen ein zuhause schaffen und ein Stück weit „den Himmel erfahrbar machen“.
Ich habe vorhin von der „Pädagogik Gottes“ gesprochen. Don Bosco ist quasi eine Verkörperung derselben. Für ihn war die Haltung selbstverständlich, dass jeder Mensch von Gott geliebt ist. Jeder hat Stärken und Schwächen, aber jede und jeder hat auch Talente, die es zu fördern gilt. Mit dieser Sichtweise begegnete er seinem Gegenüber mit Offenheit und Liebenswürdigkeit. Für ihn war es wichtig, sich für die jungen Menschen Zeit zu nehmen, sich für sie zu interessieren und ihnen wertschätzend zu begegnen. Sein mittlerweile geflügelter Ausspruch „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen“ spiegelt seine Grundhaltung der Lebensbejahung und Freude wider.
Daran anknüpfend und aufbauend, möchte ich einen weiteren Gedanken mit Ihnen teilen. Lange Zeit war die Pfarrei Don Bosco eng mit dem Wirken der Salesianer und der Don Bosco-Schwestern verbunden, bis sie sich 2014 endgültig aus der Seelsorge zurückzogen. Daran sieht man beispielhaft, dass die Pfarrei in diesen 60 Jahren einen Wandel erlebt hat. Generell hat die Kirche in den letzten Jahren viel Vertrauen verloren, insbesondere durch die Aufdeckung der systemisch bedingten Missbrauchsfälle, die ein Verrat an der lebensbejahenden und frohmachenden Botschaft Jesu Christi sind. Wäre es aber nicht zu kurz gedacht, als Reaktion darauf unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus selbst „den Rücken zu kehren“?
Damit stehen auch drängende Fragen im Raum: Wie wird es mit der Kirche weitergehen? Oder, um es mit der Frage Jesu aus dem heutigen Lukasevangelium zu sagen: „Wird der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?“ (Lk 18,8) Und ganz konkret: Was passiert mit Kirche und Pfarrei Don Bosco, wenn die Zahl an Gläubigen immer weniger werden? Der Kirchenbau strahlt in seiner Größe eine Erhabenheit aus inmitten einer modernen Großstadtsiedlung. Der Architekt Thomas Wechs hatte damals „das Ziel vor Augen, am Ende des Lechfeldes, auf dem durch die siegreiche Ungarnschlacht das Christentum geschützt wurde, durch eine sich in der modernen Großstadtsiedlung sich behauptende Kirche auf die innere Kraft des Christentums hinzuweisen.“ (Hugo Schnell: Kirchenführer Sankt Don Bosco Augsburg, S. 11f.) Und weithin sichtbar beherrschen die beiden hohen Rastertürme den östlichen Stadtrand. Zeichenhaft strahlen sie in den öffentlichen Raum hinein. Das allein aber reicht nicht.
Als Bischof bekenne ich mich klar zu einer „Kirche vor Ort“; sie muss nah an den Menschen bleiben, insbesondere auch und gerade durch ihr caritatives Wirken. Es ist wichtig, dass eine Gemeinde ein nah erreichbares Zentrum hat, um in der gemeinsamen Feier der Eucharistie zusammenzukommen und aus ihr Kraft zu schöpfen, einen verbindenden Ort, den Glauben miteinander zu leben und im Gebet zu bekennen. Dabei hat das Gebet nicht nur eine innerliche Dimension d.h. es kann nicht angehen, dass sich eine Pfarrgemeinde in ihr „Schneckenhaus“ zurückzieht und um ihrer selbst willen ein Da-Sein fristet. Schauen wir nochmals auf die eben gehörte Stelle aus dem Timotheusbrief, wo wir am Ende lesen: „Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne in aller Geduld und Belehrung!“ (2 Tim 4,2) Paulus ermuntert uns also dazu, uns in unserem Glauben gerade nicht „einzuigeln“, sondern im besten Sinne missionarisch unterwegs zu sein.
Vertrauen wir in dieser Zeit, in denen die Sinnhaftigkeit des Glaubens vielen fremd ist, im Gebet auf Gott, der uns seine Zusagen und Verheißungen gegeben hat. Das Gebet hat verwandelnde Kraft, wie wir es in der alttestamentlichen Lesung in der Person des Mose eindrücklich vor Augen gestellt bekommen haben. An ihm sehen wir, dass das Gebet auch etwas „Körperliches“ an sich hat, vor allem aber, dass wir in unserem Beten nicht allein sind! Im Gebet stützen wir einander und es kann tröstlich sein, dass ich mit meinen Sorgen und Ängsten, mit meinem Zweifel nicht allein bin. Als Glaubender, als Glaubende sind wir nicht allein; Glaube vollzieht sich in Gemeinschaft. Ermuntern und bestärken wir uns gegenseitig im Gebet! Als Christ weiß ich mich eingebunden in eine tröstende Glaubens-, Gebets- und Traditionsgemeinschaft. Dazu gehören auch die Zeugen und Verkünder vergangener Zeiten – nehmen wir uns den heiligen Don Bosco und sein Handeln als Vorbild für unser eigenes Leben, mit Güte und Liebe unseren Mitmenschen zu begegnen!
Abschließend richtet sich mein Blick in diesem weiten, himmelwärts strebenden Raum nach oben, hin zur lichten Glaskuppel, wo die eingefasste Taube uns an den Beistand des Heiligen Geistes erinnert. Es braucht uns im Glauben wahrlich nicht bang zu sein! Werden wir also nicht müde, unablässig die Begegnung mit dem tröstenden Gott zu suchen, uns seiner Führung im Gebet anzuvertrauen - ihm im Leben Raum zu geben! Amen.