Wort und Tat
Sehr geehrte Mitglieder des Ordens der Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem, liebe Schwestern und Brüder, ich möchte beginnen mit einem Zitat aus der Feder eines Menschen, den Sie alle kennen: „Wir haben der Liebe geglaubt: So kann der Christ den Grundentscheid seines Lebens ausdrücken. Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“[1]
Manchmal spricht und verspricht man zu viel; man weckt übergroße Hoffnungen, die wie Seifenblasen zerplatzen und dann zu bitterer Frustration führen. Heutzutage bieten die social media sogar neue, allen zugängliche Möglichkeiten zur Selbstbehauptung und Selbstinszenierung. In einer stark am Konsum orientierten Gesellschaft werden nicht nur Güter produziert, sondern auch manipulative Erfolgsnarrative erzeugt und Wohlstandsversprechen gemacht. Was aber hat unser sorgfältig inszeniertes, digitales Ich, was hat der Überfluss an Worten und Versprechen mit der genuin menschlichen Sehnsucht nach Wahrheit zu tun? Wie verhalten sich Bild und Prototyp, Sein und Schein zueinander?
„Jeden Baum erkennt man an seinen Früchten“ (Lk 6,44) sagt uns Jesus im heutigen Evangelium. Der Mensch wird primär durch seine Taten erkannt und an seinen Taten gemessen. Was nutzt es, „Herr! Herr!“ zu sagen, und doch nicht das zu tun, was der Herr will (vgl. Lk 6,46)? Diese Frage, die uns Jesus stellt, ist zugleich eine Forderung zu mehr Konsequenz im Leben. Christus ist es bewusst, dass der Weg, den er predigt, ein dorniger, ein Kreuzweg ist. Er weiß, dass alle, die ihm folgen, immer wieder stolpern werden; wenn sie nicht immer wieder stolpern, haben sie es nicht anspruchsvoll genug versucht. Er würde dennoch sagen: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“, um den irischen Schriftsteller Samuel Beckett zu zitieren. Der Herr ist da und reicht uns die Hand, damit wir wieder aufstehen. Es lohnt sich, Jesus Christus in der Tat und mit Taten zu folgen. Wer es nur beim Reden belässt, täuscht sich selbst. Jesus schätzt das Authentische.
Unsere Taten bringen unser innerstes Wesen zum Vorschein; sie weisen auf die Qualität unserer Beziehung zu Gott hin: Ich denke an das grandiose Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes über die Völker, das von Matthäus überliefert wird (Mt 25,31-46). Viele behaupten von sich, Freunde des Herrn zu sein, weil sie an Jesus glauben und seinen Willen tun. Wer jedoch die Hungrigen, die Durstigen, die Kranken, die Fremden, die Gefangenen dieser Welt ignoriert, ignoriert Christus selbst. „Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr (auch) mir nicht getan.“ (Mt 25,45) Und weiter: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ (Mt 7,21)
Gewiss ermuntert das Christentum nicht zu unbedachtem, voreiligen Aktivismus. Das Denken, das Wort, die Theorie haben ihren Platz im Leben des Menschen und der Gesellschaft. Ein zwangsneurotischer Tatendrang zeugt manchmal von einer inneren Leere, von einem Menschen, der ständig in Aktion ist, um die Konfrontation mit sich selbst, seinen Zweifeln und Ängsten zu meiden. Jesus Christus selbst ist der Logos, das Wort Gottes, der aber Mensch, angreifbar und verletzlich, geworden ist. Er ist das Wort, das nicht nur Wort geblieben ist, sondern uns durch sein Leben und seinen Tod das Heil geschenkt hat.
Die Forderung zu mehr Konsequenz von Wort und Tat ergibt sich aus dem Wesen unseres Glaubens, der viel mehr als eine abstrakte Theorie ist. Der Glaube will gelebt werden. Er ist mehr als die Annahme einer Überzeugung, er ist Beziehung zu Jesus, zur Kirchengemeinschaft, zu den Mitmenschen, zur ganzen Schöpfung. Eine Beziehung lebt nicht allein von Erklärungen und Versprechen, sondern von Taten, die die Tiefe und Stärke, das organische Wachstum dieser Beziehung zum Ausdruck bringen.
Um das innere Verhältnis von Gottes Wort und seinen Taten zu zeigen, verwendet Jesus das Bild des Hausbaus (Lk 6,47-49). Derjenige, der gemäß dem göttlichen Wort handelt, gleicht einem Mann, der die Erde tief aushebt und das Fundament seines Hauses auf einen Felsen stellt, so braucht er weder Hochwasser noch Flutwelle zu fürchten. Bei einer solchen Naturkatastrophe würde dagegen das Haus eines Menschen einstürzen, der bei bloßen Lippenbekenntnissen stehengeblieben ist und keine Taten aufweisen kann. Es ist interessant, dass Jesus nicht sagt: Geht, baut eure Häuser weit vom Fluss, weit von der Gefahr entfernt. - Wir wissen nur zu gut, dass ein Fluss eine Region zwar fruchtbar und ertragreich macht, aber auch gefährlich werden kann. Doch Jesus macht auf die Bedeutung des Fundaments aufmerksam: Wenn dies sicher ist, ist man gerüstet und hat nichts zu befürchten. Unter dem Schutz des Wortes Gottes kann man in Sicherheit wohnen.
„Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten“ (1 Tim 1,15), haben wir gerade im 1. Timotheusbrief gehört. Diese Botschaft hat vor 2.000 Jahren die Geschichte der Menschheit verändert: Gott selbst ergreift die Initiative, er kommt leibhaftig und lädt uns zum ewigen Leben ein. Er ist der unvergängliche, unsichtbare, einzige Gott, der König der Ewigkeit (vgl. 1 Tim 1,17). Wer sich auf ihn einlässt, spürt: diesem Gott und seinem Wort zu folgen, ist eine Quelle tiefer Freude. Zugleich wächst daraus die Verantwortung keinem anderen Herrscher dieser Welt gedankenlos zu folgen.
Heute feiert die Kirche den hl. Johannes Chrysostomos, der den Preis seines christlichen Widerstands gegen die Willkür politischer Macht mit seinem Leben bezahlt hat. Dieser Mann des 4. Jahrhunderts, geboren in Antiochien, dem heutigen Antakya in der Türkei, wurde Erzbischof von Konstantinopel; zusammen mit Athanasius von Alexandrien, Basilius von Cäsarea und Gregor von Nazianz zählt er zu den vier Kirchenlehrern des Ostens. Die orthodoxen Kirchen und die katholischen Ostkirchen des byzantinischen Ritus feiern bis heute die ihm zugeschriebene Liturgie. Chrysostomos lebte ganz für den Gottesdienst und vom Wort Gottes, das er unermüdlich predigte.
Nicht zufällig hat Erzbischof Johannes den Beinamen Chrysostomos (Goldmund auf Griechisch) erhalten. Bis heute gilt er als einer der begabtesten Prediger in der Geschichte des Christentums. Als faszinierender Interpret des Gotteswortes ermutigte er zu Taten der christlichen Nächstenliebe. Er war kein Freund der theologischen Abstraktion; die menschennahe Sachlichkeit, das Hier und Jetzt, die Sorgen und Nöte der Menschen, vor allem die Schwächsten, Ärmsten und Bedürftigsten unter ihnen standen im Zentrum seiner Predigten und seiner Tätigkeit überhaupt.
Zwar müssen wir uns vom antijüdischen Zungenschlag in seinem Werk distanzieren; seine Kritik am Klerikalismus aber, der Gier und dem Luxus der Reichen, und nicht zuletzt an der Willkür des oströmischen Kaisers inspiriert bis heute. Chrysostomos versuchte, die Kirche seiner Zeit zu erneuern, ihr missionarische Kraft zu geben. Vor Bestechungsversuchen war er ebenso gefeit wie gegen Drohungen. Weil er die Mächtigen seiner Zeit provozierte, fiel er in Ungnade und starb schließlich auf einem Gewaltmarsch im Exil.
Vor 21 Jahren hat Papst Johannes Paul II. die Gebeine des hl. Johannes, die sich im Petersdom befanden, als Ausdruck der Freundschaft zwischen der Katholischen Kirche und der Orthodoxie dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios von Konstantinopel geschenkt. So ist Johannes Chrysostomos ein wichtiges Bindeglied in der Ökumene – übrigens ist er auch eng mit Bayern verbunden: Eine Handreliquie befindet sich im Regensburger Dom.
Taten der Nächstenliebe und der Unterstützung der Kirche im Heiligen Land, inspiriert von einer profunden Spiritualität stehen im Zentrum Ihrer Arbeit, liebe Ritter und Damen vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Die Kirche von Jerusalem, die Kirche im Heiligen Land ist tief verwundet. Die schockierenden Fakten sind uns bekannt. Der lateinische und der griechische Patriarch von Jerusalem haben am 27. August eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, aus der ich zitieren möchte: „Es ist an der Zeit, diese Spirale der Gewalt zu beenden, den Krieg zu beenden und dem Gemeinwohl der Bevölkerung Vorrang einzuräumen. Es gab genug Zerstörung, sowohl in den Gebieten als auch im Leben der Menschen. Es ist Zeit, dass die Familien aller betroffenen Parteien, die so lange gelitten haben, Heilung finden können. Mit derselben Dringlichkeit rufen wir die internationale Gemeinschaft dazu auf, zu handeln, um diesen sinnlosen und zerstörerischen Krieg zu beenden und damit die Vermissten und die israelischen Geiseln nach Hause zurückkehren können.“[2] Diesem Friedensappell hat sich Papst Leo XIV. ausdrücklich angeschlossen.[3] Der Frieden ist ein Herzensanliegen des Heiligen Vaters. Ich verstehe deshalb die vier Monate seines Pontifikats als geistlichen Friedensmarsch, für das Heilige Land und die ganze Welt.
Ihnen, liebe Mitglieder des Ritterordens vom Heiligen Grab, muss niemand erklären, wie wichtig gerade heute Ihre Arbeit ist. Für Ihr Engagement bin ich Ihnen auch persönlich sehr dankbar. Beten wir nun gemeinsam, liebe Schwestern und Brüder, für die Christen im Heiligen Land, für Frieden und Gerechtigkeit - in Dankbarkeit für all das, was die Ritter und die Damen vom Heiligen Grab mit Wort und Tat für die Jerusalemer Kirche leisten. Amen.
[1] Papst Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, Nr. 1.
[2] https://www.lpj.org/en/news/statement-by-the-latin-patriarchate-of-jerusalem; deutsche Übersetzung: https://fsspx.news/de/news/gaza-erklaerung-des-lateinischen-patriarchats-von-jerusalem-54130
[3] https://www.vatican.va/content/leo-xiv/it/audiences/2025/documents/20250827-udienza-generale.html