„Seit 125 Jahren von Josef gut behütet.“
Liebe Josefsschwestern, liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dominikus Ringeisen Werkes, liebe Festgäste, „Du willst mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne?“ – Diese Frage Gottes, gerichtet an König David, haben wir soeben in der ersten Lesung gehört.
Und wie um dieses göttliche Erstaunen zu erklären, heißt es im nächsten Vers, der in dieser Lesung nicht vorkam: „Seit dem Tag, als ich die Israeliten aus Ägypten herausgeführt habe, habe ich (…) nie in einem Haus gewohnt, sondern bin in einer Zeltwohnung umhergezogen“ (2 Sam 7,6). Dies ist jedoch nicht etwa ein Vorwurf Gottes, sondern Erinnerung an seine selbstverständliche Bereitschaft, das Wesen aus seiner Hand, sein Geschöpf Mensch, überall hin zu begleiten. Gott ist und bleibt ein „Gott mit uns – Immanuel“, ein Name, unter dem wir ihn besonders im Advent voller Sehnsucht anrufen.
Unterwegs sein, mobil sein, für die meisten Menschen ist das ein Muss, wenn sie über Freiheit nachdenken: erst recht in den letzten beiden Pandemiejahren, als unsere Mobilität zeitweise fast zum Erliegen kam und aus guten Gründen noch immer eingeschränkt ist. Doch statt auf das fixiert zu sein, was gerade nicht geht, haben viele den Wert des Daheimseins neu entdeckt. Damit meine ich nicht in erster Linie Homeoffice und Homeschooling, die Familien oft an den Rand der Belastbarkeit bringen, sondern das Empfinden, um ein Heim zu wissen, in dem man sich wohlfühlt mit Menschen um sich, die einem guttun. Besonders für Kinder ist ein solches Zuhause lebens-, ja, überlebenswichtig. Wir sehen das gerade an den Kindern aus der Ukraine, die völlig entwurzelt sind und mit Mutter und Geschwistern hier bei uns eine Bleibe suchen.
Wie wichtig eine liebevolle Umgebung ist, wusste auch Pfarrer Dominikus Ringeisen, als er 1884 eine Einrichtung gründete, in der behinderte Kinder und Jugendliche eine Heimat fanden. Doch Stabilität verleihen konnte er diesem Projekt erst 1897, als die Frauen, denen er geistlicher Vater geworden war, die Drittordensregel des hl. Franziskus annahmen und sich unter den Schutz des hl. Josef stellten. So dürfen wir heute voller Dankbarkeit auf 125 segensreiche Jahre der St. Josefskongregation in Ursberg zurückblicken. Bis heute ließen sich weit über tausend Frauen vom Immanuel, dem „Gott mit uns“, ansprechen und folgten seinem Ruf in diese Gemeinschaft, hierher nach Ursberg. Welch ein Segen für die gesamte Region, für unzählige Familien und vor allem für Menschen mit besonderem Förderbedarf, die oft schon in sehr jungen Jahren hierherkommen, um Heimat und Geborgenheit zu erfahren!
Liebe Ursberger Schwestern, ich wünsche Ihnen, dass Sie in Momenten der Trauer über den Rückgang der Ordensberufe, über das Schwinden der eigenen Kräfte oder im ‚Kampf mit der Bürokratie‘ immer wieder einmal glücklich die Augen schließen können, um Mut zu schöpfen aus dem Kinderlachen, den strahlenden Gesichtern ihrer Schützlinge in den vergangenen 125 Jahren! Ich bin sicher: Nichts davon ist verloren; nur haben wir Menschen oft ein begrenztes Gedächtnis. Pflegen Sie die Schatzkammer guter Erinnerungen!
