Kana: Kooperation zwischen Gott und Mensch
Liebe Schwestern und Brüder! Auf der Erde herrscht Krieg! Die Lesung aus der Offenbarung des Johannes erklärt die Erde zum Kriegsgebiet. Wir alle wissen von einer Vielzahl an Ländern auf unserer Welt, in denen das bittere Realität ist: Konflikte werden mit militärischer Taktik, politischem Kalkül, Machtstreben und Blutvergießen ausgefochten.
Der Kampf, von dem in der Heiligen Schrift die Rede ist – er wird in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Erde sichtbar, reicht aber zugleich darüber hinaus. Der Kriegsschauplatz Erde geht mit ganz unterschiedlichen Phänomenen einher. Menschliche Existenz bedeutet immer auch mit Not und Mangel konfrontiert zu sein: mal mehr, mal weniger.
Eine ganz andere Bilderwelt entfaltet das Evangelium: eine Hochzeit - Sinnbild für Verbundenheit und Liebe. Ein feierliches Treiben prägt dieses Bild, die Hochzeitsgesellschaft darf auf einige sorgenfreie, ja ausgelassene Stunden und Tage hoffen, es wird gegessen und getrunken… so viel, dass die Feier in Gefahr ist – der Wein neigt sich dem Ende zu und das würde womöglich für ein vorschnelles Ende der Festlichkeiten sorgen, für enttäuschte Gäste und eine lebenslange Blamage des frisch verheirateten Paares.
Ich habe bereits erwähnt, dass menschliche Not in vielerlei Facetten daherkommt. Im Vergleich zu den Kriegsbildern, die unsere Nachrichten und die Lebensrealität so vieler Mitmenschen prägen, erscheint ein sich zu Ende neigender Weinvorrat wie eine Lappalie! Es sind Codewörter aus der Sprache des Evangelisten, die uns anzeigen, dass die Hochzeit zu Kana als Kulisse dient, um auf Größeres zu verweisen. Johannes betont, dass sich das Wunder „am dritten Tag“ ereignet. Der dritte Tag ist im Alten Testament der Tag, an dem Gott mit seinem Volk am Fuße des Berges Sinai seinen Bund geschlossen hat; in Jesus erneuert Gott diesen Bund und der dritte Tag - das ist uns Christen meist präsenter – ist der Tag der Auferstehung. Und wenn Johannes von Jesu erstem „Zeichen“ spricht, so ist es nicht nur die wundersame Verwandlung von Wasser zu Wein; das Hochzeitsmahl selbst ist Zeichen für die Fülle, an der Gott den Menschen teilhaben lassen möchte: im Himmel, dort lag der ursprüngliche Austragungsort jenes Kampfes, der auf der Erde noch anhält. Das zeigt: In diesem Kampf geht es um alles, nämlich darum, ob der Mensch letztlich zu Gott kommt, ob er einmal am himmlischen Festmahl teilnehmen wird, zu dem er geladen ist. Es gibt Mächte und Kräfte, die dem Menschen diese Suppe gehörig versalzen wollen. Auf der Erde herrscht Krieg! Ich habe mit einer schlechten Nachricht begonnen und ab jetzt gibt es nur noch gute Nachrichten:
Die erste gute Nachricht: Der Kampf ist schon entschieden; der Sieg, der die Menschheit rettet und zum ewigen Festmahl führt, ist bereits errungen. Der Herrschaftsbereich jener Mächte, die uns von Gottes Fülle trennen wollen, ist begrenzt. In der Nähe Gottes ist der Widersacher machtlos. Es ist unser christlicher Glaube, der uns hineinhebt in die göttliche Sphäre, in die Nähe Gottes.
