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Wichtiges
Predigt von Bischof Bertram zum 200. Geburtstag des Malers Johannes Kaspar in Obergünzburg am 21. Mai 2022

Johannes Kaspar: ein „darstellender Evangelist“, „Malen als Gebet“

21.05.2022

Seine Bilder gehören zum Inventar. Seit Generationen schauen Sie bereits auf diese Gemälde hinter mir und ich stelle mir vor, dass besonders die Kinder mit dieser ansprechenden Kunst sehr viel anfangen können. Wir Menschen brauchen den Blick in ein Gesicht, auch und gerade, wenn wir beten. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Katholiken, wie man es manchmal in Presseartikeln lesen kann, Bilder oder Statuen anbeten würden; sondern es entspringt einem ganz natürlichen Bedürfnis, von dem auch der Antwortpsalm gerade sprach, wo es hieß: „Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse sein Angesicht über uns leuchten“ (Ps. 67,2).

Johannes Kaspar, Sohn Ihrer Marktgemeinde, dessen 200. Geburtstag Sie heuer begehen, war nicht nur ein hochbegabter Maler und Freskant, sondern zuallererst auch ein Mensch, der sich unmittelbar vom Wort Gottes ansprechen ließ und der in Jesus Christus, in dem das Wort Mensch geworden ist und buchstäblich ein Gesicht bekommen hat, das Gegenüber für seine Seele gefunden hat. Dabei scheint es mir nicht zufällig zu sein, dass die einzige Fotografie, auf der man den Maler identifiziert, ihn im innigen Gebet vor einer Kreuzwegstation zeigt.

Wer Christus und seine Heiligen überzeugend auf die Leinwand bannen will, der kann nicht einfach loslegen wie bei jeder x-beliebigen Auftragsarbeit, sondern sollte aus dem Geist jenes Buches heraus ans Werk gehen, der uns Jesus Christus lebendig vor Augen stellt: das Neue Testament. Zeitgenossen berichten von Kaspar, dass er sich in der Bibel besser auskannte als mancher Theologe. Sein Lebensweg offenbart, dass dies nicht etwa eine Marketingstrategie war, sondern seinem Selbstverständnis entsprach. Denn auch, als er sich wegen seiner stark angegriffenen Gesundheit wieder in sein Elternhaus zurückziehen musste und damit zwangsläufig den engen Kontakt zur Kunstwelt verlor, blieb er seiner Leidenschaft als darstellender Evangelist treu: Ohne auf eine entsprechende Entlohnung zu pochen, kam er, so gut er konnte, allen Wünschen nach und schuf Bilder selbst für die kleinsten Kapellen in den Allgäuer Weilern.

„Ikonen schreiben ist wie ein Gebet zu sprechen“, sagte vor Jahren eine Teilnehmerin eines Ikonenmalkurses. Ich bin überzeugt, Johannes Kaspar hätte dem vorbehaltlos zugestimmt. Wer eine Ikone schreibt, sieht sich in einer über tausendjährigen Tradition; er kann ihr zwar seine Handschrift geben, doch in der Regel werden Ikonen nicht signiert. Der oder die Schreiber/in sieht sich in Dienst genommen, „inspiriert“. Wer aber ist der Inspirator? Das Evangelium, das wir gehört haben, gibt uns eine Antwort darauf: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird Euch alles lehren und Euch an alles erinnern, was ich Euch gesagt habe (Joh 14,26).“ Dies gilt bis heute für jede und jeden von uns: Wissen auch wir, fühlen auch wir uns inspiriert? Heute, da so viele Menschen darüber klagen, dass sie ausgebrannt sind oder bereits eine Burnout-Diagnose erhalten haben, wo die Corona-Pandemie in den Familien schmerzvolle Lücken gerissen hat und der Krieg in der Ukraine an den Grundfesten unseres Sicherheitsgefühls rüttelt…

Ja, gerade heute, jetzt in der Osterzeit, in der wir uns auf das Kommen des Geistes - auf Pfingsten - vorbereiten, dürfen wir auf das Wort Jesu bauen: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,27b). Das ist keine billige Vertröstung, sondern eine Aufforderung zu Mut und beherztem Glauben! Was für eine Herausforderung ist der Glaube, selbst bei Windstille und ruhiger See?

Wenn ich die Ereignisse der letzten Zeit anschaue und darüber nachdenke, wird mir immer klarer: Jetzt ist die rechte Zeit, sich wieder neu auszurichten nach der Sonne des Heils, sich buchstäblich zu orientieren - nach Osten, zum Sonnenaufgang hin. In diesem Sinne ist auch eine der letzten Nachrichten der hl. Teresia Benedicta a Cruce (1891-1942), besser bekannt unter ihrem bürgerlichen Namen Edith Stein, zu verstehen: „Grüße von der Fahrt nach Osten!“ (ad orientem). Sie ahnte, dass diese Reise nach Osten eine Fahrt in den Tod sein würde; zugleich glaubte sie fest daran, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern der Übergang in ein neues Leben.

Seit sie zum Glauben (zurück-)gefunden hatte, bekannte Edith Stein: „Ich weiß, dass ich jemandem in meiner Nähe habe, dem ich rückhaltlos vertrauen kann, und das ist etwas, das Ruhe und Kraft gibt.“ Am 9. August begehen wir den 80. Todestag der Heiligen. Aus diesem Anlass darf ich selbst in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau die deutschen Bischöfe vertreten und diese große Heilige, Vermittlerin zwischen den Religionen und Märtyrerin für Christus, am Ort ihres Todes ehren und ihre Fürbitte erflehen.

„Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ Lassen auch wir uns von Jesus einladen, „zum Glauben zu kommen“ (Joh 14,29). Reihen wir uns ein in die Schar derer, die gegen alle Hoffnung ihre Hoffnung auf den lebendigen Gott setzen (vgl. Röm 4,18). Und wenn sich wie in der Apostelgeschichte „Zwist und Streit“ (Apg 15,2) ausbreiten, dann sollten Christen nicht mit den Wölfen heulen und besonders strenge Forderungen aufstellen, sondern nüchtern und wachsam sein – und mit Augenmaß vorgehen. Dies galt damals für die heidenchristlichen Gemeinden; es gilt heute ebenso im Blick auf den Reformeifer hierzulande.

Versuchen jede und jedem mitzunehmen, niemanden ausschließen, der sich nicht selbst außerhalb der Gemeinschaft stellt, dies ist Dienst an der Einheit und zutiefst christliches Zeugnis. Johannes Kaspar war sich bewusst: Sein Talent ist Gabe und Geschenk, das er nicht für sich selbst erhalten hat, sondern um Menschen zur Andacht, zur Innerlichkeit und letztlich zu Christus selbst zu führen. Dies gelingt dann, wenn das Bild durchlässig wird auf DEN hin, den es darstellt und der Künstler, die Künstlerin dahinter zurücktritt, in dem gläubigen Wissen, dass allem, was Menschen schaffen, und sei es noch so bewundernswert und einzigartig, eine Vorläufigkeit anhaftet, die erst am Ende der Zeiten aufgehoben wird. Dann, wenn es, wie wir in der Offenbarung gehört haben, in der „heiligen Stadt Jerusalem“ keinen Tempel, keine Kirche mehr braucht: „Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm“ (Offb 21,22). Amen.