Alle Güte, die Sie, liebe Schwestern, und die stetig wachsende Schar der Mitarbeitenden in diesen mehr als 12 Jahrzehnten an Menschen verschenkt haben, ist bei Gott kostbar und wirkt bis heute nach. Jede Träne, jedes Opfer, das im Vertrauen auf Gottes Nähe und Barmherzigkeit erbracht wurde, ja jeder Schmerz – und es waren sicher nicht wenige, verborgene, aber auch sicht- und hörbare Schmerzen – sind Teil des liebenden Gedächtnisses Gottes; sie werden von IHM verwandelt, wie er selbst sagte: „Was ihr für einen meiner geringsten (Schwestern und) Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ (Mt 25,40).
Auch dass Sie sich als Schwesterngemeinschaft unter das Patronat des hl. Josef gestellt haben, ist kein Zufall. Der Nährvater Jesu war ein Mann der Tat. Das aber beruhte nicht vorrangig auf körperlicher Stärke oder einem ausgeprägten Selbstbewusstsein. Josef war kein Macho. Nein: Anders, als die Männerbilder, die uns heute Werbung und Filmindustrie als Ideal vorstellen, gründete Josef seinen Selbstwert auf seine Gottesbeziehung; er hatte Zugang zum Herzen Gottes und besaß eine außergewöhnliche Offenheit für das, was dem Auge unsichtbar und der Wahrnehmung dieser Welt entzogen ist.
Josef, der Mann Mariens, war „gerecht“ (Mt 1,19). Das meint nicht, dass es ihm auf menschliche Vorschriften oder die Erfüllung des Buchstabens ankam: Dem stand die außereheliche Schwangerschaft Mariens ja nun wirklich entgegen! Vielmehr fragte er sich, was im Lichte Gottes recht und richtig war. Josef kannte den Gott seiner Vorfahren als aufrichtenden Gott. Er wusste, dass der Mensch, der sich in Seinen Dienst stellt, zum „Gottesknecht“ wird und genauso handeln sollte, wie es bei Jesaia heißt: „Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze. (…) Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja er bringt wirklich das Recht“ (Jes 42,1.3).
Was können wir von Josef lernen? Das Matthäusevangelium macht es deutlich: nicht mit den Wölfen heulen, sich nicht voreilig dem Urteil anderer anschließen oder den ersten negativen Emotionen nachgeben, sondern innehalten und sich ins Gebet zurückzuziehen. Selbst wenn Entscheidungen scheinbar drängend sind, immer gibt es den Moment, in dem ich Abstand nehmen sollte von meiner Impulsivität, in dem ich mich dem Drängen anderer entziehen kann. Gerade wir, die wir in der Nachfolge Jesu stehen, dürfen, ja müssen uns diese Freiheit nehmen: Ich bin so frei zu warten; oft muss ich im Nachhinein eingestehen, dass ich es wieder nicht geschafft habe. Doch auch um Verzeihung zu bitten ist eine heilsame Übung – und zugleich ein Zeichen, dass ich mich nicht einfach mit meinem inneren Gefühlschaos abfinden will.
Josef lässt sich nicht zu einem Skandal provozieren, er wählt die Stille, um die Stimme des Engels zu hören. Das braucht Geduld, viel Geduld und Vertrauen in den „Gott mit uns“! Wie Josef Weisung und Auftrag erhielt, so dürfen auch wir heute unsere Hoffnung auf den HERRN setzen. Ehrlich gesagt: Es kann oft schmerzlich lang dauern, bis das Dunkel unseres Herzens aufgehellt wird. Wochen, Monate, Jahre haben Heilige wie Franz von Assisi, Johannes vom Kreuz und Mutter Teresa von Kalkutta in der „dunklen Nacht der Seele“ ausgeharrt. Wie Josef mussten sie Abschied nehmen von persönlichen Vorstellungen für ihr Leben, von dem, was sie sich erträumt und erhofft hatten, um sich buchstäblich leer zu machen für das, was Gott mit ihnen vorhatte.
