Das Leben eng mit Christus, dem „Seelenbräutigam“, verbinden
Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst, liebe Schwestern und Brüder im Vertrauen auf den Sohn Gottes, der durch seine Mutter Maria Fleisch angenommen hat, liebe Frau Onar, vor 55 Jahren hat Papst Paul VI. im Zuge der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die auch die Ordensgemeinschaften betrafen, die frühchristliche Tradition der Jungfrauenweihe wiederbelebt. Heute können wir sagen: Dies war eine gute, ja beinahe prophetische Entscheidung.
Denn in unserer Zeit, die von vielen Abbrüchen, immer aber auch von tragfähigen Neuaufbrüchen geprägt ist, braucht es spirituelle Lebensformen, die anpassungsfähig und flexibel sind, wenn es darum geht, wie Sauerteig in dieser Welt zu wirken.
Nach außen kaum erkennbar, zieht der Ordo virginum doch seine Kraft aus dem Herzen der Kirche. Er steht nicht abgehoben oder isoliert da, sondern wurzelt tief in der Diözese, in der die Berufene lebt. Mit Recht hebt die Instruktion Ecclesiae Sponsae Imago von 2018 hervor: „Durch ihre weibliche Empfindsamkeit leisten sie – die Geweihten Jungfrauen - einen wertvollen Erfahrungs- und Gedankenbeitrag zur Unterscheidung nach dem Evangelium, die die christliche Gemeinschaft zu jeder Zeit darüber durchführen muss, wie sie im konkreten gesellschaftlichen Kontext präsent sein und handeln soll.“[1] Es geht also ausdrücklich darum, dass sich die geweihten Jungfrauen in der Gemeinde und im Bistum zu Wort melden und Gehör verschaffen!
Damit bekennt sich die Kirche zu einer Kultur des Dialoges, die unabhängig vom Geschlecht der Person unmittelbar aus den Gaben des Heiligen Geistes[2] entspringt, mit dem wir alle als Getaufte und Gefirmte in der Nachfolge Christi stehen, einander zum Geschenk gegeben…
Vor diesem Hintergrund erscheint das heutige Fest Mariä Geburt in einem besonderen Licht. Ist sie es doch, die von Ewigkeit her erwählt wurde, die jungfräuliche Mutter des Erlösers zu sein. Der Stammbaum im Matthäus-Evangelium, den wir soeben gehört haben, macht unmissverständlich klar, wie schwer von Begriff noch die ersten Christen waren. Sie kennen Stammbäume nur im Rahmen von männlichen Genealogien; so versuchen sie einfach, das ihnen Vertraute mit dem, was alle Vorstellungen sprengt, zu harmonisieren:
Am Ende dieser langen Ahnenreihe von Männern, die Söhne zeugen, steht überraschend eine junge Frau: Maria. Doch plötzlich ist es nicht mehr der Mann Josef, auf den es in der Geschlechterreihe ankommt, sondern die Tatsache, dass er sich einer Frau vermählt hat, die zur Gottesgebärerin werden soll! Selbst nach 2.000 Jahren zittert diese Umkehrung von allem, was wir allzu gern als unumstößliche, ja ‚gottgewollte‘ Ordnung betrachten, noch nach – spüren Sie es auch?
„Puer natus est nobis – ein Kind ist uns geboren“ bekennen wir an Weihnachten. Im Großen Glaubensbekenntnis, dessen Beginn auf dem Konzil von Nicäa vor 1.700 Jahren wir dieses Jahr feiern, halten wir vom Sohn Gottes Folgendes fest: „Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.“
Demnach ist unser Herr Jesus Christus „aus dem Vater geboren vor aller Zeit“ und in diese Welt hineingeboren von seiner Mutter Maria. Der ewige Gott tritt in Jesus Christus in die Geschichte ein: Er unterwirft sich Raum und Zeit, er wächst heran und altert, er spürt Hunger, Müdigkeit und Schmerz und wird, wie es die jahrhundertealte Prophetie des Jesaja sagte: der „Immanuel – Gott mit uns“ (Mt 1,23) - so sehr, dass er für uns am Kreuz stirbt: in allem uns gleich außer der Sünde (vgl. Hebr 4,15).
Dieses Glaubensgeheimnis kann man gar nicht oft genug bedenken, zeigt es doch, welch unendliche Liebe Gott zu seinen Geschöpfen hegt!
Schon früh hat die kirchliche Tradition die Erwählung Mariens so verstanden, dass sie bereits vor der Geburt von der Neigung zur Sünde, der sog. Erbsünde, frei war, gewissermaßen im Vorgriff auf ihre jungfräuliche Mutterschaft und im Hinblick auf ihr Vorbild im Glauben an die göttliche Natur ihres Sohnes. Mit Recht konnte sie deshalb der italienische Dichter Dante Alighieri als Tochter des Gottessohnes ansprechen:
„Vergine Madre, figlia del tua figlio,
umile e alta più che creatura,
termine fisso d’etterno consiglio,
tu se‘ colei che l’umana natura
nobilitasti sì, che ´l suo fattore
non disegnò di farsi sua fattura.“[3]
Im Deutschen lassen sich die klangvollen Wortspiele nur bedingt nachahmen, aber auch da wird die tiefe Ehrfurcht deutlich, mit der dieser Klassiker der italienischen Literatur von der Muttergottes spricht:
O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohnes,
Demütigste und Höchste der Erschaffenen,
Vorherbestimmtes Ziel vom ew'gen Ratschluss.