Die zweite gute Nachricht ist, dass wir nicht allein in diesem Kampf stehen: auf der Hochzeit zu Kana tut Jesus sein erstes öffentliches Zeichen und wir können herauslesen, dass sich parallel dazu auch die Rolle seiner Mutter ändert. „Was willst du von mir, Frau!“ (Joh 2,4) Maria wird von Jesus nur mehr als „Frau“ angesprochen. Wenige Jahre später wird der sterbende Jesus diese Frau auf Golgota zur Mutter seines Lieblingsjüngers erklären (Joh 19,26.27). In der Distanziertheit der Anrede Jesu auf der Hochzeit zu Kana keimt bereits die Mutterschaft Mariens für die junge Kirche. Welche Rolle nimmt sie auf der Hochzeit ein, auf dem Schauplatz des ersten Zeichens, das ihr Sohn öffentlich setzt?
Im Folgenden möchte ich mit Ihnen vier Überlegungen teilen, die wir aus dem Evangelium mit Blick auf Maria gewinnen können. Es sind Wegweiser zum himmlischen Festmahl für uns und andere.
Zunächst: Was tut Maria? Sie nimmt Not wahr und geht damit zu Jesus. Sie erkennt die missliche Lage vielleicht als eine der Ersten und sucht nach einer Lösung, ehe die ganze Hochzeitsgesellschaft das Ungeschick bemerkt. Das Jahresmotto in Marienfried lautet „Maria, Hilfe der Christen“. Weit und breit ist der Schutzmantel, den sie trägt, wie wir es in einem bekannten Marienlied singen. Auch mit unserer ganz individuellen Not haben wir dort einen sicheren Platz. Sie erkennt vielleicht früher als wir selbst, wenn wir die guten Wege verlassen, die zum Festmahl hinführen. Wir dürfen Maria stets als eine starke Fürsprecherin an unserer Seite wissen, die uns bei Gott die Fülle seiner Herrlichkeit zu erbitten weiß.
Maria ist uns auch Vorbild darin, für andere in Stellvertretung zu gehen. Sühne heißt Stellvertretung. Sich von der Not anderer berühren lassen und sie zu Jesus bringen, ist ein Grundschritt auf unserem christlichen Pilgerweg. Das soll uns nicht davon abhalten, tatkräftig und solidarisch Nächstenliebe zu leisten, wo wir aus eigener Kraft, mit Hand, Herz und Verstand helfen können. Aber auch dieses Tun darf vom Gebet getragen sein; und schließlich gibt es die vielen Situationen und Konfliktherde in unserem Leben und in unserer Welt, wo wir ohnmächtig sind.
Es würde eine eigene Predigt füllen, aber ich will an dieser Stelle kurz auf Edith Stein verweisen. Angesichts der Verbrechen, die das Naziregime im Dritten Reich verübt hat, hat sie ihr Leben Gott als Sühneopfer für das jüdische, aber auch das deutsche Volk angeboten. Hier ist es wichtig anzumerken: Edith Stein war nicht von einer falschen Todessehnsucht getrieben, bis zuletzt gab es Versuche, den Fängen der SS im niederländischen Karmelkloster zu entkommen; aber als ihr Schicksal unausweichlich besiegelt war, konnte sie den bevorstehenden Tod in einer geradezu übermenschlichen Ruhe annehmen. Aus einem ihrer pädagogischen Texte von 1928, also geraume Zeit vor Beginn des Krieges, geht die Alltagstauglichkeit ihrer Sühnehaltung hervor. Ihre Gedanken beziehen sich auf die „dornenvolle Aufgabe der (Ehe-)Frau, den religiös gleichgültigen oder ablehnenden Mann für den Glauben zu gewinnen“[1]. Mit viel Reden und Schelten sei hier meist mehr verdorben als gewonnen, sagt sie. Edith Stein empfiehlt stattdessen: „Selbst still und unbeirrt seinen Weg gehen (…), beharrlich beten und opfern, das sind die Waffen, die auch in scheinbar verzweifelten Fällen schon zum Sieg geführt haben (nicht immer, denn es handelt sich hier um Geheimnisse Gottes, in die wir nicht hineinschauen können).“ Mit Vorwürfen sparen, für andere beten und geduldig die eigene Beziehung zu Gott pflegen - so will ich ihren Rat zusammenfassen. Der von ihr genannte Vorbehalt im Hinblick auf das Wirken Gottes bringt mich zu einem weiteren Punkt.