Ich bin überzeugt: Wenn wir heute unsere Jubilarin Sr. Bertila fragen, ob sie um ähnliche Erfahrungen weiß, dann könnte auch sie uns von Weggabelungen in ihrem Leben erzählen, die sich unvermittelt auftaten: eine Versetzung, meist wenn eine Filiale geschlossen wurde, eine plötzliche Krankheitsdiagnose, eine Aufforderung, Neuland zu betreten … Sr. Bertila ist mobil geblieben, ihre Basis war die Küche; da war sie in ihrem Element. Diese Aufgabe war ihr auf den Leib geschrieben. Ihr Markenzeichen ist das Lächeln. Wie der hl. Josef, so ist Sr. Bertila verankert in Jesus, dem Herrn in ihrem Lebenshaus. ER ist bis heute ihr starker Halt; wie Josef kann Sr. Bertila darauf vertrauen, dass auch uns ein „Fürchte Dich nicht“ ins Herz gesprochen wird. „Lerne warten, denn entweder ändern sich die Dinge oder dein Herz.“ Dieses Trostwort wird dem bayerischen Kirchenvater und Bischof von Regensburg Johann Michael Sailer zugeschrieben. Wie oft hat es sich auch in meinem Leben schon bewahrheitet!
Maria und Josef – beide entsprachen so ganz und gar nicht dem Bild, das sich die Menschen von den Eltern des Messias gemacht haben: Zwei aus ganz einfachen Verhältnissen, angreifbar und ohne „Vitamin B“. Auch keine Netzwerker – und doch eingebunden in das unsichtbare Netz derer, die sich dem Gott Abrahams zugehörig wissen, Menschen, die wie er „gegen alle Hoffnung voll Hoffnung“ darauf vertrauen, dass sich die Verheißungen Gottes erfüllen, „fest davon überzeugt, dass Gott die Macht besitzt, auch zu tun, was er verheißen hat“ (Röm 4,18.21). In den Augen vieler waren schon Abraham und Sara, das alte Elternpaar zu Beginn der Heilsgeschichte, Narren; und auch Josef galt als ‚Träumer‘, ein Etikett, das bis heute eher abfällig klingt. Dennoch werden uns diese Menschen beispielhaft vor Augen gestellt, damit wir nicht verzweifeln, nicht als einzelne und nicht als Gemeinschaft!
Mit der Wahl des hl. Josef zum Patron Ihrer Gemeinschaft haben Sie, liebe Ursberger Schwestern, sich in die Tradition vieler spiritueller Neuaufbrüche gestellt. Ich will hier nur ein sehr berühmtes Beispiel nennen: die hl. Teresa von Avila (1515-1582) und ihre besondere Verehrung des hl. Josef.
Im sechsten Hauptstück ihrer Lebensbeschreibung heißt es: „Zu meinem Fürsprecher und Herrn erwählte ich den glorreichen heiligen Joseph und empfahl mich ihm recht inständig. (…) Ich erinnere mich nicht, ihn bis jetzt um etwas gebeten zu haben, was er mir nicht gewährt hätte.“ Die Ordensreformerin kann sich diese prompte Hilfsbereitschaft nur mit der Stellung Josefs im Heilsplan erklären: „Der Herr will uns ohne Zweifel zeigen, daß er ihm im Himmel alles gewähre, was er von ihm begehrt, nachdem er ihm auf Erden als seinem Nähr- und Pflegevater, der das Recht hatte, zu befehlen, untertänig gewesen war.“[1] Hier wird deutlich, wie sehr sich die hl. Teresa in die Kindheitsgeschichte Jesu vertieft hatte!