Du bist es, die die menschliche Natur
So hoch geadelt, dass ihr eigner Schöpfer
Es nicht verschmäht, in ihr Geschöpf zu werden.[4]
Gott wird Mensch durch die Jungfrau Maria, jedoch nicht, ohne ihre Zustimmung einzuholen. Und auch die Bedenken ihres Bräutigam Josef werden durch einen Engel, der ihm im Traum erscheint, zerstreut. Gott agiert für seinen Heilsplan also nicht selbstherrlich über die Köpfe der Menschen hinweg, sondern bezieht sie mit ein und macht sie damit zu echten Cooperatores, zu seinen Mitarbeitenden.
Ähnliches können viele gläubige Menschen erzählen, die intensiv nach dem Weg und ihrem ganz persönlichen Auftrag in der Welt gesucht haben, wie Madeleine Delbrêl, Mutter Teresa von Kalkutta, Charles de Foucauld und viele, viele andere. Gott nimmt uns beim Wort, wenn wir ihn inständig darum bitten!
„Gott, wenn es Dich gibt, dann zeig Dich mir“, so betete die junge Madeleine Delbrêl (1904-1964), als ihr Verlobter sie verließ, und sie wurde nicht enttäuscht: „Indem ich betete, habe ich geglaubt, dass Er mich findet und dass er die lebendige Wahrheit ist und dass man ihn lieben kann, wie man eine Person liebt. Diese Wahrheit habe ich umsonst empfangen. Ich schulde sie Gott (…) und ich schulde sie Menschen. Denn es waren Menschen, die mir geholfen haben, dieser Wahrheit zu begegnen“, bekennt sie später. Fortan lebte sie als gläubige Sozialarbeiterin in einem der problematischen Pariser Vororte unter Arbeiterfamilien, die sich als Atheisten verstanden. Bei ihrer Beerdigung sagte der kommunistische Bürgermeister: „Ich glaube auch jetzt nicht an Gott, aber wenn es ihn gibt, trägt er die Züge von Madeleine.“
Bis heute scheiden sich an der Göttlichkeit Jesu die Geister. Die einen sehen in ihm nur den guten Menschen, der als Weisheitslehrer sozial-caritativ tätig war und zwischen den Mühlsteinen der Politik zermahlen wurde. Für andere ist es theologisch undenkbar, dass Gott in seinem Sohn am Kreuz leidet und stirbt. Als Christinnen und Christen sollten wir uns vor Überheblichkeit hüten: Es steht uns nicht zu, über den Glauben oder Unglauben anderer ein Urteil zu fällen. Vielmehr müssen wir uns die Frage gefallen lassen: Woran kann man an
meinem
Leben ablesen, dass ich an Jesus Christus, Gott und Mensch zugleich, glaube? Zeigen meine Worte und meine Haltung, was er seinen Jüngerinnen und Jüngern im Evangelium aufgetragen hat?
„Wer glaubt, ist nie allein“ – dieses Wort von Papst Benedikt XVI. formuliert eine Erfahrung, die wir jeden Tag neu machen können, sogar dann, wenn wir uns von Menschen verlassen und verraten fühlen. - Ein Gefühl, das sicher auch Josef beschlich, als er von Marias Schwangerschaft erfuhr. Doch er zog sich nicht ins Schneckenhaus verletzter Männlichkeit zurück und sann auf Rache, vielmehr heißt es: „Ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen“ (Mt 1,19). Welche Überwindung mag dies Josef gekostet haben – und noch nach 2000 Jahren Christentum hat sein Verhalten leider nicht Schule gemacht!
Liebe Frau Onar, wenn Sie heute am Fest Mariä Geburt Ihre Existenz, ihr Leben eng mit Christus, ihrem Seelenbräutigam, verbinden, dann versprechen wir Ihnen als Ihre Schwestern und Brüder und ich als Ihr Bischof unser treues Gebet. Gemeinsam wollen wir auf „Maria, die vollkommene Ikone der Kirche,“ schauen und Ihnen mit den hymnischen Worten, mit denen die Instruktion zur Jungfrauenweihe abgeschlossen wird, die Gnade Gottes und die Fürsprache seiner Mutter erflehen:
„Wir preisen dich selig,
Frau des Magnifikat,
Mutter des lebendigen Evangeliums,
und bitten dich für diese unsere Schwester Sema:
Schließe sie ein in deinen Gesang,
reihe sie ein in deinen Tanz,
damit sie, indem sie dem Lamm
mit brennenden Lampen
auf all seinen Wegen folgen,
auch uns
zum ewigen Hochzeitsmahl führen (kann),
zur endgültigen Umarmung mit jener Liebe,
die niemals aufhört.“[5]
Amen.
[1] Instruktion Ecclesiae Sponsae Imago, Nr. 43. Herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2018 (Veröffentlichung 2216).
[2] Vgl. ebd. Nr. 46: „Aufgabe des Diözesanbischofs ist es, die Berufungen zur Weihe in den Ordo virginum als Gabe des Heiligen Geistes anzunehmen und die Bedingungen dafür zu fördern, damit die Verwurzelung der Geweihten in der ihm anvertrauten Kirche einen Beitrag auf dem Weg zur Heiligkeit des Volkes Gottes und seiner Sendung darstellt.“
[3] Dante Alighieri: La Divina Commedia: Paradiso, XXXIII Canto.
[4] Quelle: Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 418-423.
http://www.zeno.org/nid/20004681258
[5] Instruktion Ecclesiae Sponsae Imago, Nr. 115.