„Was willst du von mir, Frau! Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Joh 2,4) Das Motiv der Stunde begegnet uns im Johannesevangelium unmittelbar vor Jesu Leiden und Sterben wieder (vgl. Joh 16 und 17). In Kana macht Jesus deutlich: Es ist einzig der Vater, der darüber bestimmt, wann die rettende Stunde stattfinden wird. Damit lehrt uns der Wortwechsel zwischen Jesus und seiner Mutter die rechte Haltung des Gebets, die auch in der Aussage Edith Steins enthalten war. Fürbitten sind kein Wunschautomat! Unser Gebet kann die Freiheit Gottes und die des Nächsten nicht übergehen. Das gilt auch für die Sühnenächte. Viele unserer Mitchristen können vielleicht kaum mehr etwas mit diesem Gedanken der Sühne anfangen. Passen wir auf, dass unsere Bereitschaft zum Gebet nicht dazu führt, dass wir uns über Gott oder andere erhaben fühlen! Bitten wir Gott, dass er in uns die Haltung der Demut, der Liebe und des Vertrauens mehre. Auch das können wir am Leben der hl. Edith Stein ablesen; während sie in jungen Jahren bisweilen ob ihrer Klugheit für arrogant gehalten wurde, so berichten Augenzeugen von ihren letzten Lebenstagen auf dem Transport ins Vernichtungslager nach Ausschwitz-Birkenau, wieviel Fürsorge und Liebe von dieser Frau inmitten des Leids ausging.
Das führt mich zu einem letzten Gedanken: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5) Diese Weisung, die Maria den Bediensteten der Hochzeitsfeier gibt, ist nur folgerichtig. Marias Reaktion auf die Belehrung Jesu zeigt, dass sie sein Wort angenommen hat und dass sie uns dasselbe rät. Sie hat den Notstand gemeldet, mehr kann sie gerade nicht tun. Sie unternimmt nicht noch zehn weitere verzweifelte Versuche, die Situation zu lösen, sondern vertraut auf Jesus und sein Handeln. Nicht nur der Zeitpunkt, sondern auch das Vorgehen liegen in seiner Hand. Zugleich machen Marias Worte deutlich, dass sich Gott unserer Mithilfe bedient. Wir tun gut daran, unser inneres Ohr auf die Stimme Gottes auszurichten. Das Wunder von Kana – es geschieht in enger Kooperation und bringt unerwartete Ergebnisse hervor: „Du hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt.“ (Joh 2,10) Gott und Mensch helfen zusammen, so dass die Not nicht nur gewendet, sondern sogar zum Highlight der Hochzeit wird.
Die Gottesmutter Maria – sie steht hier stellvertretend für das Gottesvolk, für die Menschheit, für uns. Sie kann keine Wunder anordnen und auch nicht die Zeit bestimmen, in der dieses und jenes zu geschehen hat. Am Beispiel des Lebens der hl. Edith Stein wird deutlich, dass das auch noch für heute gilt, im normalen Alltag sowie in Krieg und Krise. Wir sind aufgerufen, unseren Mangel und die Not Anderer wahrzunehmen und jede Lage bittend vor Jesus zu bringen. Wer dem Wort Gottes Glauben schenkt, darf hoffen, zur rechten Zeit in einer Weise erhört zu werden, die menschliche Erwartungen übertrifft. In der Hoffnung auf das ewige Festmahl bitten wir Gott in dieser Sühnenacht darum, die Not und den Mangel unserer Tage in ein Zeichen seiner Gegenwart und Fülle zu verwandeln.
[1] Edith Stein: Der Eigenwert der Frau in seiner Bedeutung für das Leben des Volkes, in: Die Frau (ESGA 13). Freiburg i. Br. 2000, S. 8.