Wir dürfen nicht vergessen, dass das Vaterbild Jesu von Josef wesentlich mitgeprägt worden ist. Der „Vater im Schatten“, wie ihn Papst Franziskus in seinem Schreiben Patris corde (PC 7) genannt hat, ist weder Randfigur noch Strippenzieher im Hintergrund, sondern eine maßgebliche Autorität für den, der sich selbst immer „Menschensohn“ (Mt 16,13) nannte und als „Sohn des Zimmermanns“ (Mk 6,3; Mt 13,55) Aufsehen erregte. Ist es da nicht doppelt seltsam, dass uns die Evangelien kein einziges
Wort
Josefs überliefern? Für Theologen und Schriftsteller eine Lücke, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder durch spekulative Meditationen und romanhafte Ausgestaltungen geschlossen wurde. Ich persönlich meine, wir kommen auch gut ohne Worte aus. Denn Josef gehört zu den Menschen, die Taten sprechen lassen und denen wir uns mit unseren Sorgen anvertrauen können, weil er sich ganz auf seinen Gott verließ.„Als Josef erwachte, tat er, was der Engel ihm befohlen hatte“ (Mt 1,24). Diese frische, zupackende Art ist es, die ich an Josef bewundere. Er verbindet beides, die Nachdenklichkeit und die Tatkraft. Geradlinig und mutig geht er seinen Weg. Er nimmt klaglos Flucht und Migration auf sich, um seinen Schatz zu schützen: „das Kind und seine Mutter“ (Mt 2,13). - Braucht es da noch Worte?
Der hl. Teresa, einer ebenso pragmatischen wie tatkräftigen Frau, war klar, ihr erstes Reformkloster (1562) unter das Patronat des hl. Josef zu stellen. Noch heute staunt der Besucher von San José über die Kargheit der Zellen und die gut durchdachte Anlage. Die Fassade der Kirche schmückt eine Statue Josefs mit dem Jesusknaben an der Hand, der mit einer Doppelblattsäge im Arm sichtlich fröhlich zum Handwerker-Vater aufschaut. Die hl. Teresa empfiehlt uns Josef aufs Wärmste:
„Ich möchte jedermann zureden, diesen glorreichen Heiligen zu verehren, weil ich aus vieler Erfahrung weiß, wie viele Gnaden er bei Gott erlangt. Niemals habe ich jemand kennengelernt, der eine wahre Andacht zu ihm trug und durch besondere Übungen ihm diente, an dem ich nicht auch einen größeren Fortschritt in der Tugend wahrgenommen hätte; denn er fördert die Seelen, die sich ihm anempfehlen, gar sehr. Soviel ich glaube, flehe ich ihn schon seit einigen Jahren, jedes Mal an seinem Festtage, um eine besondere Gnade an, und immer sehe ich meine Bitte erfüllt. Ist dieselbe nicht ganz rechter Art, so lenkt er sie zu etwas Besserem für mich.“[2] Nur zu, liebe Schwestern und alle, die Sie heute diesen Gottesdienst mitfeiern – auch heute ist der Festtag des hl. Josef. Mit ihm sind Sie, liebe Josefsschwestern, gut behütet.
Was die Kirche in einem Tagesgebet spricht, mache ich mir zum Anliegen für mein Gebet für Sie, liebe Schwestern und das ganze Dominikus-Ringeisen-Werk: „Gott, unser Herr, du verbindest alle, die an dich glauben, zum gemeinsamen Streben. Gib, dass wir lieben, was du befiehlst, und ersehnen, was du uns verheißen hast, damit in der Unbeständigkeit dieses Lebens unsere Herzen dort verankert seien, wo die wahren Freuden sind.“[3] Amen.
[1] Teresa de Jesus, Libro de la vida, Sechstes Hauptstück, Nr. 7. In: Sämtliche Schriften der heiligen Theresia von Jesu, Erster Band: Leben von ihr selbst beschrieben. Neue deutsche Ausgabe, übersetzt von P. Aloysius Alkofer nach der spanischen Ausgabe des P. Silverio de S. Teresa C.D., München-Kempten 19734, 66 f.
[2] Ebd.
[3] Tagesgebet am Donnerstag der 1. Woche, Messbuch 1975 (Kleinausgabe), S. 279.